Der Non-Profit-Sektor – Heterogene Organisationsformen und Selbstverständnisse
Der Non-Profit-Sektor in Luxemburg umfasst eine Vielzahl von Organisationen, die soziale, kulturelle, bildungsbezogene oder umweltorientierte Ziele verfolgen, ohne Gewinn zu erwirtschaften. Seine Wurzeln reichen tief in die Geschichte der sozialen Fürsorge, heute spielt er eine zentrale Rolle in der Unterstützung Bedürftiger, der Förderung von Gemeinschaft und Kultur sowie globaler Initiativen wie der Entwicklungszusammenarbeit.
Der Sektor ist keineswegs monolithisch – Organisationen unterscheiden sich stark in ihrer Ausrichtung und ihrem Selbstverständnis. Um Hilfsangebote gezielter zu gestalten, gibt es verschiedene Kategorisierungsversuche. Eine grundlegende Definition liefern die Autoren Anheier und Salomon1: Non-Profit-Organisationen sind organisiert, privat, nicht gewinnorientiert, autonom und auf freiwilliger Basis tätig. Diese Merkmale wurden im Rahmen der internationalen John-Hopkins-Studie entwickelt, um die Vielfalt des Sektors strukturiert zu erfassen.
Ein weiteres Modell der Kategorisierung, nach Zimmer und Freise2, unterscheidet Non-Profit-Organisationen anhand ihrer Aktivitäten: Mitgliedsbasierte Organisationen (z.B. Gesangsvereine), dienstleistungsorientierte Organisationen (z.B. Croix-Rouge, Elisabeth, CNDS), Interessensvertretungen (z.B. Greenpeace, Gewerkschaften) sowie Organisationen zur Bereitstellung finanzieller/nicht-finanzieller Ressourcen (z.B. Stiftungen)
Paul Zahlen analysierte in seiner Land-Artikelserie „Le tiers secteur au Luxembourg“3 die historische Entwicklung des Sektors und seine sozio-politische Verankerung. Ein Meilenstein war das 1998 in Kraft getretene ASFT-Gesetz, das – wenn auch nur für einen Teil der rund 5 300 eingetragenen Vereine – rechtliche Rahmenbedingungen für staatlich geförderte Organisationen schuf.
In den letzten 15 Jahren setzte der Staat verstärkt auf private Anbieter in Bereichen wie frühkindliche Bildung, Kindernothilfe, Seniorenbetreuung und Pflegedienste. Debatten um die zunehmende Privatisierung fanden nur wenig statt – Stichwort Orpea oder größere internationale Ketten von Kinderkrippen. Inwiefern die Öffentlichkeit zwischen profitorientierten Strukturen und gemeinnützigen Trägern unterscheidet, ist fraglich. Gleichzeitig schuf die staatliche Förderung Raum für neue Sozialunternehmen wie Telos oder HUT, die häufig die Vereinsform nutzen, obwohl die 2016 eingeführte Rechtsform der Société d’impact sociétal (SIS) – nach Vorbild der deutschen gemeinnützigen GmbH – besser geeignet wäre. Doch die SIS scheiterte an bürokratischen Hürden und wechselnde politische Prioritäten verhinderten bislang ihre breite Etablierung.
Im Gegensatz dazu steht der zivilgesellschaftliche, mitgliederbasierte Teil des Sektors. Lose Zusammenschlüsse, sogenannte „associations de fait“ oder projektbasierte Initiativen entstehen oft spontan und mobilisieren beachtliche Energie. Allerdings stoßen sie schnell an ihre Grenzen: Fehlende Bankkonten, Haftungsunsicherheiten, keine Versicherungen oder Fördermöglichkeiten. Dennoch beeinflussen sie durch Social Media und Demonstrationen politische Diskurse (z. B. Fridays for Future, Refugees Welcome, Donuts & Politics). Während einige Initiativen sich langfristig institutionalisieren, lösen sich andere nach Erreichen ihrer kurzfristigen Ziele wieder auf – sie spiegeln oft den Zeitgeist wider und sind besonders in Jugendbewegungen und gesellschaftlichen Trends verankert.
Die aktuellen Herausforderungen des Non-Profit-Sektors
Der Sektor steht heute vor mehreren Herausforderungen, die ihn in seiner Arbeit einschränken könnten. Finanziell sind viele Organisationen stark von privaten Spenden und viel öfter noch von öffentlichen Förderungsgeldern abhängig. Angesichts der wirtschaftlichen Unsicherheit und der wachsenden Zahl an Organisationen ist die Konkurrenz um Mittel groß. Der Caritas-Skandal im Sommer 2024 hat zudem die Themen Transparenz und Verantwortlichkeit in den Fokus gerückt, der Sektor muss nun das Vertrauen von Spendern zurückgewinnen.
Im Wohlfahrtssystem ist die mehr oder weniger aktivierende Rolle des Staates wichtig für die Entstehung und Entwicklung von Non-Profit-Organisationen. Neue Aufgaben und Anforderungen werden an den dritten Sektor herangetragen und dementsprechend verändert sich auch die Frage nach Qualitätssicherung, Effizienz und Messbarkeit. Im Hinblick auf eine allgemeine wirtschaftliche Stagnation, stellt der Non-Profit Sektor noch immer eine wirtschaftlich-wachsende Branche dar. Gründe hierfür sind die Autonomisierung zahlreicher, früher öffentlicher, Einrichtungen und generell der Rückzug und die aktivierende Funktion des Staates4.
Parallel dazu sind innerhalb des Sektors erhebliche Veränderungen zu beobachten. Der innersektorale Wettbewerb und der Wettbewerb mit Organisationen aus anderen Sektoren nehmen zu. Viele Non-Profit-Organisationen sind mit Veränderungsprozessen befasst, um sich an die erhöhten Anforderungen an Produktivität und Qualität der Leistungserbringung in Zeiten leerer Kassen anzupassen. Dabei wird immer mehr auf betriebswirtschaftliche Management-Kompetenz zurückgegriffen5.
Darüber hinaus stellt sich besonders im Luxemburger Kontext jedoch auch die größere, strukturelle Frage nach der Zukunft des Sektors: Welche Reformen der Governance sind nötig? Braucht es stärkere Finanzkontrollen (wissentlich, dass das reformierte ASBL-Gesetz gerade mal knapp zwei Jahre alt ist)? Wie priorisiert die Politik zwischen politischer Zivilgesellschaft, Subsidiaritätsprinzip, Professionaliserung und ehrenamtlichem Engagement? Wie kann der Gesetzgeber die Heterogenität des Sektors schützen?
Die Krise bietet auch eine Gelegenheit, den Sektor weiter zu entwickeln – durch Innovationen, ein stärkeres Verantwortungsbewusstsein und eine Fokussierung auf langfristige Stabilität. Ein Ansatz könnte das Konzept des New-Public-Managements sein, das darauf abzielt, den öffentlichen Sektor effizienter und kundenorientierter zu gestalten, indem es Managementpraktiken aus der Privatwirtschaft integriert. Für den Non-Profit-Sektor birgt dieses Konzept sowohl Chancen als auch Risiken.
Die Vorteile dieses Ansatzes erscheinen im Rahmen der aktuellen Situation durchaus legitim. Ein zentraler Bestandteil von New-Public-Management ist die Einführung effizienter Managementtechniken wie Ergebnisorientierung, Performance-Messung und Kosten-Nutzen-Analysen. Non-Profit-Organisationen in Luxemburg könnten von einer besseren Ressourcennutzung und einer stärkeren Fokussierung auf ihre Kernziele profitieren. Das Konzept fördert eine größere Transparenz und Rechenschaftspflicht gegenüber Stakeholdern, wie etwa Spendern, Mitarbeitern oder der Öffentlichkeit. Non-Profit-Organisationen könnten durch die Einführung von Kennzahlen und regelmäßigen Berichten ihre Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in ihre Arbeit erhöhen.
Jedoch hat dieser Ansatz auch Schattenseiten für den sehr heterogenen Sektor: Eine der häufig kritisierten Seiten des New-Public-Managements ist die Gefahr, dass es zu einer „Kommerzialisierung“ des öffentlichen Sektors führt. Für den Non-Profit-Sektor könnte dies bedeuten, dass finanzielle oder marktbezogene Überlegungen Vorrang vor den eigentlichen sozialen Zielen der Organisationen bekommen. Das könnte insbesondere für Organisationen problematisch sein, deren primäres Ziel die soziale Wirkung und nicht die Wirtschaftlichkeit ist. Die Einführung von Managementpraktiken und Performance-Messsystemen wird zusätzlichen bürokratischen Aufwand erzeugen. Kleinere Non-Profit-Organisationen in Luxemburg haben jedoch bereits heute Schwierigkeiten, staatliche Anforderungen zu erfüllen, ohne ihre Kapazitäten oder ihre Mission zu gefährden.
Das Prinzip des New-Public-Managements, welches bereits in der Praxis in den größeren, hoch-professionalisierten Wohlfahrtsverbänden besteht (etwa im ambulanten Pflegesektor), ist somit für jene Organisationen passend die eine sehr enge Beziehung zum Staat pflegen und sich als Dienstleister verstehen. Hier profitiert der Sektor durch eine agilere Praxis als bei der staatlichen Alternative, ergebnisorientiertem Handeln und starker Qualitätssicherung.
Die Rechtsform der ASBL steht im Widerspruch mit der Funktionsweise zahlreicher Wohlfahrtsverbände. Denn ein wichtiges Strukturmerkmal gemeinnütziger Organisationen, und im Besonderen der professionalisierten, dienstleistungsorientierten Strukturen, ist die Differenzierung zwischen haupt- und ehrenamtlichen Führungskräften. Besonders in großen Vereinen und Verbänden stehen sich diese beiden Statusgruppen in einer höchst-konträren und dennoch stark symbiotischen Ausgangssituation gegenüber. Der ehrenamtliche Vorstand eines Vereins handelt nach dem Prinzip der Freiwilligkeit, haben keine kontraktuellen Verpflichtungen und eine geringere zeitliche Einbindung in die innerorganisationale Arbeitsaufteilung. Dennoch sind es gerade sie, die die legale Verantwortung und die letzte Entscheidungsmacht über die Organisation innehaben. Sie repräsentieren die Organisation gegenüber wichtigen Stakeholdern und der Medien, und haben dennoch keinen genauen Einblick in das Funktionieren der Organisation. Sie sind abhängig von einer hauptamtlichen Führung und gleichzeitig verpflichtet, diese zu kontrollieren. Nicht zuletzt anlässlich des Millionen-Betrugs bei der Luxemburger Caritas wurden die Schwäche eines solchen Systems deutlich.
Lösungsansätze und Differenzierung
Das 1998 eingeführte ASFT-Gesetz in Luxemburg regelt die Beziehungen zwischen dem Staat und Organisationen, die in den Bereichen Soziales, Familie und Therapie tätig sind. Es legt Qualitätsstandards fest, die erfüllt werden müssen, um staatliche Unterstützung zu erhalten. Obwohl dieses Gesetz damals einen Meilenstein in der Luxemburger Sozialarbeit darstellte, ist es heute reformbedürftig. Zum einen, weil es wichtige Themen wie Migration, Arbeit oder Wohnungsbau nicht abdeckt, und zum anderen, weil sich in den letzten 25 Jahren neue Handlungsansätze, Konventionen, Finanzierungsmodelle und administrative Abläufe entwickelt haben, die dringend harmonisiert werden müssen. Eine mögliche Lösung könnte die Schaffung einer ministeriumsübergreifenden Behörde sein, die sowohl für die Finanzierung als auch für die Kontrolle des Sektors zuständig ist. Diese Behörde könnte eine zentrale Stelle für Harmonisierungsfragen darstellen und regelmäßige Audits der einzelnen Organisationen durchführen. Solche Audits, die insbesondere die internen Kontrollmechanismen, Prozeduren und Prinzipien der good governance betreffen, sollten für Non-Profit-Organisationen, die öffentliche Gelder erhalten, verpflichtend sein und auch entsprechend vom Staat finanziert werden.
Neben der 2023 verabschiedeten überarbeiteten Gesetzgebung für ASBLs und Stiftungen, sollte auch die SIS-Gesetzgebung einer Überarbeitung unterzogen werden. Bisher greifen nur wenige Organisationen auf diese Rechtsform zurückgegriffen, da der bürokratische Aufwand auf manche abschreckend wirkt.
Der Non-Profit-Sektor besteht aus einer Vielzahl an Organisationen und Mitarbeitenden und ist von monetärem und nicht-monetärem Wert.Angesichts seiner Vielschichtigkeit und der zehntausenden Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen stellt sich die Frage, ob der Sektor nicht unter einer gemeinsamen „Chambre professionelle“ zusammengeführt werden sollte. Eine solche Plattform würde dem Sektor mehr Gehör verschaffen, zusätzliche politische Handlungsspielräume eröffnen und eine professionelle Vertretungsebene schaffen.
Ein weiterer Lösungsansatz für die strukturellen Schwächen vieler Non-Profit-Organisationen könnte die Einführung eines „Congé pour cadres bénévoles“ sein. Damit würde der Staat die wichtige Rolle ehrenamtlicher Führungskräfte in Verwaltungsräten anerkennen, die oft unentgeltlich, in ihrer Freizeit und neben ihrem Beruf strategische Leitungsaufgaben übernehmen. Eine Freistellung von zwei bis drei Stunden pro Woche würde diesen Führungskräften ermöglichen, ihre Aufgaben besser wahrzunehmen. Gleichzeitig würde dies ihre Teilnahme an Weiterbildungen in Bereichen wie Governance, Controlling und strategischer Führung fördern. Ein solcher Sonderurlaub wäre insbesondere für Präsident/innen, Sekretär/innen und Kassenwart/innen von Organisationen mit Angestellten sinnvoll. Ohne eine solche Aufwertung wird es zunehmend schwieriger, qualifizierte Personen für verantwortungsvolle Aufgaben im dritten Sektor zu gewinnen.
Die Luxemburger Zivilgesellschaft – bestehend aus Vereinen, Bewegungen sowie Sport- und Kulturorganisationen – ist oft mitgliederbasiert und verfügt selten über einen professionellen Unterbau. Die größten Herausforderungen liegen in der Suche nach Freiwilligen und der zunehmenden Bürokratie, insbesondere nach den jüngsten Änderungen des ASBL-Gesetzes. Statt die Vereine und Ehrenamtlichen mit diesen Herausforderungen allein zu lassen, könnte der Staat gezieltere Unterstützung leisten. Mögliche Maßnahmen wären: verbesserte steuerliche Anreize für Spenden an gemeinnützige Organisationen; Wegfall oder Reduktion von Bankgebühren für Vereine; juristische Hilfestellung bei statutarischen und rechtlichen Fragen sowie staatlich finanzierte Versicherungen für Ehrenamtliche.
Nach dem Vorbild der Ehrenamtskarte in Bayern könnten freiwillig Engagierte zudem Vergünstigungen im Bereich Kultur, Sport oder Transport erhalten. Darüber hinaus sollte die „Agence du Bénévolat“ ihr Potenzial als Kompetenzzentrum und zentrale Anlaufstelle für Ehrenamtliche und zivilgesellschaftliche Projekte besser ausschöpfen. Statt sich nur auf einzelne Kampagnen oder Labels zu konzentrieren, könnte sie eine umfassende Unterstützung für Vereine und Freiwillige bieten.
Abschließend bleibt anzumerken, dass es an einer Debatte um die Zukunft des dritten Sektors in Luxemburg fehlt. Die Heterogenität macht eine Debatte um Förderung, Kontrolle, Bedürfnisse und Perspektiven durchaus komplizierter, das Silo-Denken einzelner Ministerien und die damit beschränkte Sicht auf „ihre“ konventionierten Vereine und Institutionen erschwert eine gemeinsame Vision auf das Ehrenamt, die Zivilgesellschaft und den Non-Profitsektor zusätzlich. Aus dem Caritas-Skandal könnten gemeinsame Überlegungen für den Sektor entstehen, zu hoffen bleibt dabei, dass auch jene Organisationen und Verbände die sich eher als Dienstleister sehen, sich ihrer Rolle als politische Stimme und Vertreter des Sektors und ihrer Klienten, Nutzer, Schutzbedürftigen und Ehrenamtlern bewusst sind. Der Staat darf sich hinsichtlich des Schadens der Caritas-Krise und vor allem der anschließenden mangelhaften und nicht sehr wertschätzenden Kommunikation nun keinesfalls aus der Verantwortung ziehen. Kohärenz, Harmonisierung und besserer Dialog mit dem Non-Profit-Sektor sind unerlässlich um diesen wichtigen Bereich unseres Wohlfahrtsstaates zu stärken und für die Zukunft breit aufzustellen.