2010 begann Aha als antiklerikaler zivilgesellschaftlicher Verein. Heute unterstützt er Anbieter/innen von säkularen Zeremonien. Weshalb kam es zu diesem Wandel? Und was verspricht der neue Zeremonienmarkt?

Gottlose Zeremonie

Der Psychologie-Dozent Bob Reuter wurde 2019 Aha-Präsident
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 19.08.2022

„Bleiwt elo relax, da fänke mer elo un“, beschwichtigt Clod Thommes in ein Mikrofon. Er ist der Zeremonienmeister bei einem Sommerfest in Rindschleiden. An diesem Samstagspätnachmittag im Juli wollen sich Claudine und Martin nochmals symbolisch das „Ja-Wort“ bestätigen. Tatsächlich standen die Gäste vor Thommes’ Ansage etwas verloren umher: Eine säkulare Zeremonie – was müssen wir tun, sollen wir uns hinsetzen oder in einen Kreis stellen?, waren Fragen, die der Gesichtsausdruck der Anwesenden verriet. Clod Thommes, für ein Zeremonienmeister schlicht angezogen – Hemd, Jeans, Lederschuhe, Brille –, rückt gleich zu Beginn den Fokus auf die beiden Verheirateten: „Als intelligent, spontan, empathisch beschreibt Martin die Claudine“, erfahren wir aus dem Mund des Zeremonienmeisters. Wir erfahren auch, dass die beiden sich vegan ernähren, ein Kind haben und gerne reisen.

Die Zeremonie findet in einem Park hinter einer Kirche bei einem Weiher statt; Claudine und Martin stehen neben einem Brunnen und einer dort befestigten Marienstatue mit weißem Gewand. Sie sind sommerlich gekleidet, die Gäste auch – in gelben und grünen Röcken stehen sie gut vier Meter vom Paar entfernt; der Freundeskreis mit Tattoos, die Elterngeneration ohne. Thommes’ Monolog wird gelegentlich durch vom Paar ausgesuchte Musikeinlagen unterbrochen: Tom Odell singt „Grow old with me, let us share what we see“, und gegen Ende der Zeremonie Fynn Klinemann „Ganz egal, wo wir landen, mein Zuhause ist kein Ort, das bist du.“

Aha – die Allianz von Humanisten, Agnostikern und Atheisten – ist gerade dabei zu sondieren, wer die Anbieter/innen von säkularen Zeremonien sind, um sie an Interessierte weiterempfehlen zu können. Denn in den vergangenen Jahren trafen diesbezüglich immer häufiger Anfragen ein. Bob Reuter, Präsident von Aha, erläutert, als vertrauenswürdige Anbieter würden jene eingestuft, „die keine dogmatische Dimension und metaphysische Ansichten vermitteln“. Anders als in religiösen Ritualen gehe es nicht „um die Magie des Rituals an sich“. Dennoch würden säkulare Rituale eine gewisse Magie besitzen, erwähnt der Psychologie-Dozent Reuter: „Denn sie verfestigen soziale Positionierungen oder einen Beziehungsstatus.“ Einen finanziellen Gewinn möchte Aha als Vermittlungsplattform allerdings nicht generieren.

Der Trend hin zu säkularen Zeremonien wird von einem gleichzeitigen Rückgang katholischer Weihehandlungen begleitet. 2001 wurden in Luxemburg circa 3 000 Kinder getauft, 4 300 nahmen an der Kommunion teil und 500 Paare wurden kirchlich getraut. 2019 fiel die Zahl der Taufen auf 2 000, die Kommunions- und Hochzeitszahlen haben sich halbiert. Laut dem Pressesprecher der katholischen Kirche würden die Zahlen, auf alle Einwohner/innen bezogen, trotzdem etwas höher liegen, da portugiesische Mitbürger/innen nun vermehrt in Portugal ihre Kirchenzugehörigkeit ausleben würden. Hinzu kommt, wie der Religionssoziologe Detlef Pollack untersucht hat, dass der Glaube an einen personalisierten Gott abnehme – dies vor allem in Ländern mit einem hohen Bildungsniveau. Zwar äußert ein Großteil der Befragten, an eine unspezifische Macht zu glauben. Dieser Glaube wird jedoch selten gemeinschaftlich gelebt und beeinflusst kaum die persönliche Lebensführung oder politische Entscheidungen. Vergangenen Monat veröffentlichte Aha eine Umfrage, die sie bei Ilres in Auftrag gegeben hatte. Sie ergab ein ähnliches Resultat: Von den über 500 Befragten bezeichneten 51 Prozent sich als nicht religiös, insgesamt 61 Prozent gaben an, sich kaum für übernatürliche Phänomene zu interessieren. Jedoch antwortete die Hälfte, an eine Art nicht-personalisierten Lebensgeist zu glauben. Trotzdem erachtet eine Mehrheit von 70 Prozent in dieser Umfrage Trauerzeremonien und 50 Prozent Hochzeits- und Geburtszeremonien für wichtig.

Als Aha 2010 unter dem damaligen Präsidenten Laurent Schley, einem bei der Naturverwaltung angestellten Zoologen, gegründet wurde, war der Verein auf einen antiklerikalen Kurs eingestellt. Seine Forderungen lauteten: Der Religionsunterricht habe an staatlichen Schulen nichts verloren und der Klerus solle sich finanziell selbsttragend organisieren. 2019 übernahm Bob Reuter die Präsidentschaft und glättete den scharfen „Anti-Ton“. Zugleich dockte er den Verein an die angelsächsische humanistische Bewegung an. Humanisten führen keine spezifischen Rituale durch und befolgen keine Vorschriften oder Tabus. Als ethisches Prinzip beachten allerdings einige Humanisten die fleischlose Ernährung, bevorzugen klimaschonende Fortbewegungsmittel und sind sozial engagiert. Die Neuausrichtung kommt zeitlich gelegen, da die DP-LSAP-Grüne-Regierung seit 2013 die Hauptthemen, an denen sich Aha abarbeitete, erledigte. DP-Bildungsminister Claude Meisch schaffte 2016 den Religionsunterricht ab und führte das Unterrichtsfach „Leben und Gesellschaft“ ein. Und 2018 verabschiedete das Parlament ein Gesetz zur Abschaffung der Kirchenfabriken. Ihr Vermögen und die Sakralbauten wurden in einen neuen Kirchenfonds überführt, der die Besitzverhältnisse zugunsten des Staates dezentral vom Bistum verwaltet. Sowohl unter Schley als auch unter Reuter sieht Aha weiterhin Bedarf, Religionen in Opposition zur Wissenschaft zu analysieren, und wirft ihren Institutionen Wissenschaftsfeindlichkeit vor: Die Kirche habe die Evolutionslehre noch nicht vollständig anerkannt und mische sich zu stark in die Stammzellenforschung und Hirnforschung ein, schreibt der Verein auf seiner Internetseite.

Bob Reuter stellte jedoch fest, dass „nicht alle den Schritt zum Humanismus mitmachten“. Der antiklerikalen Fraktion fiel die agitatorische Opposition zur Kirche leichter, als sich an einer Debatte über humanistische Ethik zu beteiligen. Bisheriger Höhepunkt der Meinungsverschiedenheit zwischen den Pafefrësser und Humanisten war die 2019 von Aha organisierte homöopathiekritische Konferenz, nach der einige Antiklerikale bei Aha austraten. Mehrmals im Jahr sind die Mitglieder zu einer Diskussionsrunde eingeladen, „um über Freiheit, Verantwortung, Gemeinwohl und das gute Leben gemeinsam nachzudenken“. „Derzeit“, führt Reuter aus, „sind die Aha-Aktivitäten eher kopflastig. Ich will aber nicht ausschließen, dass künftig eine Öffnung hin zu säkularen Ritualen stattfinden könnte.“

Während der Zeremonie in Rindschleiden verkündet Clod Thommes in nahezu pastoralem Habitus und mit einem Schmunzeln auf den Lippen: „Elo komme mer zum emotionalen Deel.“ Das Paar vollzieht den Ringtausch, jedoch in geheimnisvoller Zweisamkeit – sie geben sich ein für die Anwesenden nicht hörbares Versprechen. Emotional wurde es bereits vor der Ring-Übergabe. Im Duktus eines Predigers erzählte Thommes, wie die Heiratenden sich kennengelernt haben. Beide waren auf dem Jakobsweg unterwegs, und als Martin in einer Unterkunft zur Tür hineinkam, sagte er: „Hoffentlich gibt es hier Bier.“ Das war der erste – nicht zwangsläufig sympathische – Eindruck, den Martin hinterließ. Während Thommes das erzählt, lachen die Anwesenden, Claudine kullern die Tränen aus den Augen. Der Zeremonienmeister vollzieht anschließend einen Schwenk ins Metaphorische: Er berichtet von zwei Bergsteigern, die durch ein breites Seil aneinander festgebunden sind. Ein Passant fragt sie, ob dieses Seil sie nicht unfrei mache. Doch die beiden antworten, wer besondere Wege beschreiten und neue Horizonte erblicken möchte, bedürfe entsprechender Ausrüstung. „Nëmmen durch d’Séil kënne mir eis op Weeër trauen, déi mir aléng net kéinte maachen a genéissen. Nëmmen ze wëssen, datt mir eng sécher an eng fest Verbindung hunn, mecht eis fräi“, so die beiden.

Ochsendreck, Krieg, Luder – zwei Wochen nach der Zeremonie steht Thommes fluchend und grotesk geschminkt in Grosbous auf einer Theaterbühne. Fast alle Zeremonienmeister haben einen Hintergrund in Schauspielerei oder Musik. Der Zeremonienmeister Gilles Soeder verspricht, „que mes talents d’acteur me permettent de m’adapter à toutes vos demandes, des plus traditionnelles au plus folles“. Maylani Moes informiert im Internet: „2016 fragte mich ein Schauspielerkollege, ob ich mit ihm zusammen als Trauerredner arbeiten möchte.“ Sie willigte ein und heute sei sie hauptberuflich Zeremonienmeisterin. Auch der ehemalige Bürgermeister von Rosport-Mompach, Romain Osweiler (CSV), sagt über sich: „Musek, Gesang an Theater, ob aktiv oder passiv sënn eng Passioun.“ Ihm „tat es als Bürgermeister leid, dass die standesamtlichen Hochzeiten im Gemeindehaus so formell und unpersönlich abliefen“, erklärt er; daran wollte er etwas ändern und begab sich auf das weniger formalisierte Terrain der symbolischen Feiern. Der bühnenerfahrene Serge Tonnar gedenkt, im Herbst ebenfalls eine Ausbildung als Zeremoniengestalter zu absolvieren. Diesen August tastet der Sänger sich an die Schnittstelle von Kunst und Spiritualität heran: In der Kirche von Rindschleiden bietet er „en intimistesche Programm mat senge Lidder a klengen Texter aus dem Tao Te King“ an.

Jede Zeremonie ist anders, mal mit, mal ohne Live-Band. Mal werden Familienangehörige und Freundeskreis eingebunden, mal nicht; mal findet sie auf einer Wiese, mal an einem Strand, oder in einem Schloss oder einer Scheune statt – die Anbieter richten sich nach den Wünschen der Nachfrageseite. Je nach Leistungsumfang wird der Zeremonienmeister mit 700 bis 1 300 Euro vergütet. Romain Osweiler und Clod Thommes sind für diesen Sommer bereits ausgebucht. „Es ist ein besonderes Ereignis und für mich eine Ehre, dabei zu sein, wenn zwei Menschen sich versprechen, gemeinsam ihren Lebensweg zu gehen. Daat ass keng Déngschtleeschtung wéi eng aaner och“, erläutert Osweiler. Zudem verlangen die Auftritte den Zeremonienmeistern eine hohe Konzentration ab. Nach der Zeremonie in Rindschleiden sagt Thommes: „Für mich ist der Tag jetzt gelaufen. Heute Morgen habe ich mich auf die Zeremonie vorbereitet und jetzt bleibt mir kaum die Muße, um noch wichtige Aufgaben zu erledigen.“

Aha-Mitglieder betonen gelegentlich, dass säkulare Rituale einen gänzlich nicht-religiösen Charakter besäßen. Aber nicht alle Religionsdefinitionen verweisen auf den Glauben an Gott oder übernatürliche Wesen. Für den Anthropologen Richard Geertz sind sie nicht ausschlaggebend. Ihm zufolge versetzen Rituale Teilnehmer in eine bestimmte Stimmungslage und affektgeladene Motivation, indem Symbolsysteme handelnd nachvollzogen werden. Dem Philosophen Stephen Asma zufolge fußen die rudimentären Religionsformen auf performativen biosemantischen Handlungen, die verwoben sind mit einer der propositionalen Sprache vorausgehenden verkörperten Kognition, die emotional-verhaltensbezogene Prägungen erzeugt. Vereinfacht ausgedrückt: Abstraktes, logisch-analytisches Denken spiele in Ritualen keine Rolle. In erster Linie würden in Ritualen Weltbeziehungen körperlich-affektiv reguliert.

Eine erste Studie, die die Effekte von säkularen und religiösen Ritualen vergleicht, bekräftigt diese Auffassung. Sarah Charles vom Brain, Belief, and Behaviour Lab der britischen Universität Coventry wollte gemeinsam mit anderen Forschern eruieren, ob säkulare Rituale in ähnlicher Weise einen gesundheitlichen Nutzen bringen wie religiöse. Vorangegangene Studien haben nahegelegt, dass die gesundheitsfördernden Aspekte zuvorderst durch die sozialen Bindungen in Religionsgemeinschaften bedingt werden. Durch Messungen der sozialen Bindung und der Affekte vor und nach dem Ritual konnte erhoben werden, dass die Qualität der sozialen Verbundenheit bei säkularen Ritualen mit der von religiösen vergleichbar ist. Laut dieser Studie unterstützen beide Arten von Ritualen positive Affekte, und dies desto eher die soziale Verbundenheit gestärkt wurde. Vor allem die geteilte Aufmerksamkeit, gemeinsame Ziele, synchronisierte Bewegungen, gemeinsames Musizieren und Essen sowie mäßiger Alkoholkonsum wurden in vorherigen Studien zu religiösen Ritualen als förderliche Faktoren für soziale Verbundenheit ausgemacht. Diese Aspekte seien allerdings auf säkulare Rituale übertragbar.

Zudem fördern Studien zufolge Rituale durch ihr sozial bindendes Element „In-Group-Gefühle“, die mit Aversionen gegenüber Außenstehenden einhergehen können. Womöglich zogen radikalisierte Querdenker aus ähnlichen Dynamiken ihre soziale Kraft. Gemeinsames skandieren von Parolen und trommelnd umhermarschierend, zeigten sie das ihnen das Recht auf samstäglichen kollektiven Krawall im Stadtzentrum wichtiger ist als Diskussionen über Bürgerpflichten. Daneben untermauern Verschwörungserzählungen ihr dichotomes Selbstverständnis von Gut und Böse, Innen und Außen. Die Bewegung der Querdenker zeigt ebenfalls, dass Wissenschaftsfeindlichkeit viel weniger in der institutionalisierten katholischen Kirche Luxemburgs auszumachen ist, wie Aha auf seiner Internetseite insinuiert, als diffus in der Gesellschaft herumwabert. Was heißt das für die zeitgenössische Religionskritik in Westeuropa? Hat sich ihr Gegenstand verlagert oder ausgeweitet?

Es stimmt wohl eher zweiteres. Denn es bleiben problematische Entwicklungen in Religionen zu vernehmen. Der Religionssoziologe Deltef Pollack verortet sie in einer grassierenden Politisierung von Religion, wie aktuell in Osteuropa, Russland und den USA sowie in Kreisen des fundamentalistischen Islamismus zu beobachten. In Osteuropa und den USA wird Religiosität vermehrt mit einem neu-rechten nationalen Überlegenheitsstolz vermengt. Diese Stoßrichtung schwappt teilweise auf westeuropäische identitäre Gruppierungen über, bisher allerdings vor allem abseits der etablierten Kirchen und der offiziellen Kirchenwortführer. Aha interessiert sich rezent für diese Entwicklungen. So kommentierte Bob Reuter vergangenen Monat im Radio 100,7 den Kulturkampf der US-amerikanischen White Christian Nationalists.

Für diesen Sommer frischten Justizministerin Sam Tanson (Grüne) und Innenministerin Taina Bofferding (LSAP) das Zivilgesetzbuch aus dem Jahr 1804 auf und erlauben es nun auch Gemeinden, Hochzeiten und Lebenspartnerschaften (Pacs) an anderen Orten als im Rathaus durchzuführen. Der Gemeinderat bestimmt künftig neben dem Gemeindehaus einen oder mehrere Alternativ-Orte für Eheschließungen und Partnerschaftserklärungen. Auslöser für diese Gesetzesänderung war zunächst nicht die hohe Nachfrage nach personalisierten Zeremonien, sondern die Covid-Abstandsregelung, die die Innenräume von Standesämtern rasch füllten. Auf die Arbeit von Clod Thommes und Romain Osweiler hat diese Entscheidung keine Auswirkung, denn ihre Zeremonien haben keinen juristisch verbindlichen Charakter. Und in Zeremonien symbolischen Charakters mischt sich der Staat nicht ein. Aha-Präsident Bob Reuter erhofft, sich dadurch trotzdem eine Aufwertung von zivilen Zeremonien aller Art, wie er Ende Mai im Radio 100,7 mitteilte. Nicht-religiöse Menschen seien bisher benachteiligt gewesen, wie es auch die abwertende Aussage vermittelt: „Si hu sech just op der Gemeng bestuet“, so Reuter.

Stéphanie Majerus
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