Etwas geht um, nur was?

Das Zeitgespenst

d'Lëtzebuerger Land vom 18.11.2016

Warum nehmen plötzlich wieder Frauen aus der berlusconischen Klamottenkiste Platz in der Talkrunde? Warum haben die Typen plötzlich Dreißigerjahrefrisuren? Warum zieht der Denver Clan ins Weiße Haus, der schaute doch in den Achtzigerjahren schon retro aus? Und wo sind die freundlichen Hipster geblieben, geben sie gerade dem Baby Fläschchen? Während gerade die europäische Armee vermisst wird. Mist, wir haben keine.

Etwas geht um, nur was? Ist das der Zeitgeist? Zeitgeist, war das nicht mal was Cooles, was mit Kunst? Auch wenn es immer was zu meckern gab. Parfums, die Égoïste hießen, ein Sortiment von Freiheiten, die jede kaufen konnte, wenn sie konnte. Aber jetzt spukt ein Horror-Clown auf den Bildschirmen, in unseren Köpfen. Das Zeitgespenst spukt in allen möglichen Variationen. Meistens in Blond.

Trump sei nicht die Verkörperung der Zeitenwende, belehrt ein Journalist, die Zeit wende sich seit Langem. Diese Erscheinung sei eine Folgeerscheinung der Zeitenwende. Der Journalist wiederholt es mehrmals, es scheint ihm wichtig zu sein.

Auf dem Bildschirm wird etwas eingekreist, so wie auf Befunden Herde eingekreist werden, die Herr_in Doktor dann erläutert. Das Eingekreiste befindet sich in der Mitte, in der Mitte Amerikas, wie wir die Staaten salopp zu nennen pflegen. Es muss ein blinder Fleck sein, auf der Karte, im Auge der Betrachterin. Der Blinde Fleck, den anscheinend die meisten Amerika-Besucher_innen einfach überfliegen oder, klar, übersehen, muss ein trostloses Gebiet sein. „Wer will mich?“ steht auf den Häusern, dicke Menschen nehmen ihre Lebensmittelbons in Empfang, der extrem dicke Herr vom Ku-Klux-Klan zieht in einer schäbigen Hütte sein Zeremoniengewand über. Stahlarbeiter, die keinen Stahl und keine Arbeit mehr haben, sortieren ihre Waffen. Sie sind plötzlich sehr sexy fürs Fernsehen.

Ein Unwetter zieht herauf, das spüren alle. Im Moment schaut man gebannt zum Horizont, in die Zukunft, die quasi schon da ist. Die Zukunft, die nach Moder schmeckt, pfui Teufel, wer hat das bestellt? Wir wollen es stornieren, Garçon, wir müssen sie leider zurück geben.

Leider geht das nicht, es ist Demokratie. Ach so, ja. Da sind, kratz am Kopf, auch noch die anderen. Die Demokratie-Nullcheckerinnen. Da kann man sich das Hirn wund posten, die machen weiter ihren Scheiß. Man kann sie aufklären wie blöd. Aufklärung, hallo, noch nie gehört?! Scheint ihnen egal zu sein, sie posten knallhart Kätzchen. Sie kennen den Begriff ja auch nicht, wie willst du überhaupt mit denen kommunizieren? Du bist für sie eine lächerliche, verhasste Oberlehrerin. Du bist der Klassenfeind. Du bist die, die über sie hinwegsieht, die, deren Blick liebevoll auf der ersten Bank ruht.

Es ist aber noch wesentlich verflixter, Panik flackert auf in den Augen der Talkmasterin. Es ist nicht nur die Unterhosenschicht, die bisher genügsam in der Jogginghose mit der Hundeherde Gassi ging, die sich mit ein paar glücklichen Nudeln aus der Tüte abspeisen ließ. Dass auch in den Logenplätzen genug sitzen, dringt so langsam ins Bewusstsein; derzeit benehmen sie sich noch relativ diskret. Das weitaus Schlimmste ist, sie sind, es ist mitten unter uns. Weil die Mitte Abstiegsängste hat, doziert ein Experte. Nicht unbedingt eine neue Erkenntnis. Dann kommt wieder die Therapeutin und will die Ängste und Sorgen ernst nehmen, sie schaut seelsorgerlich ernst.

„Ihr werdet euch wundern“, hat der österreichische Präsidentschaftskandidat unheilschwanger während seiner Wahlkampagne verkündet, „was alles möglich ist.“ Er meinte sich, mit ihm. Die Hälfte des Landes erstarrte, die andere fand es voll cool und freut sich schon, es wird wunderbar werden.

Martin Schulz hält Sonntagsreden, feierliche Durchhalteparolen mit einer kräftigen Dosis Schmalz. Jean-Claude Juncker stößt schon mal prophylaktisch David-Drohungen aus, hoffentlich tut ihm Goliath nichts. Nur sein Charme ist entwaffnend!

In seiner letzten Talk-Runde hat Peter Scholl-Latour auf die Frage, wie er die Zukunft sehe, geantwortet, schwere Zeiten stünden bevor. Dann lachte er verschmitzt, wenig später verabschiedete er sich auf den Feldherrenhügel.

Michèle Thoma
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