Ausbildung der Krankenpfleger

Letzter Ausweg: Brüssel

d'Lëtzebuerger Land vom 12.04.2007

Es könnte sein, dass in den kommenden Wochen  Krankenschwestern und -pfleger zu Kundgebungen vor Ministerien aufziehen – jedenfalls hat der OGB-L noch kurz vor Ostern gewerkschaftliche Aktionen angekündigt, weil die Regierung keine Anstalten mache, die Krankenpflege-Ausbildung zu reformieren.

Gar keineAnstalten? – Die Bildungsministerin scheint es anders zu sehen, liest man, was Mady Delvaux (LSAP) am 20. März der CSV-Abgeordneten Marie-Josée Frank auf eine parlamentarische Anfrage zum Thema antwortete. Die „différents ministères concernés“ hätten die Gewerkschaften und Berufsverbände „il y a quelques mois“ schriftlich über „l’état actuel des options envisagées“ unterrichtet. Weitere Optionen würden derzeit „analysiert“. Seien sie spruchreif, werde eine Rundtisch-Zusammenkunft einberufen wie zuletzt im Herbst 2005.

Aber das ist nur eine Umschreibung dafür, dass Bildungs-, Gesundheits- und Hochschulministerium derzeit wohl wirklich nicht wissen, in welche Richtung die Krankenpflege-Ausbildung reformiert werden soll. Das Problem ist schon alt – eigentlich so alt, wie die letzte Reform zurückliegt, die von 1995 datiert – und wurde auch schon höchst amtlichbenannt: Wer das Lycée technique pour professions de santé (LTPS) mit dem Krankenpflegerdiplom verlässt, sei „un novice“ was den „savoir-faire pratique“ angeht, notierte das Bildungsministerium 2001. Und die Entente des hôpitaux, der Krankenhausdachverband, beklagte bereits 1999, dass die LTPS-Absolventen noch sechs bis acht Monate lang angelernt werden müssten.

Ein Wunder ist das nicht: 1995 war die Ausbildung reformiert und aufgewertet worden, weil sie auf immer weniger Interesse stieß. Neben dem Krankenpfleger-Diplom führt sie seitdem auch zum Bac technique. Die Stundenzahl aber wurde nicht erweitert, sondern insgesamt reduziert. Wurden vor 1995 in drei Jahren 4 600 Stunden unterrichtet, waren es danach an die 3 400. Davon knapp 600 Stunden „Abitur-Stoff“ im „Enseignement général“, und davon wiederum allein 408 Stunden Sprachenunterricht. Die klinische Praxisausbildung erstreckt sich gegenwärtig über 1 658 Stunden in drei Jahren. Vor allem sie – diese Auffassung wird allgemein geteilt – soll wachsen.

Fragt sich nur: wie. Vor sechs Jahren scheiterte die damalige liberale Bildungsministerin Anne Brasseur grandios mit ihrem Versuch, ganz back to basics, tausend Praxisstunden zusätzlich in die drei Ausbildungsjahre hinein zu packen; zum Teil in die Ferienzeit. Wieso auch nicht auf insgesamt 4 400 Stunden aufstocken, wenn es früher schon mal 4 600 waren?

Allerdings hatte es vor 1995 kein Lyzeum für Gesundheitsberufe gegeben, hatte die Ausbildung an verschiedenen Kliniken stattgefunden, und war das Gesundheitsministerium für sie zuständig gewesen. 2001 aber behagte die Aussicht, in den Ferien Praxisstunden in Kliniken und Pflegeheimen zu verrichten, den Schülern am LTPS ähnlich wenig wie ihren Lehrern die Erkenntnis, dass Brasseurs Vorstoß ein Rütteln an der Professoren-Tâche war. Und so gründete sich am LTPS der Professoren-Verband Aleps. Er solidarisierte sich mit den Schülern und erklärte, sie hätten „schon jetzt kaum Platz für ein Privatleben“. Die Lehrer-Tâche dezent zu verteidigen, übernahm der OGB-L: Üblicherweise seien die Lehrkräfte an der Praxisausbildung als Betreuer beteiligt, dies sei in den Ferien aber kaum möglich (d‘Land, 15.6.2001). Brasseur sah sich einer Front aus OGB-L und LCGB, der Professoren- Assoziation und sämtlichen Paramediziner-Verbänden gegenüber und zog ihren Entwurf zurück.

Die Gegenseite stellte im Februar 2004 ihren Vorschlag vor, der auf die Aleps zurückging: Die Ausbildungsdauer sollte um ein Jahr auf vier Jahre erhöht, nach zwei Jahren ein Medizin-Fachabitur vergeben und dann erst mit der Krankenpflege-Ausbildung begonnen werden. Anne Brasseur ging nicht mehr darauf ein, denn es war schon Wahlkampf. Außerdem drängte das Thema nicht mehr so: Ein Auslöser für ihren Vorstoß war gewesen, dass auf EU-Ebene eine Neufassung der Direktive über die gegenseitige Anerkennung von Berufsabschlüssen diskutiert wurde. Eine Zeitlang hatte es so ausgesehen, als würde die Mindestausbildungsdauer künftig nur noch mit 4 600 Stunden bemessen und nicht mehr, wie bisher, mit 4 600 Stunden oder drei Jahren. Bei letzterer Formulierung aber blieb es doch.

Nicht nur, weil CSV und LSAP im Koalitionsvertrag vorsahen, eine Verlängerung der Ausbildung könne „gegebenenfalls“ erfolgen, kann heute eigentlich nur noch darüber diskutiert werden, sondern auch, weil eine Reform à la Brasseur es höchstwahrscheinlich nicht attraktiver machen würde, den Krankenpflegerberuf am LTPS zu erlernen. Gegen Ende der Neunzigerjahre hatte sich die Zahl der Schüler bei rund 500 stabilisiert, fällt aber seitdem wieder. Im Schuljahr 2001/2002 waren es 476 Schüler gewesen, 2005/2006 noch 364. Dass das Rekrutierungsproblem im Inland zunimmt, kann Luxemburg sich aber immer weniger leisten. Der  Grenzgängeranteil unter den Paramedizinern liegt derzeit bei 45 Prozent.

Und mittlerweile haben grenzüberschreitende Studien belegt, dass durch die Abwanderung von medizinischem Personal  an Arbeitsplätze in Luxemburg in manchen Fachsparten die Klinikversorgung in den Nachbarländern nicht mehr gewährleistet ist; vor allem in der dünn besiedelten Province de Luxembourg, zum Teil aber auch in ländlichen Gegenden Lothringens.1

Aber damit stellt die Frage nach einer Verlängerung der Krankenpflege-Ausbildung neben der Bildungsministerin auch den Gesundheits- und Sozialminister vor ein komplexes politisches Problem, das auch mit Geld zu tun hat. Wenngleich sowohl der Krankenpflegerverband als auch Mars Di Bartolomeo betonen, es gehe bei der laufenden Diskussion nur um Qualität und nicht um Verdienstfragen, muss es zumindest dem Minister auch darum gehen, wenn die Personalkosten 60 bis 80 Prozent der Jahresbudgets der Spitäler ausmachen. Die Anil weist immerhin darauf hin, dass die Kollektivverträge für den Spitalbereich, die an die Gehälterentwicklung beim Staat angelehnt sind, noch nie den Abiturabschluss der Krankenpfleger berücksichtigten. Das sollte sich schon ändern. In eine ähnliche Richtung hatte der OGB-L argumentiert, als 2003 Kollektivvertragsverhandlungen zu scheitern drohten. Darüber hinaus wünscht die Anil sichmit dem OGB-L in der Perspektive eine akademische Ausbildung zum Krankenpfleger wie etwa in Frankreich. Das von der Aleps vorgestellte Szenario „Fachabitur nach zwei Jahren und dann noch zwei weitere Jahre Berufsausbildung“ solle nur eine "Übergangslösung" sein. Das Syndikat Gesundheits- und Sozialwesen des OGB-L verlangte auf seinem Syndikatstag im Mai 2005, nicht nur die weiterführende Ausbildung zu den spezialisierten Pflegerberufen für Chirurgie, Anästhesie und Pädiatrie und zur Hebamme gehörten an die Uni, sondern auch die allgemeine Krankenpflege-Ausbildung.

Aber andererseits werden laut geltenden Kollektivverträgen die französischen Pfleger und Schwestern mit ihrem Bac+3-Abschluss nicht anders entlohnt als ihre Kolleginnen und Kollegen mit einem LTPS-Diplom. Und vielleicht ließe sich ein Weg zur Finanzierung einer aufgewerteten Krankenpflegerlaufbahn sogar finden, wenn es von der Regierung Szenarien und Konzepte als Diskussionsbasis gäbe. Sie fehlen jedoch. Übermittelt wurde im August 2006 nur das Reflexionspapier des Bildungsministeriums über eine eventuelle Reform des unteren und mittleren Zyklus im gesamten technischen Sekundarunterricht. Sie hätte für den oberen Zyklus, zu dem die Krankenpflege-Ausbildung derzeit gehört, insofern Bedeutung, als dieser Zyklus ein Jahr früher einsetzen würde. Die Ausbildung am LTPS würde so in der 11. statt in der 12. Klasse beginnen und vier Jahre dauern.

Die Anil lehnte das Papier Anfang des Jahres ab: Hauptsächlich, weil andernfalls schon 15-Jährige sich definitiv für einen Pflegerberuf entscheiden müssten, es zweitens arbeitsrechtlich problematisch sei, Minderjährige mit Kranken arbeiten zu lassen. Im Bildungs- und im Gesundheitsministerium trägt man dem Pflegerverband die Ablehnung noch immer etwas nach. Doch nicht nur die Anil hatte das Non-Paper, das eventuell zu einem Gesetzes-Vorentwurf werden sollte, abgelehnt. Es hatte so heftige Kritik von Schulleitungen und Lehrern gegeben, dass die Bildungsministerin es mittlerweile inoffiziell zurückgezogen hat. 

Demnach gibt es derzeit gar keinen Vorschlag von Regierungsseite für eine Vier-Jahres-Ausbildung – nicht mal im Ansatz. Dafür einen Gesetzentwurf zum Neubau des LTPS in Luxemburg-Bonneweg.

Und es steht fest, dass die weiterführenden Ausbildungen zur Hebamme, zu Anästhesie- oder Psychiatriepflegern künftig einheitlich zwei Jahre dauern und zum Techniker-Diplom BTS führen sollen, einem Bac+2-Abschluss. Dass das feststeht, aber keinerlei konkretere Vorschläge für eine abgeänderte Ausbildung in der allgemeinen Krankenpflege existieren, ist durchaus merkwürdig. Immerhin war Anne Brasseur vor sechs Jahren der Ansicht gewesen, einheitlich ein Jahr für alle Spezialisierungen reiche. Aber während sie sich auf ihr Ajustement-Projekt stützen konnte, liegt von Mady Delvaux kein Vorschlag über Inhalte und Stundenzahlen in der allgemeinen Pfleger-Ausbildung vor.

So dass man sich des Eindrucks nicht ganz erwehren kann, hier werde versucht, ein Problem auszusitzen. Bis – ja bis es einen Bescheid aus Brüssel gibt. Anfang Januar hatte der Krankenpflegerverband sich bei der Generaldirektion Binnenmarkt der EU-Kommission über den hierzulande geltenden Ausbildungsgang beschwert und daran erinnert, dass die Kommission bereits 1996 gemeint hatte, Mitgliedstaaten, die ihre Ausbildung nach Jahren und nicht nach Schulstunden bemäßen, „ne sont pas autorisés à réduire de façon excessive le nombre d’heures en dessous de 4 600 heures“. Luxemburg aber liegt derzeit 25 Prozent unter den 4 600 Stunden. Im Februar ließ die Kommission die Anil wissen, der Fall werde untersucht. Aus dem  Bildungsministerium heißt es, auf das Resultat warte man auch. Vielleicht führt ja nur europäischer Druck zu einem Konzept.

1Groupement d‘intérêt économique européen Luxlorsan: Offre de soins et mobilité à l’intérieur de l’espace transfrontalier Lorraine – Grand-Duché de Luxembourg – Province de Luxembourg, Juni 2004, S. 238 ff.

Peter Feist
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