Im Zickzackkurs sträuben sich Luxemburg und Österreich weiter gegen den automatischen Austausch von Steuerinformationen und machen sich damit in Europa sehr unbeliebt

Steife Brise

d'Lëtzebuerger Land du 25.05.2012

„Das steht ja gar nicht auf der Tagesordnung, das Bankgeheimnis aufzugeben“, sagte Finanzminister Luc Frieden (CSV) vergangene Woche vor der Sitzung der Euro-päischen Finanzminister einer Journalistin. Damit hatte der Jurist Frieden technisch gesehen natürlich Recht. Als er das Treffen im Nachhinein „ganz schwierig“ nannte, wurde deutlich, dass er sich als Politiker dennoch geirrt hatte, und die anderen Länder genau diese Agenda verfolgen: das Bankgeheimnis abzuschaffen.

So sind Luxemburg und Österreich, die an der Quellensteuer auf Zinseinkommen festhalten, in ihrer Opposi-tion gegen den automatischen Austausch von Steuerinformationen isoliert wie eh und je. Vier Jahre nach Ausbruch des Liechtenstein-Skandals um deutsche Steuerflüchtige, durch den die Diskussion über die Reform der Zinsbesteuerungsdirektive ins Rollen kam, wollen die Finanzministerkollegen die spitzfindigen Argumente Luxemburgs für die Quellensteuer und gegen den automatischen Informationsaustauch nicht hören. Wahrscheinlich auch, weil die Argumenta-tionslinie nicht immer ganz gradlinig verläuft. Dass es so lange gedauert hat, bis die Diskussion wieder aufgeflammt ist, liegt wahrscheinlich mindestens zu gleichen Teilen am Verhandlungsgeschick des zuständigen Ministers wie daran, dass die EU-Finanzminister seit Herbst 2010 wegen der tobenden Euroschuldenkrise keine Zeit und andere Prioritäten hatten.

Das hat sich geändert, seit die EU-Staaten auf der Suche nach Geldern sind, mit denen das Wachstum in der EU angekurbelt werden soll. EU-Steuerkommissar Algirdas Šemeta hat in Sachen Steuerinformationsaustausch die Samthandschuhe ausgezogen und nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es um Luxemburg und Österreich geht. Als die zwei Länder vergangene Woche ihre Zustimmung für ein Mandat verweigerten, das ihm erlaubt hätte, Verhandlungen über Änderungen der Zinsbesteuerungsrichtlinie mit der Schweiz, Monaco, Andorra, Liechtenstein und San Marino aufzunehmen, denen sie zur Umsetzung zustimmen müssen, nannte er das „grob unfair“, sagte sich „extrem frustriert“. Im diplomatischen Sprachgebrauch eine gewagte Audrucksweise.

Zum Eklat war es gekommen, weil Šemeta von den Ministern nicht nur ein Mandat wollte, um über einen erweiterten Anwendungsbereich der Direktive zu verhandeln. Darauf, die Schlupflöcher zu schließen, neben Zinsen andere Kapitaleinkommen im Rahmen der Richtlinie zu besteuern und deren Entrichtung nicht nur von natürlichen Personen zu verlangen, sondern auch von Strukturen wie Fonds und Stiftungen, die sie zwischenschalten könnten, hatten sich die Minister bereits vor zweieinhalb Jahren geeinigt. Er wollte in seinen Verhandlungen auch sehen, inwieweit „rezenten internationalen Entwicklungen“ Rechnung getragen werden könnte. Dem wollten Luxemburg und Österreich nicht zustimmen. Ihr – von den Kollegen abgelehnter – Gegenvorschlag bestand darin, diesen Satz aus dem Mandat zu streichen.

Das Argument: Es sei nicht klar, von welcher Entwicklung die Rede sei. Einer Entwicklung hin zum Informa-tionsaustausch oder hin zur Abgeltungssteuer? Im Vorfeld der Sitzung hatte sich Frieden bemüht, in deutschen Zeitungen deutlich zu machen, die so genannten Rubik-Abkommen, wie sie die Schweiz mit Deutschland, Großbritannien und Österreich abgeschlossen hat, würden einen neuen Standard setzen: Die Abgeltungssteuer als effizientes Instrument zur Steuereintreibung. Dabei ist das Steuerabkommen mit der Schweiz selbst deutschlandintern sehr umstritten. Die Oppositionsparteien lehnen es ab, weil es den Steuerflüchtlingen erlaubt, ihre Anonymität zu bewahren und pauschal für die vergangenen Jahre abzurechnen. Ihnen fehlt das Bestrafungselement.

Frieden hingegen, der vergangene Woche bekräftigte, Luxemburg gehe es darum, das effizienteste Instrument zu finden, fehlt immer noch die Analyse darüber, welches System sich zur grenzüberschreitenden Steuereintreibung am besten eignet. Damit hat er wiedrum Recht. In dem kürzlich vorgelegten zweiten Bericht über die Anwendung der Zinsbesteuerungsrichtlinie bleibt unklar, wie gut der automatische Informationsaustausch zwischen den Ländern funktioniert, die ihn praktizieren. Der Bericht förderte vielmehr die großen Unterschiede zu Tage, mit denen die Länder den Anwendungsbereich der Richtlinie auslegen – sowohl, was das Einkommen als auch die Strukturen betrifft, die zu besteuern sind. Nur Österreich, Belgien, Deutschland und Ungarn konnten Zahlen darüber vorlegen, wie oft die von anderen Ländern erhaltenen Informationen zu Steuerkontrollen führten. Darüber, was ihnen das an Steuermehreinnahmen gebracht hat, ist nichts bekannt. Auch nicht, inwieweit die anderen Länder die Daten verwerten und zu Geld machen können. Und ausgerechnet Schweden, das vielen als Musterbeispiel in Sachen Steuertransparenz dient, das den Kompromiss über die Erweiterung des Anwendungsbereichs der Richtlinie verhandelte, hat noch nie Angaben über deren Anwendung gemacht.

So beschränkt sich die Kommission darauf, die Summe der Kapitaleinkünfte zu nennen, über die Informa-tionen ausgetauscht wurden. Das waren für alle EU-Länder 2006 12,2 Milliarden Euro, 2007 38,9 Milliarden Euro, 2008 16,7 Milliarden Euro und 2009, dem letzten verfügbaren Datensatz, 9,8 Milliarden Euro. Ironischerweise wurde ein großer Anteil davon aus Luxemburg gemeldet, das den Bankkunden ermöglicht, ihre Heimatsteuerbehörden auf freiwilliger Basis zu informieren. Das Geld ist damit deklariertes Einkommen und kein Schwarzgeld. So meldeten EU-Bürger mit Konto in Luxemburg 2006 4,1 Milliarden Euro Zinseinkünfte und Einkünfte aus Anlageverkäufen an ihren Fiskus, 2007, 2008 und 2009 jeweils 6,3; 5,6 und 1,6 Milliarden Euro. Summen, die außer 2005 und 2007 sogar die aus Großbritannien gemeldeten Einkünfte übertrafen. In den gleichen Jahren, von 2006 bis 2009, überwies Luxemburg zudem jeweils 124,59; 153; 174,72 und 122,95 Millionen Euro Quellensteuer an die anderen EU-Mitgliedstaaten. Ob das heißt, dass es tatsächlich wenig Schwarzgeld in Luxemburg gibt? Weil es derzeit so einfach ist, die Zinsbesteuerung durch Anlagen in andere Produkte zu umgehen, sagen die Zahlen wenig über den tatsächlichen Schwarzgeldgehalt am Luxemburger Finanzplatz aus.

Deswegen sind die heftigen Anfeindungen Šemetas nicht ganz ungerechtfertigt. Er hatte gesagt, Luxemburg und Österreich müssten den Bürgern anderer EU-Länder, die derzeit für die Austerität in Europa zahlen müssen, erklären, warum sie Fortschritte bei der besseren Eintreibung der Steuergelder verhindern, Steuern, „die ihre Länder dringend brauchen und die ihnen zustehen“ . Durch ihre Blockade verhindern die beiden Länder nämlich auch, dass die längst identifizierten Schlupflöcher geschlossen werden. „Das Argument, Luxemburg und Österreich schützten ihre nationalen Interessen, hat keinen Bestand“, so der Kommissar nach dem Treffen, weil das zu verhandelnde Abkommen mit den Drittstaaten ohnehin noch einmal von allen Mitgliedstaaten angenommen werden müsste. Kein Wunder, dass er die Haltung verlor und wetterte, die Position der beiden Quellensteuerländer sei „nicht zu rechtfertigen“. Denn so ist es in der Richtlinie vorgesehen. Luxemburg und Österreich könnten bei einem späteren Votum ein eventuelles Abkommen, das nicht nach ihrem Geschmack wäre, immer noch ablehnen.

Dass man es darauf nicht ankommen lassen will, hatte Frieden eigentlich schon im Oktober 2009 eingestanden, als es um die Verhandlung von Anti-Betrugsabkommen mit Liechtenstein und den anderen Drittstaaten ging. „Multilaterale Verhandlungen“ hatte er damals gesagt, konnte er nicht zustimmen, weil das „den Übergang zum automatischen Informationsaustausch eingeleitet hätte“.

Deswegen ist Frieden ebenso unglaubwürdig, wie die anderen EU-Finanzminister. Sie werden von den heimischen Bankiers verdächtigt, gar nicht an einer effizienten Steuereintreibung interessiert zu sein. Vielmehr ginge es ihnen vorrangig um die Repatriierung des Kapitals, das ihre Bürger in anderen Ländern angelegt, glaubt ABBL-Direktor Jean-Jacques Rommes. Denn nach wie vor geht es auch Luxemburg nicht wirklich darum, dass man den automatischen Informationsaustausch als Instrument ineffizient findet, sondern darum, dass er für den Bankplatz geschäftsschädigend wäre und man ihn deshalb nicht will.

Der Zickzackkurs, den die Regierung in den vergangenen Jahren in punkto Steuerinformationen gefahren ist, verdeutlicht dies nur zu gut. Erst beteuerte man, es gebe gar kein Schwarzgeld in Luxemburg, ließ sich nur unter dem enormen Druck des G20-Gipfels 2009 dazu bewegen, den Informa-tionsaustausch auf Anfrage als Standard anzunehmen. Seither lautet die offizielle Linie der Bankiers – die sich oft mit der von Finanzminister Luc Frieden deckt – „Schwarzgeld? Das gab es, ist aber passé.“ So umfasst die von den Luxemburger Privatbanken umworbene Zielgruppe ihrem Verband zufolge mittlerweile solche Hochverdiener, denen sie bei der Steuererklärung helfen, statt sie zu umgehen. „Weiße Finanz“ lautet das Stichwort.

Wozu sich also noch gegen den automatischen Datenaustausch wehren? Auch in den anderen Ländern gäbe es intern nicht den automatischen Informationsaustausch, den man auf internationaler Ebene einführen wolle, argumentiert ABBL-Direktor Rommes. Mit dem Unterschied, dass die Kundschaft in Luxemburg zu 98 Prozent aus dem Ausland stamme und nur zu zwei Prozent aus dem Inland. In den anderen Ländern sei es umgekehrt, deswegen schade der zwischenstaatliche Austausch vor allem dem Luxemburger Finanzplatz. Auch Kunden, so Rommes, die nichts zu verbergen hätten, wollten nicht, dass ständig Informationen über sie zirkulierten.

Eben dies ist wohl ein weiterer Grund für den Zickzack den die Offiziellen von Regierung und Bankenverbänden fahren. Einerseits will man die Kunden beruhigen und ihnen größtmöglichste Diskretion zusichern. Andererseits streicht man in zwischenstaatlichen Verhandlungen hervor, dass es seit der Zustimmung zu den OECD-Steuerstandards 2009, die den Datenaustausch auf Anfrage zulassen, das Bankgeheimnis als solches ja gar nicht mehr gibt, es also auch niemandem schaden kann. Dass das Bankgeheimnis im Zuge der Kavallerie-Indianer- und Soldaten-Diskussionen 2009 zwischen den damaligen SPD-Spitzenpolitikern Franz Münterfering und Peer Steinbrück und Staatsminister Jean-Claude Juncker zum nationalen Heiligtum hochstilisiert wurde, erleichtert den Umgang mit der Bankgeheimnis-Problematik nicht gerade.

Dabei ist nicht unbedingt gesagt, dass sich das Festhalten an der Quellensteuer unbedingt positiv für den heimischen Finanzplatz auswirkt. Zumal die Quellensteuer seit vergangenem Sommer auf Basis der Richtlinie auf 35 Prozent angestiegen ist und dadurch sehr viel höher ist als in vielen anderen Ländern, was Luxemburg als Anlageort unattraktiv macht.

Die Zentralbank (BCL) bescheinigt den Luxemburger Banken in ihrem Stabilitätsbericht, dass die Einlagen der ausländischen Kundschaft seit Jahren rückläufig sind und führt dies zum Teil auf die Krise, vor allem aber auf die Wirkung der Zinsbesteuerungsrichtlinie zurück. Betrugen die Einlagen der Haushalte aus der Eurozone (Luxemburg ausgenommen) 2003 noch 35 Milliarden Euro, waren es 2011 nur noch 19 Milliarden. Die Einlagen der Haushalte aus der restlichen Welt gingen allein von 2010 auf 2011 von 19 Milliarden auf 13 Milliarden zurück.

Wie lange sich Luxemburg und Österreich noch werden querlegen können, wird wohl davon abhängen, ob die Schuldenkrise wieder an Dramatik gewinnt und in den Vordergrund rückt oder nicht. Denn auch wenn Frieden den Datenaustausch auf Anfrage in Kombination mit der Abgeltungs-steuer als internationalen Standard promotet und darauf verweist, dass die G20-Staaten, darunter die USA 2009 nicht den automatischen Austausch zu ihrem bevorzugten Instrument gemacht haben, bläst ihm ein sehr scharfer Wind um die Ohren. Die USA, die laut Richtlinientext bereit sein müssen, den EU-Staaten über Zinseinkünfte auf Anfrage Auskunft zu geben, galt den hiesigen Bankiers bislang als letzter Rettungsanker, weil, so die vorherrschende Meinung, sie sich niemals darauf einlassen würden, selbst Daten herauszugeben, statt nur welche über die eigenen Steuerzahler zu sammeln.

Ob man in Luxemburg die Zeichen der Zeit erkennt? Denn auch die USA haben ihre Haltung geändert. Im Februar reagierte die US-Regierung auf die scharfe Kritik an ihrem so genannten Fatca-Gesetz über die Besteuerung von US-Bürgern im Ausland und bot Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien und Großbritannien den automatischen Austausch der Informa-tionen an, die sie über ihre Bürger verlangt.

Michèle Sinner
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