leitartikel

Titanesque

d'Lëtzebuerger Land du 26.04.2024

DP-Kongresse sind in der Regel spannungsarme Veranstaltungen, bei denen die Parteivorsitzenden und ab 2013 der Premierminister sich und ihre Partei beweihräuchern. Beim ersten DP-Kongress nach dem Regierungswechsel am Samstag in Leudelingen war das nicht anders, wäre da nicht der Präsident der Jungdemokraten und Leudelinger Bürgermeister gewesen, der in seiner Ansprache eine Lanze für „Atomkraft als Brückentechnologie“ gebrochen hätte: „Als Ingenieur soen ech iech, mir sti virun engem Defi titanesque.“ Sowohl Parteipräsident Lex Delles als auch Vizepremier Xavier Bettel widersprachen ihm.

Lou Linsters Forderung, die mit Applaus bedacht wurde, ist nicht neu. Vor zwei Jahren, als CSV und ADR das Nationale Aktionskomitee gegen Atomkraft verließen, hatte der damalige Vizepräsident der Jungdemokraten schon gegenüber dem Land unterstrichen, Klimaneutralität sei ohne Atomenergie nicht zu erreichen. Vor einem Jahr hatte sein Vorgänger, der Baunigenieur Michael Agostini, eine mögliche nukleare Katastrophe als kleineres Übel gegenüber den Folgen des Klimawandels bezeichnet. Neu ist aber, dass die JDL diese „kleine außenpolitische Kurskorrektur“ auf einem DP-Kongress vorbringt.

Die Jungliberalen waren in den vergangenen Jahren vor allem durch gesellschaftspolitische Forderungen nach mehr Gleichberechtigung, einem Geburtshaus, der Privatisierung von Blutspendeabnahmen und der Legalisierung von Cannabis aufgefallen. Zusammen mit anderen Jugendparteien hatten sie sich gegen Wohnungsnot eingesetzt. Seit Linsters Wahl treten sie rechtsliberaler als die DP auf. Vor einem Monat forderte der Nationalvorstand in einer Mitteilung, die Regierung müsse die von CSV-Premier Luc Frieden auf europäischer Ebene angestoßene „technologieoffene“ Debatte weiterführen, von der CSV-Umweltminister Serge Wimes sich distanzierte und die nicht im Koalitionsvertrag steht. Die JDL verbündet sich in dieser Frage mit Frieden gegen die Regierung, die eigene Mutterpartei und ihren Außenminister.

Die DP ging 2023 sowohl aus den Gemeindewahlen als auch aus den Kammerwahlen gestärkt hervor. Drei Legislaturperioden hintereinander ist sie nun in der Regierung, die „Macher“ der Koalition mit LSAP und Grünen von 2013 haben an Einfluss verloren: Xavier Bettel ist als Außenminister nur noch selten in Luxemburg, Claude Meisch ist inzwischen der dienstälteste Bildungsminister aller Zeiten und hat mit dem Wohnungsbau ein Ressort übernommen, mit dem kein Blumentopf zu gewinnen ist. Corinne Cahen möchte Lydie Polfer als Bürgermeisterin beerben, Marc Hansen hat außer der DP-Vizepräsidentschaft kein Mandat mehr.

Die aktuelle Parteispitze – Präsident Lex Delles, Generalsekretärin Carole Hartmann, Fraktionspräsident Gilles Baum – kommt aus dem Osten. Dass zum ersten Mal seit 20 Jahren wieder auf einem Kongress kontrovers diskutiert wurde, kann der DP als Stärke ausgelegt werden, interne Debatten zuzulassen. Oder als Schwäche einer Parteiführung, die ihre Basis nicht im Griff hat.

Elektoral hat der Ostbezirk kaum Gewicht. Sowohl Lou Linster als auch Michael Agostini kommen aus dem Süden, wo die DP seit 2023 erstmals vier Sitze hat. Sollte Claude Meisch sich zurückziehen, hinterlässt er ein Machtvakuum, das zu füllen dem Familienminister Max Hahn aus Dippach das Format fehlt. Das schafft Raum für ehrgeizige Nachwuchspolitiker/innen, an denen es im Süden nicht mangelt.

Anders im traditionell wichtigsten Bezirk der DP, dem Zentrum. In der Kammer liegt das Durchschnittsalter der Zentrumsabgeordneten 20 Jahre über dem der Südabgeordneten. DP-Vizepräsident Claude Lamberty und die Metzgerin Anne Kaiffer können erst nachrücken, wenn Lydie Polfer (71), Simone Beissel (70) oder Guy Arendt (70) zurücktreten. Nachwuchshoffnungen wie Loris Meyer, Stéphanie Goerens, Nicholas Wurth oder Jana Degrott konnten sich bislang nicht durchsetzen.

Sollte dem der Premierbonus abhanden gekommene Charismatiker Xavier Bettel tatsächlich irgendwann einen europäischen Spitzenposten annehmen oder aus anderen Gründen aufhören, blieben aus diesem Bezirk in der Regierung nur noch die 2022 als Quereinsteigerin zur DP gestoßene Verteidigungsministerin Yuriko Backes und die zurückhaltende Digitalisierungsministerin Stéphanie Obertin. Eine Polfer oder ein Bettel schlummert in keiner von beiden.

Luc Laboulle
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