Der Betrieb des GUD Twinerg ist nicht mehr rentabel. Dabei ist das Werk noch nicht einmal abgeschrieben

Under pressure

d'Lëtzebuerger Land vom 29.08.2014

Das Gas- und Dampfkraftwerk (GUD) Twinerg wird voraussichtlich im Oktober 2015 die Produktion einstellen, berichtete Radio 100,7 Anfang der Woche. Dass Twinerg, zu 65 Prozent im Besitz des belgischen Stromkonzerns Electrabel und zu jeweils 17,5 Prozent im Besitz von Enovos und Arcelor-Mittal, nicht mehr rentabel sei und man deshalb eine Lösung suche, hatte Enovos-CEO Jean Lucius dem Land schon im Mai gesagt (d’Land, 09.05). Anfang August hat die Firmenleitung die Bilanz für 2013 beim Firmenregister hinterlegt. Das Defizit für das abgelaufene Geschäftsjahr belief sich auf 13,3 Millionen Euro, 2012 war bereits ein Defizit von 3,7 Millionen Euro verbucht worden.

Dass Twinerg die Kosten nicht mehr decken kann, ist einerseits der Wirtschaftskrise und andererseits der Entwicklung der erneuerbaren Energien geschuldet. „Der Gaspreis ist gestiegen, die Stromnachfrage ist zurückgegangen. Strom aus erneuerbarer Produktion hat Vorfahrt bei der Einspeisung ins Netz; das hat die Produktionszeiten der GUD stark reduziert. Und die Strompreise sind, sogar wenn sie sich kurzfristig ein wenig erholt haben, deutlich gefallen“, erklärt Anne-Sophie Hugé, Pressesprecherin von Electrabel. In der Zusammenfassung heißt das: Das Gas, das in der Produktion verbraucht wird, ist teurer als der Strom, der damit produziert wird. Weil zudem die CO2-Zertifikate günstig sind, ist Kohle als Rohstoff zur Stromgewinnung, rein finanziell gesehen, wieder interessanter geworden. Dass Strom billig ist, liegt nicht nur daran, dass die Nachfrage krisenbedingt zurückgegangen ist. Sondern auch an der Subventionierung erneuerbarer Energie über Investitionsbeihilfen und Einspeisevergütung.

Dieses Problem betrifft nicht nur Twinerg, sondern viele GUD in Europa. In der Nähe von Köln wurde vergangenes Jahr das GUD Knapsack II fertig gestellt. Schon bei der „Inbetriebnahme“ stand fest, dass der Betrieb aus Rentabilitätsgründen nicht aufgenommen werde. Auch Eon und RWE belastet diese Situation. Als im Frühling bekannt wurde, dass sie sich aus dem Kapital von Enovos zurückziehen wollen, um ihre Beteiligungen in Bares zu verwandeln, geschah dies auch vor diesem Hintergrund (d’Land, 18.04.2014). In ganz Europa schätzt Anne-Sophie Hugé, seien bereits Kraftwerke mit einer Leistung von insgesamt 30 000 Megawatt vom Netz genommen worden. Dass ausgerechnet die in der Energiewende als Brückentechnologie und Reservekapazitäten eingeplanten Gaskraftwerke auf der Strecke bleiben, liegt auch am überraschend schnellen Tempo, mit dem sich die Wende vollzieht. „Vor 20 Jahren, als der Bau der Twinerg beschlossen wurde, konnte niemand wissen, dass die Strompreise dermaßen fallen würden“, sagt Jean Lucius. Deswegen stelle sich insgesamt die Frage nach dem Aufbau des Energiemarktes in Europa, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium. Ab 2017, so sehen es die EU-Regelungen vor, müssen die Erzeuger erneuerbaren Stroms mehr Verantwortung übernehmen, dürfen nicht mehr zu Negativpreisen produzieren und so zu einer marktkonformeren Steuerung von Angebot und Nachfrage beitragen.

Dabei war der Bau von Twinerg von Anfang an nicht unumstritten. Die Auseinandersetzung zwischen der Umweltorganisation Greenpeace einerseits und den Aktionären und dem Wirtschaftsministerium andererseits darum, ob Twinerg die bestmögliche Technologie nutze, beschäftigte Gerichte und Presse über Jahre. Dabei spielte auch die Wärmeabkopplung ins Fernwärmenetz eine Rolle. Ein Fernwärmenetz, das aufgrund mangelnden Interesses – hohe Investitionen, Effizienzprobleme aufgrund der Distanz zwischen Erzeuger und Kunden – fast nicht zustande gekommen wäre. Aus dem GIE Sudcal entstand 2008 die Sudcal SA, die ein Fernwärmenetz von elf Kilometern Länge betreibt und die Escher Stadtteile Belval und Nonnewisen, die Aktivitätszone Sommet sowie einen Teil Ehleranges mit Wärme versorgt. Die Wärmeversorgung ist gesichert, beruhigen die Sudcal-Verantwortlichen, auch wenn Twinerg die Produktion im Gaskraftwerk einstellen sollte. Sudcal verfügt über einen eigenen Dampfkessel. Und auch Twinerg kann als Back-up zwei kleinere Dampfkessel zur Wärmeerzeugung lancieren. Doch damit wird der Betrieb teurer, sagt Paul Weidig, LSAP-Vertreter im Gemeinderat von Esch.

Die Situation bei Twinerg ist allerdings nicht nur auf die schlechten Marktbedingungen im Allgemeinen zurückzuführen, sondern auch auf die besonderen Umstände unter denen Bau und Betrieb beschlossen wurden. Zum Anlass der feierlichen Inbetriebnahme vor bald zwölf Jahren lobten Politiker und Verantwortliche den Beitrag von Twinerg zur Versorgungssicherheit Luxemburgs als einzige große Produktionsanlage auf dem Staatsgebiet. Twinerg sollte außerdem helfen, die Industrie wettbewerbsfähig zu halten. Die Aktionäre Cegedel und Arcelor-Mittal sollten jeweils 100 Megawatt der Gesamtkapazität von 350 Megawatt abnehmen. „Damals wurde gesagt, wir wollen in Luxemburg Strom auf Basis der Produktionskosten, nicht zu Marktpreisen zur Verfügung haben“, sagt Jean Lucius. Möglich war dies, weil die Verträge an den Kohlepreis gebunden waren, der als stabil galt und unter dem Marktpreis lag, erklärt er. So ergab sich auch für Sotel, das Arcelor-Mittal-Netz ein stabiler Strompreis. Über die Jahre bezog Cegedel, dann Enovos zwischen einem Fünftel und einem Viertel des weiterverkauften Stroms von Twinerg. Das GUD, sagt Lucius, wurde nie gebaut, um einfach Strom ins Netz einzuspeisen.

Aber genau das tut Twinerg seit dem 1. Januar 2014 – wenn die Anlage läuft. Ende 2013 einigten sich die Aktionäre darauf, ihre ursprünglichen Vertragsvereinbarungen aufzuheben und Twinerg vorerst als „merchant operation“ weiterzubetreiben. Was so viel heißt, dass die Anlage nur dann produziert, wenn es eine Nachfrage gibt dafür und der Strom an der Brüsseler Börse frei verkauft wird. Vergangenes Jahr war es zwischen Twinerg und Arcelor-Mittal zum Streit gekommen, weil Arcelor-Mittal Twinerg entgegen der Verträge keinen Strom mehr abkaufen wollte. Den gab es an der Börse billiger. Arcelor-Mittal hat Twinerg deshalb zwölf Millionen Euro Entschädigung gezahlt. Was genau passiert ist, lässt sich in der Bilanz nachlesen: Verkaufte Twinerg 2012 Strom für 98,3 Millionen Euro in Luxemburg (Enovos und Arcelor-Mittal) sowie für 38,7 Millionen Euro nach Belgien, fiel der Umsatz in Luxemburg 2013 auf 53,5 Millionen Euro. Im Gegenzug stieg der Umsatz in Belgien auf 67,3 Millionen Euro. Auch zwischen dem Netzbetreiber Creos und Twinerg gab es Streit wegen der Einspeisegebühren für die an Enovos verkauften 100 Megawatt. Ein Streit, der mit einer Zahlung von 7,3 Millionen Entschädigung für Creos gelöst wurde.

Dass Twinerg über das Sotel-Netz ans belgische Netz von Elia angeschlossen ist, führte nicht nur zu Diskussionen über Netznutzungsgebühren, sondern spielt auch in der Suche nach Zukunftslösungen eine Rolle. Im Wirtschaftsministerium wird derzeit mit Hilfe externer Experten geprüft, wie wichtig Twinerg für die Versorgungssicherheit Luxemburgs ist. Im September sollen die Schlussfolgerungen vorliegen. Antworten zu finden, dürfte so einfach nicht sein. Denn Twinerg direkt ans Luxemburg Netz anzuschließen, würde nicht zur Netzsicherheit beitragen, erklärt Jean Lucius. Weil es die einzige große Anlage wäre. Wie die Spannung stabil halten, wenn die Anlage beispielsweise aus Wartungsursachen stillsteht? „So lässt sich kein Netz steuern“, sagt Lucius, der darauf hinweist, dass Luxemburg, davon abgesehen, gut vernetzt ist.

Deswegen verhandele man mit den belgischen Behörden darüber, ob Twinerg möglicherweise in der Pool der Reservekapazitäten aufgenommen werde könne. Solche Anlagen werden dafür entlohnt, dass sie so gewartet werden, dass sie jederzeit die Produktion hochfahren können, wenn es zu Unterkapazitäten kommt. Beispielsweise weil Flaute bei den erneuerbaren Energien herrscht. Oder Atomkraftwerke vom Netz müssen, eine Diskussion, die in Belgien derzeit aktuell ist. Vor wenigen Wochen schlug der Netzbetreiber Elia aus Sorge über die Versorgungssicherheit für den Winter Alarm, weil in den Vorsorgeplänen der Ausfall der Atomreaktoren Doel II und Tihange III nicht vorgesehen ist, die wegen Mikrorissen kurzfristig vom Netz mussten. So ernst schätzt man die Lage ein, dass Elia kürzlich die Straftarife, welche die Erzeuger im Fall von Ungleichgewichten im Netz pro fehlendem Megawatt auf 4 500 Euro angehoben hat. „Das ist enorm“, sagt Anne-Sophie Hugé, „Der Megawattpreis schwankt derzeit zwischen 45 und 50 Euro.“ Für die erste Ausschreibungsrunde, die Elia auf der Suche nach Reservekapazitäten durchgeführt hatte, war Twinerg nicht qualifiziert, erklärt Hugé. Zu den Bedingungen gehörte, dass die Anlagen bereits zum 1. November 2014 stillstehen. „Ob es eine zweite Ausschreibung gibt“, sagt sie, „liegt nicht in unserer Hand.“ Jean Lucius, Twinerg-Verwaltungsratsmitglied hofft, dass man bis Ende Oktober in dieser Frage klarer sieht.

Falls Twinerg keinen Deckungsbeitrag über diesen Weg erzielen könnte, müsse das Werk eingemottet werden, so Lucius. Es später wieder einmal anzufahren, würde danach sehr viel teurer. Außerdem müssten dann wohl die Aktionäre in die Tasche greifen. Rund 150 Millionen Euro wurden für den Bau der Anlage investiert, berichtete L’Écho anlässlich der Inbetriebnahme. Die Europäische Investitionsbank EIB hatte dafür eine Kreditlinie von 80 Millionen Euro mit Fälligkeitsdatum Mitte Dezember 2017 eröffnet, ein Konsortium aus Luxemburger Banken einen Kredit von 60 Millionen Euro gegeben, der Mitte Dezember 2015 getilgt sein muss. Ende 2013 standen davon noch 26,2 Millionen Euro aus. Gegenüber den Aktionären/Geschäftspartnern stand Twinerg netto mit zusätzlichen 27,5 Millionen Euro in der Kreide. Für die Schulden haften die Aktionäre entsprechend ihrer Beteiligung. Also auch Arcelor-Mittal und Enovos.

Dass Twinerg deshalb mit „allen Behörden“, also belgischen und luxemburgischen, in Kontakt ist, wie Hugé sagt, wundert deshalb nicht. Ausgerechnet für die Luxemburger Behörden aber, hätte eine definitive Schließung Twinergs einen besonderen Nebeneffekt: Die Klimabilanz würde sich schlagartig verbessern. Denn Twinerg ist der größte Einzelverbraucher von C02-Zertifikaten. Von 1,99 Millionen Quoten, die 2012 genutzt wurden, gehen 771 817 auf Twinerg zurück.

Michèle Sinner
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