LEITARTIKEL

Feiern mit Folgen

d'Lëtzebuerger Land du 18.12.2020

Darf eine Heimleitung einer Seniorin verbieten, rauszugehen und jemanden zu besuchen? Und darf man sie danach sieben Tage vorsorglich in ihrem Zimmer einsperren? So steht es in der Anordnung zu den Feiertagen eines Heimes in der Hauptstadt, die die Direktion an alle Angehörigen verschickt hat. Angehörige, die am ersten und zweiten Weihnachtstag Bewohner/innen besuchen wollen, dürfen dies zwischen 9.45 und 12 Uhr sowie 14.45 und 18.15 Uhr tun – für 30 Minuten.

Wieder einmal sorgt der Umgang mit Corona-Schutzmaßnahmen in den Heimen für Empörung. Darf eine Heimleitung die Freiheit des Einzelnen so beschneiden, aus Sorge, dieser könnte sich während seines Ausflugs anstecken und den Virus weitergeben, fragte deshalb der CSV-Abgeordnete Marc Spautz in einer Dringlichkeitsanfrage am Mittwoch im Parlament. Seniorenministerin Corinne Cahen findet: Ja, das sei der Drahtseilakt, den die Pandemie den Bewohner/innen eines Altenheims und ihren Angehörigen abverlangt, zum eigenen Schutz und zum Schutz der Gemeinschaft. Nicht ein Heim allein würde über die Feiertage so verfahren, sondern „die meisten“.

Grund für diese drastische Maßnahme sei, so Cahen weiter, dass das Coronavirus, ist es erst einmal in ein Heim gelangt, sich dort oft in Windeseile verbreitet. Statistiken zeigen, dass vorvergangene Woche 28 Heime Besuch nur unter strengen Auflagen erlaubten (Covid-Szenario drei), zwölf Heime gestatteten ganz oder teilweise Besuch nur bei Todkranken (Szenario vier). Als d’Land vom Heimträgerdachverband Copas wissen will, wie oft ein Besuch bei Todkranken wegen Covid-19 bisher verweigert wurde, schreibt der: Seinen Empfehlungen zufolge sei der Besuch von Sterbenskranken immer erlaubt. Gegen externe Kontrollen, die das unabhängig überprüfen, hatte sich die Seniorenministerin bis zuletzt ausgesprochen. In den vergangenen Wochen meldeten Heime immer neue Infektionsketten, die die Leitungen vor schwierige Entscheidungen stellen: Wie die Insassen schützen und zugleich ihre Freiheitsrechte respektieren, zumal insbesondere Demenzkranke zum Teil erheblich unter der Abschottung leiden?

Die Entscheidungsmacht der Träger bleibt indes hochproblematisch: Warum müssen Bewohner/innen, die auf Familienausflug waren, sich sieben Tage in Quarantäne begeben – und Pflegekräfte, die in ihrer Freizeit ebenfalls andere Leute besuchen, aber nicht? Es sind zahlreiche Fälle überliefert, wo Pfleger/innen unabsichtlich das Sars CoV-2-Virus auf die Arbeit getragen haben. Wie steht es mit dem Prinzip der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit? Und können hier Schnelltests helfen? Corinne Cahen zufolge verfügen alle Heime über Schnelltests. Aber wie sie diese einsetzen, dazu machte Cahen keine Angaben. Ursprünglich war die Idee, Schnelltests zu nutzen, um das Ansteckungsrisiko für Bewohner und Personal besser abzuschätzen und so zu mehr Bewegungsfreiheit beizutragen.

Inzwischen sind die Heime am Limit und es fehlt an allen Ecken und Enden an Pflegekräften. Durch Quarantäne oder Isolierung fallen viele Mitarbeiter/innen aus und die verbleibenden müssen deren Aufgaben übernehmen – dies seit Wochen. Über die Feiertage ist die Personaldecke gewöhnlich noch dünner als zu normalen Zeiten. Hinzu kommt, dass es für die fachgerechte Anwendung von Schnelltests geschulten Personals bedarf, das schon überlastet ist. Das schränkt den Handlungsspielraum der Heimleitungen weiter ein.

Aber dürfen solche Engpässe als Begründung dafür herhalten, um Menschen in ihrer Freiheit zu beschneiden? Und dürfen Heimleitungen darüber überhaupt entscheiden? Die Antwort lautet klar Nein: Es gehört zum Rechtsstaat, dass es für massive Eingriffe in persönliche Freiheiten einer Rechtsgrundlage bedarf. Das heißt, das Parlament ist aufgefordert, diese Problematik per Gesetz zu regeln. Nur so kann es Rechtsgarantien geben, können Missbrauch und Verstöße geahndet werden. Alles andere ist eine Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien. Dass ausgerechnet eine liberal geführte Regierung es nicht besser weiß, sondern ihre Verantwortung an konventionierte Einrichtungen delegiert, ist der eigentliche und – leider – andauernde Skandal.

Ines Kurschat
© 2023 d’Lëtzebuerger Land