Leitartikel

Die bessere Wahl

d'Lëtzebuerger Land vom 19.07.2013

Die sozialistische Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres wie auch ihr politischer Ziehvater und Unterstützer Ben Fayot treten bei den nächsten Wahlen nicht mehr an. Nachdem die Liste der Unterlassungssünden des Premierministers in der Geheimdienstaffäre zu lang geworden war und die LSAP Jean-Claude Juncker das Vertrauen entzogen hatte, setzen die Sozialisten nun ganz auf den Neuanfang. Da macht der Rückzug der 63-Jährigen, die 1974 Mitglied bei den Sozialisten wurde, aus der aktiven Politik durchaus Sinn.

Doch leicht ist Mady Delvaux-Stehres für die Partei nicht zu ersetzen. Die Unterrichtsministerin hat als einzige eine umfassende Gesellschaftsreform in die Wege geleitet, deren Früchte teils erst später zum Tragen kommen dürften. Viel mehr hat die schwarz-rote Koalition am vorzeitigen Ende dieser Legislaturperiode nicht aufzuweisen. Andere Großprojekte, wie die Justiz-, die Verfassungs- oder die Scheidungsreform, sind auch nach jahrelangen Vorbereitungen noch immer nicht abgeschlossen.

Freilich stieß Delvaux mit ihren Plänen nicht immer und überall auf Zustimmung. Die Bildungspolitik ist ein schwieriges Ressort, mit dem sich selten Sporen verdienen lassen: Das Schulsystem ist schwerfällig, Änderungen dauern und sind schwierig durchzusetzen, weil jeder, der zur Schule gegangen ist, meint mitreden zu müssen.

Steinig war der Weg aber auch deshalb, weil die Ministerin, die sich selbst als Pragmatikerin bezeichnet, sich mehrfach krass verschätzt hat. Sie hat die Anpassungsfähigkeit der Schulen an die komplett umgekrempelte Berufsausbildung überschätzt, sich auf Berater und Direktoren verlassen, die die enormen Schwierigkeiten, mit denen die Lehrer heute kämpfen müssen, selbst nicht vorhergesehen haben.

Mady Delvaux-Stehres hat aber vor allem unterschätzt, wie groß die Ängste und der Widerstand der Lehrer sind und wie wenig das Ziel gleicher Bildungschancen geteilt wird. Vor allem die klassischen Lyzeen stellten sich quer. Da nutzte auch das sonst beschwichtigend wirkende Scheckbuch nicht mehr. Höhere Gehälter hatten noch die Grundschulreform versüßt. Doch für die Sekundarstufe ging die Rechnung nicht auf. Die parallele Reform des Beamtenstatuts und die neue Rechenschaftspflicht für Lehrer brachten das Fass bei den Morgenluft witternden Gewerkschaften zum Überlaufen. Es folgte eine der größten Lehrerdemonstrationen der vergangenen Jahre – und ein monatelanges Tauziehen um die „richtige“ Analyse der Bildungsmisere, das schlussendlich wieder in den üblichen Anschuldigungen und mit einer gespalteten Lehrerschaft endete. Für die Reformbefürworter, darunter Schüler- und Elternvertreter, hatte die Ministerin zu viele Zugeständnisse gemacht, für die Skeptiker zu wenige.

Vor dem Hintergrund mutet es schon fast ironisch an, dass ausgerechnet die Apess, die gemeinsam mit dem SEW am vehementesten gegen die Pläne der Ministerin mobilisiert hatte, sich nun um die Zukunft der Bildungspolitik sorgt. Mit dem Rückzug der Ministerin werde den Wählern die Gelegenheit genommen, über die Bildungspolitik der LSAP abzustimmen, bedauerte Apess-Präsident Daniel Reding. Er meinte wohl: sie abzustrafen. Vor allem aber sorgen er und seine Mitstreiter sich jetzt, ein Nachfolger könne „noch spektakulärere“ Neuerungen durchführen.

Die Sorge ist nicht ganz unberechtigt: Die Grünen, die als einzige größere Partei weitergehende Schulreformen wollen, wähnen sich im Aufwind. Dass die Sekundarschulen anders aufgestellt werden müssen, darin sind sich alle Parteien einig. War am Ende die pragmatische Mady Delvaux-Stehres gar die bessere Wahl?

Ines Kurschat
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