Muno, Claudine: La Mamouthe

Glücklich

d'Lëtzebuerger Land vom 02.06.2011

Sie als „Rubensfrau“ zu bezeichnen, wäre angesichts des Umfangs dieser Frau vermutlich eine starke Untertreibung. Die „mamouthe“, bürgerlich Anna Glücklich und Hauptfigur von Claudine Munos neuem Buch, ist eine Person von großem Ausmaß. Ihre Brüste sind derart ausladend, dass sie damit das neugeborene Nachbarskind versehentlich fast erdrückt. Was sie sonst noch auszeichnet, sind vor allem eine ausgeprägte Vorliebe für Erbsensuppe und ein mindestens ebenso ausgeprägter Körpergeruch: Ihre Füße riechen nach Füßen, ihre Achseln nach Achseln und ihr Hintern nach Hintern. An Anna Glücklich ist alles echt und authentisch, von den Ausdünstungen bis zu ihren Überzeugungen.

Doch da zur Bewertung eines Individuums hauptsächlich sein Ausse­hen zählt, muss sie sich bei der großen Ehepartnerbörse („la grande foire du rencontrage des époux“) als „kleine Zwei“ einstufen lassen. Das ist nicht sehr gut; damit bewegt man sich an der Schwelle zur Unvermittelbarkeit. Ein einziger Kandidat wird in dieser Kategorie gefunden, und zwar ein sehr haariger, über und über tätowierter und unglaublich dicht bezahnter Herr namens Archibald Juncky Juncker („ce monsieur est vraiment un 2, mais alors un très petit 2“). Da sich eine Heirat unter solchen Umständen aufdrängt, wird sie sogleich vollzogen.

Die Ehe ist vor allem aus Annas Perspektive kein reines Zuckerschlecken. Archibald verlangt von seiner Angetrauten, dass sie einen riesigen Hut trägt, damit er weniger von ihr sehen muss. Auch lässt er nicht mit sich diskutieren. „Je décide parce que j’ai décidé de décider.“ Punkt, daran gibt es nichts zu rütteln. Ebenso unvermeidbar ist sein Alkoholismus, der, wie bei allen Eisenbahnern, pünktlich zum vierzigsten Lebensjahr einsetzen wird. Doch allen Schwierigkeiten sowie einer blonden Odaliske zum Trotz, die der reich bestückten Ehefrau eher unfreiwillig das Feld räumt, entwickelt sich zwischen Anna Glücklich und Archibald Juncky Juncker bald eine ziemlich innige Komplizenschaft, die verdächtig an Liebe erinnert.

Aber selbst eine so ungewöhnlich katastrophenresistente Liebe wie die von Anna und ihrem Archibald kommt gegen die gesellschaftlichen Widrigkeiten nicht an. Muno bleibt sich in dieser Hinsicht treu: So abstrus sich Handlungsverlauf und Figurenzeichnung auch ausnehmen mögen, so sind sie doch keinesfalls moralisch indifferent. Nicht genug mit absurdem Körperkult. Als dem Eisenbahnunternehmen („la trainerie nationale du Luxembourg“) die Pferde ausgehen, weil man die Tiere zu gesundheitsschädlichen Buletten verarbeitet hat, werden kurzerhand die Mitarbeiter vor die Züge gespannt, und zwar nackt. Es kommt zu Protesten, worauf man den Arbeitern das Recht auf Kleidung wieder zugesteht. Nur Archibald weigert sich standhaft, den faulen Kompromiss einzugehen: „D’abord, ils nous imposent deux choses insoutenables, puis ils acceptent de renoncer à l’une d’entre elles et s’imaginent nous faire une fleur.“ Doch gegen die bestehenden Werte und Strukturen kommt auch der schönste Idealismus nicht an. Am Ende muss Archibald eingestehen, dass er sich nicht sicher ist, ob ihm und seiner „mamouthe“ der gemeinsame Lebensentwurf gelungen ist: „Je juge cela être un bilan impressionnant,“ stellt er fest, nachdem er aufgezählt hat, was sie alles zusammen erreicht haben, „mais d’un autre côté je ne suis pas sûr. Comme on n’a pas eu l’occasion de nous comparer avec beaucoup d’autres êtres humains, il se pourrait tout aussi bien que notre bilan soit pitoyable.“

Wie immer bei Claudine Muno gibt es diese kritische Erzählebene nicht frei Haus. Um sich zur Durchlässigkeit des Textes für moralische Überlegungen durchzulesen, muss der Leser die Schulmeisterbrille ablegen und sich auf den radebrechenden Stil und das wüste Kauderwelsch einlassen, mit dem die Autorin ihn ab den ersten Sätzen traktiert („Ses mamelles müfflent clairement la soupe aux petits pois.“). Wort ist hier alles, was verstanden werden kann, und das ist ganz schön viel. In einem Überschwang aus anarchischer Kreativität macht Muno aus den Brüsten der Protagonisten mal „ses généreuses balconettes“, mal „ses maternouailles“ oder „protubérables“, und stellt den „laitages“ beim Frühstück wie selbstverständlich „légumages“ und „viandouilles“ zur Seite. Diese sprachliche Eigenwilligkeit steht in einem interessanten Kontrast zu dem unbekümmerten Kindergeschichtenton, mit dem Muno Putziges neben Groteskes stellt. Die Katastrophen verbleiben auf diese Weise an der Oberfläche, vielleicht, weil sie anders unerträglich würden.

Claudine Muno: La Mamouthe. Récit. 89 S. Op der Lay 2011. ISBN 978-2-87967-171-0.
Elise Schmit
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