Der Staat hat große Schwierigkeiten, Beamte zu finden

Keine ruhige Kugel

d'Lëtzebuerger Land vom 10.11.2017

Nicht kleckern, sondern klotzen. So konnte man die Ansage von Finanzminister Pierre Gramegna (DP) bei der Hinterlegung des Haushaltsentwurfs für 2018 verstehen: 500 neue Posten in der Bildung, plus 200 Mitarbeiter, um Kinder mit spezifischen Anforderungen in den Schulalltag zu integrieren. Darüber hinaus 100 zusätzliche Posten bei der Steuerverwaltung und 20 bei der Einregistrierungsbehörde; all das versprach Gramegna vor einem Monat.

Damit gab er kein besonders großzügiges Versprechen. Der Personalmangel in den Schulen sorgte bei Schulbeginn wochenlang für Schlagzeilen. Darauf, dass auch die Steuerbehörden personell unterbesetzt sind, machte vergangenes Jahr während des Luxleaks-Prozesses der Angeklagte Raphaël Halet aufmerksam, als er erzählte, sein ehemaliger Arbeitgeber PWC habe Logistikarbeiten für den Steuerbeamten Marius Kohl übernommen, um diesen zu entlasten. In den Tätigkeitsberichten der Steuerverwaltung kann man nachlesen, dass sich die Arbeitslast der Beamten in den vergangenen Jahren verdreifacht hat. Eine ruhige Kugel schieben sie sicher nicht.

Im Tätigkeitsbericht 2016 der Einregistrierungsbehörde heißt es gleich in der Einleitung, wegen der in den vergangenen Jahren ständig wachsenden Zahl an Steuerpflichtigen bei zunehmend komplexen Sachlagen und einem kaum veränderten Personalbestand sei die Verwaltung Anfang 2017 „sur le fil du rasoir“. Auch wird gewarnt: Ohne neues Personal werde es bald nicht mehr möglich sein, die indirekten Steuern einzutreiben und somit die Gleichheit vor dem Gesetz aller Steuerpflichtigen zu wahren: „Malgré de permanents efforts en matière d’organisation et d’informatisation, soutenus activement par le Gouvernement, la vérité finit toujours par s’imposer : un nombre suffisant d’agents bien formés et motivés constitue la condition indispensable à un travail de qualité dans l’intérêt des finances publiques du pays et de la sauvegarde de l’égalité de tous devant l’impôt.“ Im Klartext heißt das nicht anderes, als dass der Staat riskiert, eine seiner elementarsten Aufgaben, das Eintreiben von Steuern, nicht mehr wahrnehmen zu können.

Der Personalmangel beschränkt sich nicht auf die Steuerbehörden. Auch im Finanzministerium selbst fehlt es an Mitarbeitern, die beispielsweise die Umsetzung von Richtlinien aus Brüssel vorantreiben. Oder über die Verteidigung nationaler Interessen in der europäischen Hauptstadt wachen. So jüngst geschehen, als die EU-Kommission vorschlug, der Europäischen Wertpapierbehörde ESMA mehr Kompetenzen bei der Zulassung von Investmentfonds auf Kosten der nationalen Behörden wie der CSSF einzuräumen. Das Problem beschränkt sich nicht nur auf das Finanzministerium, sondern betrifft alle Verwaltungen des Staates. Nachlesen kann man das im Tätigkeitsbericht des Ministeriums für den öffentlichen Dienst. Der Bericht straft alle jene aus der Privatwirtschaft Lügen, die finden, der Luxemburger Staat sei nicht schlank genug. Denn darin sieht man, grafisch aufbereitet, dass seit 1970 die Zahl der Beschäftigten im Bildungswesen stark angestiegen ist, die derjenigen in den anderen Verwaltungen des Staates hingegen nur sehr moderat. So ist der Anteil des Lehrpersonals am staatlichen Personalbestand von 32 Prozent 1970 auf 52 Prozent 2016 gestiegen.

Auch im eigenen Ministerium hat Gramegna deshalb eingestellt und weitere Posten ausgeschrieben. Die Schwierigkeit liegt darin, sie mit geeignetem Personal zu besetzen. Im vergangenen Jahr schrieb das Ministerium für den öffentlichen Dienst insgesamt (das Bildungswesen, die Sicherheitskräfte und die Magistratur haben jeweils ihr eigenes Rekrutierungssystem) in den unterschiedlichen Karrieren 490 Posten aus. An Kandidaturen mangelte es nicht, es meldeten sich 14 767 Anwärter. An den im Laufe des Jahres organisierten zwölf Terminen für das Staatsexamen bestanden allerdings von 1 778 Teilnehmern nur 476 die Prüfung, also 26 Prozent. Das waren weniger als freie Posten ausgeschrieben waren.

Das Staatsexamen mit seinen Prüfungen zum staatlichen Betrieb, über Verfassung, Gewaltentrennung und Allgemeinwissen stellt seit der von der Vorgängerregierung unternommenen Reform der Zulassung zum öffentlichen Dienst dabei die erste Hürde dar, und es gibt quer durch die Karrieren einen gemeinsamen Wissensstrang, der abgefragt wird. Seither ist die Quote derjenigen, die das Staatsexamen bestehen, in den oberen Karrieren von rund der Hälfte der Kandidaten auf ein Drittel gefallen. Doch um in den Stage aufgenommen zu werden, müssen sich die Anwärter auf einen Posten bei ihrem potenziellen Arbeitgeber vorstellen und individuellen Einstellungsgesprächen unterziehen, um zu ermitteln, ob sie sich für die spezifische Stelle eignen. Nicht jeder, der das Staatsexamen überstanden hat, bekommt nach dieser zweiten Etappe tatsächlich einen Posten. 2016 wurden laut Tätigkeitsbericht nur 100 Kandidaten zum Stage zugelassen. Deshalb sagt Paulette Lenert, Erste Regierungsrätin und Generalkoordinatorin im Ministerium für den öffentlichen Dienst, über die Rekrutierungsprobleme beim Staat: „Man kann das nicht verharmlosen.“

Dieses Jahr dürfte es sich zuspitzen, denn allein bis Oktober wurden bereits über 1 300 neue Posten ausgeschrieben. Zwar zieht sich das Problem durch alle Karrieren, doch besonders schwierig ist es, Informatiker, Ingenieure und Erzieher zu finden, die das Staatsexamen bestehen. Zurückzuführen ist das auch auf demografische Ursachen, wie man in den Angaben des Statec sehen kann. In der Zielbevölkerungsgruppe im arbeitsfähigen Alter zwischen Mitte 20 und 50 sind die Luxemburger unterrepräsentiert. Hinzu kommt, dass die Luxemburger nicht unbedingt die höchsten Qualifikationen mitbringen, also über weniger Diplome verfügen als die ausländischen Mitbürger, die auf den Luxemburger Arbeitsmarkt sind. Doch die Sprachenanforderungen für den öffentlichen Dienst verlangen nach wie vor, die drei offiziellen Sprachen, Luxemburgisch, Deutsch und Französisch zu beherrschen. Der Anteil der Luxemburger an den im öffentlichen Dienst Beschäftigten hat sich in den vergangenen Jahren kaum verändert und liegt bei knapp über 90 Prozent.

Weil der Staat irgendwie funktionieren muss, ist die blau-rot-grüne Regierung, das zeigen Angaben des Ministeriums für den öffentlichen Dienst, vermehrt dazu übergegangenen, Sprachenfreistellungen zu vergeben: Seit 2013 hat sich die Anzahl der gewährten Freistellungen mehr als verdreifacht. Die Probleme bei der Rekrutierung von Beamten mit bestandenem Staatsexamen haben ein weiteres Phänomen zur Folge: die vermehrte Einstellung von Mitarbeitern im Angestellten-, statt im Beamtenstatut. Seit 1970 ist die Zahl der Angestellten im öffentlichen Dienst um 627 Prozent angestiegen, während die der Beamten um 119 Prozent stieg. Berücksichtigt man dabei noch den starken Zuwachs bei den verbeamteten Lehrern, ergibt sich ein bedenkliches Bild.

Um dem Problem beizukommen, testen Paulette Lenert und ihre Mitarbeiter verschiedene Ini­tiativen. Sie versuchen über die Webseite govjobs.public.lu den Staat als attraktiven und modernen Arbeitnehmer darzustellen, bei dem die Angebote einfach zu finden und Kandidaturen einfach zu stellen sind. Außerdem sollen künftig auch die offenen Stellen beim Staat ins Stellenangebot der Adem aufgenommen werden, wo sie bisher nicht angezeigt sind.

Angesichts der hohen Zahl an Kandidaturen sieht es nicht so aus, als ob der Staat als Arbeitgeber nicht mehr attraktiv sei, daran scheint auch die von der Vorgängerregierung mit der CGFP vereinbarten Senkung der Anfangsgehälter während des Stage auf 80 Prozent in den ersten zwei Jahren und 90 Prozent im dritten Jahr nichts geändert zu haben – obwohl die Staatsbeamtengewerkschaft in Vorbereitung der nächsten Wahlen fordert, diese Maßnahme rückgängig zu machen. Deshalb konzentrieren sich die Lösungsansätze auf das Staatsexamen. Im Juli wurde eine großherzogliche Verordnung hinterlegt, die auf mehr Reaktivität und Flexibilität bei der Organisation des Staatsexamens abzielt. Es soll weiterhin zwei Etappen geben, einen generellen und einen spezifischen Eignungstest. Dabei soll die Zahl der Prüfungen im generellen Eignungstest von fünf auf drei reduziert werden, darunter eine Prüfung zum Allgemeinwissen, zum nationalen und internationalen politischen Geschehen und eine Übersetzung aus dem Luxemburgischen ins Französische oder Deutsche. Das Abfragen von auswendig gelernten Texten über Staat und Verwaltungen soll künftig entfallen. Derzeit wird im staatlichen Ausbildungszentrum Inap darüber hinaus im Rahmen eines Pilotprojekts eine neue Art Staatsexamen getestet. Freiwillige, die das Examen bereits bestanden haben, legen dort einen Eignungstest nach belgischem Modell ab, der kein Wissen, sondern Kompetenzen abfragt. Beim nächsten Staatsexamen sollen die Kandidaten beide Arten von Prüfungen ablegen. Auf die Ergebnisse darf man gespannt sein.

Michèle Sinner
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