leitartikel

Ugespaant

d'Lëtzebuerger Land vom 28.02.2025

„Auf den ersten Blick erscheinen die Straßen von Kiew wie die einer normalen Stadt“, berichtet CSV-Abgeordneter Laurent Zeimet nach seinem Besuch in der Ukraine. Von Sonntag bis Mittwoch begleitete er eine Delegation europäischer Abgeordneter in das kriegsgeplagte Land. „Doch sobald Drohnenalarm ertönt oder man an den Fotowänden gefallener Soldaten und ziviler Opfer vorbeigeht, wird die Notlage des Landes spürbar“, sagt Zeimet. Mehrfach musste er wegen Bombenalarms Schutz im Keller suchen – unter anderem am Montag, nur kurz vor Beginn einer Parlamentssitzung. Bei einem Treffen mit Präsident Selenskyj am Dienstag habe die Delegation den Eindruck gewonnen, dass sich die Ukraine „unter Druck spürt“. Das Land sei „ugespaant mee awer déterminéiert“, sagt der Vizepräsident der Kommission für Außenpolitik.

Seit einer Woche wird anlässlich des dritten Jahrestages dem Krieg und seinen Opfern gedacht. Am vergangenen Samstag rief die EU-Abgeordnete Tilly Metz (Déi Gréng) bei einer Ansprache während einer Demo in Luxemburg-Stadt ins Mikrofon: „Sie machen ein Land nicht wieder groß, indem sie lügen und indem sie Hass verbreiten.“ Ihre Worte richteten sich an die USA. Die Stimmung während des Umzugs war bedrückt; bei manchen Teilnehmern kullerten Tränen über die Wangen. So auch am Mittwoch während der Vorführung des Dokumentarfilms Porcelain War unter Anwesenheit des Kulturministers Eric Thill (DP), der wiederholt seine Solidarität mit ukrainischen Künstlern ausdrückte. Und zu Beginn der Woche freute sich Luc Frieden im Radio 100,7 über den Wahlerfolg von Friedrich Merz und seiner CDU: „Ukraine, Wirtschaftswettbewerb, all diese Fragen müssen geklärt werden; dafür braucht es einen starken Kanzler.“ Im L’Essentiel analysierte Frieden, das Nachbarland werde eine pro-europäische Koalition ansteuern. Friedrich Merz pflegt einen soliden Austausch mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk. Ausgerechnet der launische Merz muss nun mit dem in seinem Land unpopulären Macron den europäischen Motor voranbringen.

Die USA sind keine demokratisch agierenden Alliierten und „Freunde“, wie konservative Politiker gerne sagen, mehr. Wie geht es nun weiter mit Europa – zwischen Trump-Kakophonie und autoritär-russischer Expansionspolitik? Diese Frage beschäftigt aber nicht nur Frieden und Merz, sondern gleich zwei Veranstaltungen am Montag. Das IPW lädt zu einer Diskussion zwischen dem ehemaligen LSAP-Außenminister Jean Asselborn und dem ehemaligen SPD-Politiker Sigmar Gabriel in die Abtei Neumünster ein. Und in den Rotunden sind am Montag unter anderem Land-Autor Rainer Hesse und der Historiker Claude Ewert am Mikrofon einer Veranstaltung der Zeitschrift Forum.

Der jüngste Wahlkampf in Deutschland offenbart einmal mehr die Richtung, in die sich liberale Demokratien Europas bewegen. Die Trump-Regierung mischte sich in den Wahlkampf ein, um für die AfD zu werben; russische Troll-Bots ebenso. Ähnliche Entwicklungen sind in Bezug auf die Wahlen in Rumänien zu beobachten; der US-Vizepräsident JD Vance verteidigte die Wahl des moskautreuen Kandidaten Călin Georgescu. Wie der US-Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Junior ist Georgescu eine Figur, die das Lager anti-wissenschaftlicher Spiritualität und Alternativmedizin an rechtsextreme Ideen bindet. Hierzulande fand der ADR-Abgeordnete Tom Weidig die Amtseinführung von Donald Trump erbaulich, weil nun Schluss sei mit „reality-denying ideologies“ – womit er vermutlich auch LGBT-Rechte meinte. Diese Worte schrieb er während der Trump-Amtseinführung auf Facebook. „Change will come to Europe too!“, so der ADR-Parteiideologe Weidig weiter. Außenpolitik schlägt nun in einer neuen Qualität auf Innenpolitik durch. Vor dieser weiteren Herausforderung steht Europa.

Stéphanie Majerus
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