Religionsgeschichte ist auch Übersetzungsgeschichte. Doch wie kann man diese Tatsache ausstellen und ein breites Publikum dafür begeistern? Ein Gespräch mit der Leipziger Religionswissenschaftlerin und Kuratorin Katja Triplett

„Ausstellen heißt übersetzen“

d'Lëtzebuerger Land du 08.10.2021

Vom 8. Oktober 2021 bis 13. Februar 2022 stellt die Universitätsbibliothek Leipzig in der Bibliotheca Albertina Schriftstücke aus ihren Beständen aus. Sie geben Auskunft über das Bemühen, die eigene Religion und die Religion der anderen sprachlich und in Bildern verständlich zu machen. Die Geschichte der Suche nach Urtexten der Bibel ist ebenso Thema der Ausstellung wie der Einfluss der wissenschaftlichen Übersetzung auf die Religion, etwa auf das Yezidentum. Die Ausstellung zeigt Beispiele für das Übersetzen als Arbeit am religiösen Text aus zwei Jahrtausenden. So können Besucher und Besucherinnen einige der Schätze der Universitätsbibliothek entdecken, wie einen Pergamentstreifen mit Gebeten für einen mehrsprachigen Gottesdienst aus Ägypten, eine mittelalterliche Handschrift mit Worterklärungen zur Bibel auf Altfranzösisch in hebräischer Schrift und ein arabischsprachiges Wörterbuch eines schiitischen Gelehrten des 10. Jahrhunderts, der in religiöser und geheimer Mission unterwegs war. Wir haben uns mit der Kuratorin der Ausstellung Übersetzte Religion. Im Dickicht der wahren Worte, Privatdozentin Dr. Katja Triplett, unterhalten.

d’Land: Die erste Frage bezieht sich natürlich auf den Anlass für eine Ausstellung, die sich mit der Beziehung zwischen Religion und Übersetzung beschäftigt.

Katja Triplett: Als Religionswissenschaftlerin mit einem Schwerpunkt auf den Religionen Ostasiens, insbesondere Japans, beschäftige ich mich in meiner Forschung täglich mit Übersetzung – mit sprachlicher und kultureller Übersetzung. Die Idee für die Ausstellung entwickelte ich im Rahmen des Schwerpunktprogramms „Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Der Direktor der Universitätsbibliothek Leipzig, Professor Ulrich Johannes Schneider, und das Team der Öffentlichkeitsarbeit der UB Leipzig haben von Anfang an meine Idee für eine Ausstellung über übersetzte Religion unterstützt.

Als Forscherin hat man oft eine gewisse Freiheit, wenn es darum geht, eine Idee zu verfolgen oder eine Problematik zu entwickeln. Die Organisation einer Ausstellung zu diesen Fragen bringt jedoch eine Reihe von Einschränkungen mit sich, die es zu beachten gilt. Wie war das im Fall dieser Ausstellung?

Die wissenschaftlichen Wechselausstellungen in dem schönen Ausstellungsaal der Bibliotheca Albertina, einer der ältesten Bibliotheken Deutschlands, zeigen ausschließlich Bücher, Fotos und andere Objekte aus den Beständen der Universitätsbibliothek Leipzig. Wenn möglich, sollen sie aus der Frühen Neuzeit oder aus früheren Epochen stammen. So war einerseits meine Auswahl auf die frühen Bestände der Bibliothek für die Wechselausstellung beschränkt, andererseits war es für mich eine große Freude, mich mit einigen sehr außergewöhnlichen Handschriften, Wiegendrucken und anderen Druckerzeugnissen dieser traditionsreichen Universitätsbibliothek zu beschäftigen.

Hat der Begleitkatalog eine besondere Rolle im Kontext der Wechselausstellungen in der Universitätsbibliothek Leipzig?

Ja, die Arbeit an einer Ausstellung der UB Leipzig beginnt stets mit dem Verfassen des Begleitkatalogs. Gewissermaßen begleitet eigentlich die Ausstellung den Katalog und nicht umgekehrt. Nicht alle Objekte, die im Katalog beschrieben werden, kommen in die Vitrinen, aber kein Exponat, das ab dem 8. Oktober 2021 in der Albertina zu bewundern ist, kommt nicht auch im Katalog vor.

Wie und wo findet man dann die Autorinnen und Autoren, die bereit sind, kurze und allgemeinverständliche Texte für ein Museumspublikum zu schreiben – über ein Thema wie Religion und Übersetzung?

Nachdem ich mich zusammen mit meinem Team ausgiebig mit den Beständen der Bibliothek beschäftigt und eine grobe Auswahl an Exponaten zusammengestellt hatte, kontaktierte ich Kolleginnen und Kollegen aus dem Schwerpunktprogramm, ob sie Interesse hätten, einen Beitrag von ungefähr 1 500 Wörtern für den Begleitkatalog „Übersetzte Religion“ zu einem Lieblingsthema zu verfassen. Die Gruppe der Beitragenden wuchs dann im Laufe der Zeit auf zehn an; nicht alle sind Mitglieder des Programms. Die Ordnung der Beiträge im Katalog erfolgte weniger nach regionalen und chronologischen Gesichtspunkten, sondern sie orientiert sich an den spezifischen Übersetzungstätigkeiten und -prozessen in den Fallbeispielen.

Die Gestaltung und Organisation eines Katalogs und einer Ausstellung, die sich an ein breites Publikum richtet, sind ziemlich unterschiedliche Herausforderungen. Wie wurden sie im Fall dieser Ausstellung gelöst?

In der Ausstellung habe ich den Rundgang ziemlich stringent nach regionalen und chronologischen Gesichtspunkten gestaltet, weil ich mir vorstelle, dass solch ein Rundgang gerade die Besucherinnen und Besucher aus einem nicht-akademischen Umfeld eher abholt, weil er auf schon Bekanntes aufbaut, und sie den Besuch damit als befriedigender empfinden. Der Katalog ist dagegen eher experimentell aufgebaut. Im ersten der drei Teile des Katalogs geht es in den Beiträgen um die kleinere Einheit eines Übersetzungsprozesses, um das Wort, dann im zweiten Teil um Schriftsysteme, Schriften und Schrifttümer und im dritten Teil um größere Zusammenhänge. Hier wird das Über-Setzen, der Raum- und Ortswechsel von Materialien, Pilgernden und Forschenden thematisiert. Die Beiträge im Katalog erzählen alles in allem Religionsgeschichte als Übersetzungsgeschichte. Die Katalog-Autorinnen und -Autoren aus verschiedenen Fachgebieten teilen ihre Gedanken über Übersetzungsbewegungen zwischen mündlichen und schriftlichen Texten, zwischen Literatur und Religion, zwischen Schulen derselben Religion oder verschiedenen religiösen Traditionen und schließlich zwischen Wissenschaft und Religion. Sie stellen dabei Beispiele aus ihren Fachgebieten und ihrer Forschung vor. Religionen, die die Autorinnen und Autoren ansprechen, gehören zum Judentum, Christentum, Islam, Yezidentum, Daoismus und Buddhismus. Sie befragen ihr Material nach Veränderungen in den herkömmlichen Übersetzungskulturen, wenn sich zum Beispiel durch den Austausch über die Kulturen hinweg auf wissenschaftlichem und geistlichem Gebiet dramatische Änderungen in den bisher gekannten Wissensbeständen und Wissensordnungen ergeben.

Also gibt es schon einen ziemlich klaren Zusammenhang zwischen der aktuellen Forschung und der Ausstellung?

Ja, ich denke, dass die Ausstellung ein Schaufenster der aktuellen Wissenschaft ist; sie „übersetzt“ die geschichtlichen Texte und Bilder aus den Beständen der UB Leipzig für das Ausstellungspublikum und macht die Objekte so erfahrbar. Bei der Sichtung potentieller Exponate haben mein kleines Team und ich auch einige Entdeckungen gemacht, deren Besonderheiten offenbar bislang nicht dokumentiert worden sind. So ist es beglückend, dass mit der Arbeit an Katalog und Ausstellung auch ein Beitrag zur Forschung der Bestände der UB Leipzig geleistet wurde.

Die Ausstellung kann vom 8. Oktober 2021 bis
13. Februar 2022 täglich von 10 bis 18 Uhr im Ausstellungsraum der Bibliotheca Albertina besichtigt werden. ub.uni-leipzig.de/religion

Laurent Mignon
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