Catherine Lorent, Relegation Doom Spectrum by

The art of headbanging

d'Lëtzebuerger Land vom 11.11.2016

Ein Urinal aus Porzellan oder Sanitärkeramik ist eine der wichtigsten Ikonen der modernen Kunst, seitdem der französisch-amerikanische Maler und Objektkünstler Marcel Duchamp ein solches zu Ehren der künstlerischen Altäre erhob. Das Standardmodell Bedfordshire des Unternehmens J. L. Mott Iron Works aus New York City wurde zum ersten Ready-made in der Kunstgeschichte. Das erste Kunstobjekt als Objekt an sich. Dazu pinselte Duchamp mit schwarzer Lackfarbe lediglich den Namen „R. Mutt“ auf die Keramik. Stilprägend. Maßstabsetzend: Alltagsgegenstände ihrer ursprünglichen Nutzung enthoben, einer neuen Bedeutung zugeführt, damit zum Kunstwerk erkoren. Die Luxemburgerin Catherine Lorent bedient sich in ihrem aktuellen Werk dieser Ikonographie und deklariert Elektrogitarren zum Kunstwerk. Präsentiert wurde es in der Schau Relegation / Doom Spectrum in der Berliner Galerie Tore Suessbier. Die Ausstellung vereinte zwei Werkserien der luxemburgischen Künstlerin, die das Großherzogtum 2013 bei der Biennale in Venedig vertrat.

Was Duchamp Mott Iron Works war, ist Lorent Gibson. Vier handelsübliche E-Gitarren der amerikanischen Gibson Guitar Corporation, so viel Referenz an Duchamps muss sein, sind der Mittelpunkt ihrer Serie Relegation. Die Musikinstrumente hängen vor teils farbenfrohen Bildern, die in ihrem Ausdruck kindlich-naiv, verspielt, verträumt wirken, als seien sie ein kichernder Kontrast zu den schwarzen Gitarren. Diese sind je mit einem Sensor verbunden, so dass die Instrumente Tonwolken produzieren, die von den Betrachtern ausgelöst werden. Jeder E-Gitarre ist zudem eine Zeichnung zugeordnet, womit sich neben dem skulpturalen Ready-made-Kunstwerk eine zeichnerische, malende Ebene ergibt, die das Gesamtkunstwerk um eine zusätzliche Dimension erweitert wird: den Klang.

Und es wäre nicht Catherine Lorent, wenn sie zur Performance – als Bestandteil der Schau – nicht mächtig in die Saiten greifen würde und eine Einladung zum Headbanging in den Kunstsalon sendete. Sie spielt auf mit Doom. Das sind exzessive Gitarrenriffs, schräge Verzerrungen, elektronische Verfremdungen, schleppende Tempi, dissonante Melodiefolgen, tiefer Gesang, eben eine „dunkle“ Seite der Musik. Die Stücke brechen sich recht schnell in den bunten großformatigen Ready-made-E-Gitarren-Bildern. Es prallt, es kreischt, es klingt aufeinander, was nicht so recht zueinander gehören möchte, aber doch soll, muss, kann und letztendlich auch darf. Kunst ergibt sich oftmals aus dem Kontrast zwischen den verschiedenen Welten der Wahrnehmung und den schier gegensätzlichen Quellen, Materialien, Werkstoffen und Aussagen des Künstlers. Der Betrachter – und im Falle Lorents auch der Zuhörer – muss dann beides zusammenbringen, was die Künstlerin mit ihrer eigenen, beabsichtigten und immanenten Bedeutung aufgeladen hat, um Interpretationen und Aussagen zu finden.

Hier macht es die Multi-Künstlerin ihrem Publikum nicht leicht, Widerspruch und Gegensatz auszuhalten. Catherine Lorent ist Musikerin, Vollblutmusikerin, die einen unendlichen Spaß an der Modulation von tonalen Kunstwerken für den Augenblick hat. Im Gegensatz dazu stehen jedoch die Ready-made-Gitarren, die in ihrem Zusammenspiel mit den Bildern an Kraft verlieren, sich selbst verstecken in einer gewissen Beliebigkeit. Oder: Der Kraft der Musik, die Lorent zur Performance bietet, steht die Kraftlosigkeit ihrer Bilder entgegen. Sie unterliegen der Stärke des Klangs. Jedes Werk der Künstlerin für sich genommen bietet Anknüpfungspunkte für Betrachter und Zuhörer – auch abseits jedweden musikalischen Geschmacks. Doch in der Gesamtheit ergibt sich ein Zuviel unterschiedlicher Qualitäten, die eben jene elektrischen Gitarren durchaus als Ready made erkennen lässt, der die Aussage des Bilds widerspricht. Sie in ihrer ureigentlichen Nutzung zu belassen und über sie einen Klangteppich zu kreieren, ist eine künstlerische Aufwertung des Alltagsgegenstands, die überrascht. Die Weiterführung dieses Ansinnens in die Bildwelt gelingt jedoch nicht in Gänze.

Begleitet wird die Berliner Schau durch Bilder aus der Reihe Relegation/Mood Spectrum, in der Lorent den Moment des Schicksals in den Mittelpunkt rückt. Die vier Kardinaltugenden Klugheit, Tapferkeit, Gerechtigkeit und Mäßigung werden zeichnerisch mit den vier Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde verbunden. Jedes Werk orientiert sich an einem Regenbogen, der für die Künstlerin den Moment des trügerischen Schicksals symbolisiert. Sie setzen einen filigranen Kontrapunkt. Raimar Stange spricht im Begleittext zur Ausstellung von „vinylformatigen Etüden“ und zitiert die Künstlerin selbst: „Es geht mir auch darum, mit dem Kontrast zwischen der hohen Auflösung der Pastellpigmente und der lavierten Sepiazeichnung zu gestalten. Ein nächster Schritt wäre jeweils ein Album mit dem entsprechenden Ton zu versehen.“ Interpretation bleibt im Auge des Betrachters.

Catherine Lorent: Relegation/Doom Spectrum by, noch bis zum 17. November in der Galerie Tore Suessbier, Niebuhrstraße 5, Berlin. Geöffnet dienstags bis freitags von 11 Uhr bis 18 Uhr, samstags von 11 Uhr bis 14 Uhr. Weitere Informationen unter www.toresuessbier.com.
Martin Theobald
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