Le Luxembourg sidérurgique

Der Arbed-Film als Genre

d'Lëtzebuerger Land du 19.01.2006

Vielleicht gibt es in der nicht eben reichen Luxemburger Filmgeschichte, neben frühen Dokumentar- und Halbamateurfilmen, Trick- und Tourismusfilmen, neben rezenten Spiel- und neuerdings Steuergutschriftsfilmen, ein eigenes Genre des Arbed-Films. Was nicht verwundern würde angesichts der Rolle, welche die Schwerindustrie in der Luxemburger Gesellschaft spielt. Aber auch angesichts der visuellen Kraft, die von Bildern prometheischer Hochöfen, heroischer Bergleute und gewaltiger Maschinen ausgeht, angetrieben von einer einzigen Erzählung, die von der unerschöpflichen Dialektik von Archaik und Moderne lebt. Einen ersten, unvollständigen Überblick der Geschichte des Arbed-Films bietet nun die vom Centre national de l’audiovisuel (CNA) herausgegebene Sammlung Le Luxembourg sidérurgique. Huit films autour de l'acier. Den Anfang macht ein 1921 von der neu gegründeten Arbed-Vertriebsgesellschaft Columeta bei dem französischen Regisseur Auguste Labruyère in Auftrag gegebenes, aufwändiges Firmenporträt. Nach den wirtschaftlichen und sozialen Erschütterungen des Ersten Weltkriegs sollte es unter dem Titel Columeta die Leistungsfähigkeit der neue Märkte erschließenden Gruppe, aber auch ihre soziale Fürsorge demonstrieren. Wenige Monate nach dem ersten Mickey-Mouse-Zeichentrickfilm, im Jahr des großen Börsenkrachs 1929, ließ die Columeta bei dem französischen Trickfilmspezialisten Alain Mourlan dann den schönsten aller Arbed-Filme produzieren, Une grande industrie dans un petit pays. Aufregender und humorvoller als alle Powerpoint-Demonstrationen dieser Welt setzte er die aberwitzigsten Statistiken der Gruppe in bewegte Bilder um, mit fliegenden Stahlwerken, tanzenden Maschinen und 350 Eiffeltürmen zur Veranschaulichung der Jahresproduktion der Arbed. Die Stadt Esch-Alzette, die am Wochenende 100 Jahre Stadtrecht feierte, hatte 1956 zum 50. Jahrestag vom lokalen Hobbyfilmerverein Esch-sur-Alzette métropole du fer drehen lassen. In der Wiederaufbaueuphorie nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs glorifizierte er im Stil der sowjetischen Propagandafilme seiner Zeit die städtebaulichen und sozialpolitischen Leistungen der Gemeindeführung und die Arbeit der stolzen Escher Männer in den Hütten und  Bergwerken. Plötzlich regnete es erstmals in einem Arbed-Film. So symbolisierte Equilibre et mouvement 1981 die sozialen und psychologischen Folgen der großen Stahlkrise Mitte der Siebzigerjahre. Paul Leleu und, ein Jahr zuvor, Edouard Berne mit Aciéries dans un parc versuchten im Auftrag von Arbed beziehungsweise Columeta, den Defätismus der "industrie crépusculaire" mit bombastischer Musikbegleitung Lügen zu strafen, aber auch Managementphilosophie und Umweltschutz in das Genre des Arbed-Film einzubringen. Doch gerade in dem Augenblick rutschte die Arbed noch tiefer in die Krise, geriet an den Rand der Zahlungsunfähigkeit und baute Tausende weiterer Stellen ab. Während die Stahlproduktion seither zu einem hochproduktiven Hightech-Unternehmen mit computergesteuerten Elektroöfen und Walzstraßen wurde, verdrängte der Finanzplatz sie außerhalb des Escher Kantons immer mehr aus dem öffentlichen Bewusstsein. Dadurch begann ein neues Kapitel in der Geschichte des Arbed-Films.  An die Stelle der von Arbed und Columeta produzierten Firmenfilme voller Zukunftseuphorie und Technikvertrauen traten die nostalgischen Dokumentarfilme betriebsfremder Regisseure, die einer Glanzzeit der Männer aus Eisen nachtrauerten. Das CNA verkaufte die ersten Arbed-Filme erfolgreich als Videokassetten. In Carreaux de mine inszenierte Anne Schroeder 1997 mit Interviews pensionierter Bergleute den Rückblick auf eine große Epoche. Und im selben Jahr filmten Menn Bodson und Romain Goerend das Staatsbegräbnis für De leschten Héichuewen im Stil einer Hei-elei-kuck-elei-Reportage. Den interessantesten Dokumentarfilm über die Geschichte der Stahlindustrie machte schließlich der seither durch Heim ins Reich bekannt gewordene Claude Lahr 1998 mit Stol, da er sich auch der sozialen und politischen Geschichte der beherrschenden Industrie des Landes widmete. Zur selben Zeit hatte das CNA den Film Columeta von 1921 restauriert, unter dem Titel Vu Feier an Eisen neu aufbereitet und Ende 1997 in Düdelingen mit großem Aufwand und einem Hauch von Rührung vorgeführt.

Le Luxembourg sidérurgique. Huit films autour de l'acier, Düdelingen, CNA, zwei DVD, 308 Minuten, 24,90 Euro

Romain Hilgert
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