Erè Mèla Mèla

Sinnliche Bits

d'Lëtzebuerger Land vom 22.02.2001

Zwei junge Männer. Die Kamera präsentiert ihre Gesichter im Halbprofil mit je einer Großaufnahme. Als die Musik einsetzt, beginnen sie zu tanzen. Der Ort: ein sehr großes Zimmer, ähnlich einem Fabrik-Loft. Sparsam möbliert: in den Zimmerecken bunte Plastikstühle, in der Mitte ein Sofa, auf dem Boden ein Teppich. Taschen, die noch ausgepackt werden könnten. Die Szenerie erinnert in ihrem Design ein wenig an die Siebziegerjahre; sie hat etwas Provisorisches an sich, etwas Unfertiges, das noch vervollständigt werden kann. Ein Ort, der Freiheit schenkt - Freiheit für eine zufällige Begegnung.

Ein sehr stimmiges Arrangement ist das für Daniel Wiroths Kurzfilm Erè Mèla Mèla, denn der dreht sich um die Liebe. Jene, die aus dem Augenblick entsteht, einfach so, ohne dass einer wüsste, woher und warum. 

Erè Mèla Mèla ist ein Clip zu dem gleichnamigen Liebeslied des äthiopischen Sängers Mahmoud Ahmed. Als Auftragswerk für den Kulturkanal arte, der in seiner Serie One Dance, One Shot insgesamt sieben Stücke des Weltmusik-Pop hat bebildern lassen. Und tatsächlich: offenbar haben Daniel Wiroth, der Filmemacher aus Luxemburg, und Lionel Hoche, der Tänzer und Choreograf aus Frankreich, zu kongenialer Meisterschaft gefunden, als sie im Frühjahr letzten Jahres in einem Gebäude des Service des imprimés de l'État im Luxemburger Bahnhofsviertel in zehn Tagen Erè Mèla Mèla aufnahmen (siehe auch d'Land vom 10. März 2000). Lionel Hoche ist einer der beiden tanzenden jungen Männer in diesem Film, sein Partner ist David Drouart. Ihr Tanz ist voller Sinnlichkeit, ein Spiel mit Nähe und Distanz. Hände berühren einander, Blicke treffen sich, aber es ist keine Koketterie, die daraus spricht, sondern Widmung an den Anderen, ohne den man nichts wäre.

Hat die Beobachtung zweier Männer als Akteure in einem solchen Poem über die Liebe schon etwas Aufregendes an sich, nimmt die Art und Weise, wie Daniel Wiroths den Tanz von Hoche und Drouart filmisch weiterverarbeitet hat, der Aufregung einerseits die Spitze, bringt andererseits neue Deutungsebenen ins Spiel. Der passionierte Animationsfilmer, in dessen Filmen das Thema Liebe schon immer eine wichtige Rolle spielte, ist diesmal einen Schritt weiter gegangen: vom Sachtrick, wie man ihn etwa mit den verliebten Gläsern in Fragile (1997) sehen konnte, zur Kombination von Realfilm und Animation. Die Tanzaufnahmen von Lionel Hoche und David Drouart wurden digitalisiert, zerlegt und am Computer rekomponiert. Und dadurch sind jene Schwebungen entstanden, die die Erotik der Bewegungen auf neue, imaginäre Punkte bringen: Hände verfließen ineinander, Körper wollen verschmelzen, aber am Ende ist es nur die Hose des einen, die per Computertrick auf die Beine des anderen gleitet, und auf dieselbe Weise wechseln Socken und Jacken für Momente ihren Träger.

Erè Mèla Mèla hatte auf der letzte Woche zu Ende gegangenen Berlinale seine öffentliche Premiere. Der Autor dieses Beitrags erlebte die Vorführung am vergangenen Freitag in der Mitternachtsvorstellung im so gut wie ausverkauften Zoo-Palast - der immerhin das Berlinale-Wettbewerbskino gewesen war, ehe das Festival vor einem Jahr weitgehend an den neu bebauten Potsdamer Platz umzog. Vor einer imposanten Publikumskulisse erntete Daniel Wiroth donnernden Applaus und (was Kurzfilmen auf der Berlinale so oft nicht vergönnt ist) viele Bravo-Rufe. Wie Recht die Rufer hatten.

 

Peter Feist
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