LEITARTIKEL

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d'Lëtzebuerger Land du 01.10.2021

Das „erste Land der Welt“ zu sein, das Bus und Bahn gratis macht, ist das eine. Oder „das einzige Land der Welt“ mit so vielen Corona-Tests, wie die Regierung Ende April 2020 bei der Vorstellung des Large-scale testing prahlte. Massentests und Gratistransport kosten lediglich viele Millionen aus der Staatskasse. Anders verhält sich das, wenn Luxemburg zum „ersten Land Europas“ werden soll, in dem Besitz, Verkauf und Konsum von Cannabis legalisiert und seine Produktion staatlich kontrolliert würde: Wie LSAP-Gesundheitsministerin Paulette Lenert am Dienstag im Radio 100,7 ganz richtig anmerkte, ist Luxemburg Teil des Schengen-Raums. Weil die Corona-Seuche vorgeführt hat, wie es sich anfühlt zu fürchten, dass die Nachbarn ihre Grenzen schließen könnten, habe das, so Lenert, zu einem „dive-in“ in die rechtlichen und diplomatischen Fährnisse der Cannabis-Legalisierung geführt.

Dass die Regierung einen Rückzieher machen würde, sagte Paulette Lenert in dem Interview nicht. Erst vier Stunden später wollte 100,7 aus „gut informierten Quellen“ erfahren haben, dass aus der im Koalitionsprogramm 2018 angekündigten Legalisierung nichts werde. Stattdessen könnte der Anbau kleiner Mengen im privaten Haushalt erlaubt werden. Dass auf die Meldung hin Justizministerin Sam Tanson (Grüne) jeden Kommentar ablehnte, die Gesundheitsministerin einen Tag später lediglich wissen ließ, noch sei nichts entschieden, spricht aber Bände: Luxemburg wird Cannabis legalisieren, wenn die drei Nachbarländer das tun; vor allem Deutschland und Frankreich. Es wäre ein Wunder, wenn die Regierung bei der für die kommenden Wochen angekündigten Vorstellung ihres „Pakets“ über die Drogen- und die Sicherheitspolitik etwas anderes erklären würde.

Natürlich muss man sich fragen, weshalb die alt-neuen Koalitionspartner sich nicht schon vor drei Jahren die außenpolitischen Folgen ihres Vorhabens vorzustellen vermochten. Und Ende 2019 immer noch nicht: Damals lag ein erstes Konzept vor, laut dem Cannabis made in Luxembourg zum Produzenten rückverfolgbar sein sollte. Das sollte garantieren, dass in den Verkauf nur käme, was der Staat kontrolliert, nicht zuletzt im THC-Gehalt. Abgegeben werden sollten die Päckchen nur an in Luxemburg Ansässige. Aber könnten hier Ansässige rechtmäßig erworbenes Marihuana nicht vielleicht doch an Grenzpendler weiterverkaufen; obendrein mit einer schönen Marge? Und könnte der Luxemburger Schwarzmarkt sich vielleicht in die Nachbarländer verlagern? Dass solche Gedanken die Behörden auf jenseits der Grenzen umtreiben, ist gut vorstellbar.

Wie weiter – wenn es denn demnächst heißt, nur der Anbau von THC-Pflanzen daheim werde erlaubt? Es geht ja nicht nur um die politische Schmach nach einem Eingeständnis, dass ein Regierungsversprechen sich doch nicht umsetzen lässt. Sie wäre in diesem Fall wahrscheinlich schnell vergessen – im Wahlvolk gibt es genug Gegner einer Cannabis-Legalisierung. Schwerer wöge, dass THC-Hanf im Balkonblumenkasten zu erlauben, nichts am Schwarzmarkt im Inland ändern würde – denn das ist das wirklich sinnvolle Ziel.

Vielleicht bleibt die einzige Option am Ende die, in Absprache mit den Nachbarländern einen zeitlich begrenzten Cannabis-Pilotversuch zu starten, mit einem klaren Plan darüber, welche Antworten er liefern soll. Doch auch ob das klappen würde, ist nicht sicher. Einerseits Einsprüchen der Nachbarn wegen. Andererseits, weil Luxemburg nicht unbedingt zuzutrauen ist, die richtigen Fragen stellen zu können. Drogenpolitik wird hierzulande traditionell auf die lange Bank geschoben. Das änderte sich auch nach dem Regierungswechsel nicht: DP, LSAP und Grüne versprachen 2013 in ihrem ersten Koalitionsprogramm eine „neue Strategie“, blieben sie aber schuldig (d’Land, 3.8.2018). Gut möglich, dass auch keine vorlag, als die Regierung vor ein paar Monaten ihr Cannabis-Projekt wiederentdeckte. Dabei war schon die Umsetzung des Gratistransports aufwändig genug. Das „erste Land“ zu sein, ist schließlich nicht nur eine Marketingfrage.

Peter Feist
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