Das große Gespräch: Matthias Naske

Ich pfeife auf die Schickheit

d'Lëtzebuerger Land vom 09.08.2013

Die Bilder lehnen noch an der Wand, eine Reihe von Kisten stehen unausgepackt im Raum, die geerbten Büro-Regale im Direktionsbüro des schmucken Jugendstil-Baus sind erst spärlich gefüllt. Das Wiener Konzerthaus nahe dem Karlsplatz, aber doch ein wenig abseits der großen Kultur-Prunkbauten der österreichischen Hauptstadt gelegen, feiert in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag. Sein neuer Direktor amtiert erst seit wenigen Wochen, und die Sommerpause ist heiß, aber kurz. Schon bald werden die Besucher wieder in das Haus mit seinen drei großen, qualitativ hochwertigen Konzertsälen strömen, werden Konstantin Wecker, Julian Rachlin, den Wiener Philharmonikern und Rudolf Buchbinder lauschen. Mitten im Umzugschaos aber nimmt sich Matthias Naske, frisch aus Luxemburg angereist, noch Zeit für ein Interview mit dem Lëtzebuerger Land.

d’Lëtzebuerger Land: Herr Naske, was haben Sie aus Luxemburg mitgenommen? Rein physisch? Einen Splitter vom Grundstein der Philharmonie vielleicht?

Matthias Naske: Metaphorisch nimmt man natürlich einiges mit. Ich war ja gut zehn Jahre in Luxemburg, und ich habe meine eigene Geschichte und Herkunft richtig zu positionieren gelernt. Ich habe gelernt, dass Wien ein kulturreicher, interessanter, wunderbarer Ort im Osten Europas ist. Im Selbstverständnis eines Wieners ist man hier in der Mitte Europas. Ich habe diese Mitte Europas jetzt in Luxemburg kennengelernt. Es hat mich befreit von einigen Selbstgefälligkeiten, die man als gebürtiger Wiener in die Wiege gelegt bekommt…

Zum Beispiel?

Die Haltung, sich selbst als Nabel der Welt zu empfinden. Ich habe ein Land kennengelernt, vor dem ich hohen Respekt habe, das auch so seine Hausaufgaben noch zu erledigen hat, und das auf der anderen Seite geprägt ist durch ein Gesellschaftssystem, das interessant und beispielgebend ist. Ich sage nicht, dass es keine Probleme gibt, und leider ist es eine Strukturschwäche von Demokratien, dass diese Probleme oft nicht beherzt und radikal genug angegangen werden. Ich habe unendlich viele gute Erinnerungen, viele Freundschaften, die ich hoffentlich mitnehme, und ich bleibe dem Land verbunden. Das war eine so wichtige Zeit für mich und ich möchte keinen Tag davon missen, das widerspiegelt sich nicht in einem physischen Gegenstand – je leichter man reist, desto besser. Andererseits sehen Sie hier viele Kisten voll mit Ordnern und Unterlagen.

Die Aufgabe, die hinter Ihnen liegt, und die neue Herausforderung in Wien sind sehr unterschiedlich gelagert. Wo müssen Sie sich umstellen?

Das Schlüsselelement für jede kulturelle Institution ist: Kulturelle Relevanz zu bilden. In Wirklichkeit spiegelt das, was eine kulturelle Institution macht, das wider, wie die Gesellschaft zusammengesetzt ist. Insofern muss ein Konzerthaus genauso wie ein Theater und eine Oper sein Programm maßschneidern an die Gesellschaft, für die es arbeitet. Das kulturelle Leben in Wien ist traditionsgebunden, die Rezeptionskultur ebenfalls. Für mich geht es darum, das Haus in der Mitte der Gesellschaft zu positionieren. Das gleicht dem, was ich in Luxemburg gemacht habe. Eine möglichst große Relevanz für eine möglichst große Zahl der Menschen hier zu generieren. Und wie macht man das? – Indem man Linien entwickelt, die für die Menschen, für die man arbeitet, bedeutend sind, und indem man niemanden ausschließt.

Konzipiert man hier auch mehr für die Touristen, die ein bestimmtes Wien-Bild erwarten?

Ich bin der Meinung, dass es Partner gibt, die diesen Bereich gut abdecken. Die Szene in Wien ist im Vergleich zu Luxemburg viel stärker besetzt und ein Konzerthaus wie dieses macht ca. 700 bis 800 Veranstaltungen im Jahr, aber davon nur etwa 400 bis 450 selbst. Der Eigenveranstaltungsanzahl bei der Philharmonie in Luxemburg lag bei 80 Prozent. Und jetzt komme ich wieder zum Begriff kulturelle Relevanz: Es ist das, wonach die, die dafür arbeiten, suchen. Es ist eigentlich der Gradmesser – ob man politische Relevanz entwickelt, ob man Subventionen bekommt, ob man Sponsoren bekommt, all das hängt mit der Frage zusammen, erreiche ich genug und die richtigen Menschen oder erreiche ich sie nicht.

Das Messkriterium sind letztlich die verkauften Tickets.

Am Ende ja: die Anzahl der Veranstaltungen und die verkauften Karten. In einem Punkt unterscheiden sich Philharmonie und Konzerthaus gewaltig, das ist die Betriebsaufstellung. Der Grad der Eigenfinanzierung hier ist ungesund hoch. Die Förderrate liegt nur bei 12 Prozent, die Unterstützung der Stadt Wien ist seit 1998 eingefroren. Das Haus wird getragen von einem privaten Verein, dem die Immobilie gehört und der den Spielbetrieb aufrecht erhält. Und der in der Erfüllung seiner Mission davon abhängt, dass die Mittel generiert werden, die zur Aufrechterhaltung nötig sind. Da könnte die öffentliche Hand mit einer geringfügigen kleinen Mitteleinsatz eine deutliche Hebelwirkung erzielen. Es ist hart an der Grenze des nicht mehr Leistbaren.

Das wussten Sie aber, als Sie Ihren Vertrag unterschrieben haben.

Das wusste ich natürlich, und deshalb bin ich hier – weil ich glaube, dass ich dem Haus helfen kann. Ich arbeite seit gut 25 Jahren in verschiedenen Institutionen, ich bin in Wien stark verwurzelt und kenne viele Kollegen. Ich liebe dieses Haus und bin hier aufgewachsen, ich kenne die politischen Partner – also, weshalb soll das nicht gelingen. Man muss es mit einer Mischung aus Pragmatismus und wirklich entwickelter Liebe zur Musik und Sachverstand moderieren. Ich kann die entwickelte Linie des Öffnens des Hauses für verschiedene musikalische Stilrichtungen und Genres weiterführen und qualitativ wieder vertiefen und verfeinern und auf der anderen Seite den einen oder anderen Impuls setzen. Es funktioniert hier ja nicht schlecht, wir haben 31 000 Abonnements, das heißt ja schon etwas. Nur politisch spiegelt sich das noch viel zu wenig wider.

Einer Ihrer Vorgänger, Alexander Pereira, ist berüchtigt für sein gutes Händchen für Sponsoring. Wie stehen Sie zu diesem Thema?

Ich denke, dass Wirtschaftspartnerschaften wichtige Mitfinanzierungsquellen sind. Es soll und darf der Wirtschaftspartner aber nicht maßgeblich bestimmen, was kulturell oder programmatisch passiert. Wenn es einer Institution gelingt, eine so starke Strahlkraft zu entwickeln, dass sie kommunikationsmäßig interessant genug ist für Wirtschaftspartner, dann ist das ein geradliniges Win-Win für beide. Wir haben in Österreich nur im Moment das Problem, dass mit dem verschärften Korruptionsstrafrecht jetzt gesetzlich absurde Riegel vorgeschoben werden. Das hemmt total. Es ist eine Gesetzgebung, die der Mitfinanzierung durch Wirtschaftsbetriebe für gemeinnützige Vereine richtig Steine in den Weg legen. Und das ganze kommt aus der schlechten Gouvernance einer Regierung.

… Der rechtskonservativen Koalition von 2000 bis 2006…

Das ist eine ganz eigentümliche Gegenwartsbewältigung, das ist sehr österreichisch. Es wird eben nicht ehrlich benannt: Wir hatten einmal ein Problem. Sondern es wird ein kurioses Konstrukt gemacht, dass Karten über 100 Euro nicht verschenkt werden dürfen. Das ist doch lächerlich. Auf der einen Seite werden die kulturellen Institutionen nicht mehr von Staat und Stadt öffentlich mitgetragen, auf der anderen Seite werden andere Möglichkeiten durch diese Art von scheinbarer Sauberkeit entzogen. Ich halte das für eine komplette Fehlentwicklung, die korrigiert werden muss.

Sie übernehmen Bauschulden aus dem langjährigen Umbau in Höhe von rund sechs Millionen.

Es sind 6,8 Millionen Euro. Ich möchte das in den fünf Jahren, für die ich als Intendant bestellt bin, abbauen. Ich habe einen Plan entwickelt mit dem Direktorium, der liegt beim Bund und bei der Stadt. Ich hoffe, dass wir im Herbst zum 100. Jubiläum einen politischen Weg gefunden haben, der dem Haus eine Perspektive gibt. Naheliegend wäre eine Drittel-Lösung zwischen Stadt, Land und Haus, hier über Sponsoren und seine Mitglieder, die ja nicht zu unterschätzen sind.

Was ist ihre Vision für das Haus und was kann das Publikum erwarten?

Das Fördern der individuellen Lust im Wahrnehmen von musikalischem Geschehen ist die zentrale Aufgabe des Konzerthauses. Sie können viel Musikvermittlungsarbeit erwarten in Zukunft in diesem Haus – sofern es mir gelingt, die Mittel dafür aufzutreiben. Ich werde Kontinuitäten bedienen, und das gerne – Konzertreihen, die hier seit Jahren verankert sind, müssen adäquat und sauber in die Zukunft geführt werden. Andererseits können Sie erwarten, dass sich auch die gesellschaftliche Pluralität und Inhomogenität im Programm widerspiegelt. Ich möchte bewusst noch nicht sagen, was das ist. Das werden kleine Festivals sein, die Schwerpunkte ins Leben von Menschen bringen sollen. Da spielt die Moderne immer eine Rolle, das ist Tradition in diesem Haus, und das werde ich nicht brechen. Sehr am Herzen liegen mir Kinderprogramme. Kinder werden im künstlerischen Anspruch immer unterschätzt. Dieses Haus soll Wiens sozial offenes Haus sein, wir dürfen nicht zu teuer werden, deshalb ärgert mich das auch so mit den Subventionen. Man wird hineingedrängt in ein privatwirtschaftliches Handeln, das auch geht. Man kann das Haus auch kommerziell führen. Aber dann ist es etwas ganz Anderes. Dann macht es keine Neue Musik mehr, dann macht es nichts für Kinder – dann macht es die großen Superstars zu möglichst hohen Preisen. Das finde ich komplett uninteressant.

Was darf eine Karte kosten?

Ich bin ein Freund von modesten Preisen. Es gibt genug Menschen, die sich genau überlegen müssen, ob sie zu fünft oder zu dritt in ein Konzert gehen oder nicht, und ich möchte, dass diese Menschen es möglichst leicht haben. Natürlich ist es schick, nicht von öffentlicher Hand abhängig zu sein. Aber ich pfeife auf die Schickheit. Ich möchte möglichst vielen Menschen möglichst gute Qualität in vielen musikalischen Genres zur Verfügung stellen. Aber es ist so, wir haben hier auch Veranstaltungen, die bis zu 150 Euro kosten.

Es gibt in Wien eine fast schon traditionelle Konkurrenzsituation zum älteren und international bekannteren Musikverein.

Dessen Leiter Thomas Angyan kenne ich schon lange, und ich denke, wir werden diesen Wettstreit fair führen. Ich denke, dass die Gesellschaft der Musikfreunde aufgrund ihrer zweihundertjährigen Tradition stärker – hm…

Elitärer?

Thomas Angyan würde es sicher nicht als elitär bezeichnen.

Und Sie?

Ich auch nicht…. Ich glaube, dass in der Schwerpunktsetzung der Arbeit das Anerkennen der Verschiedenheiten der gesellschaftlichen Wirklichkeit in diesem Haus stärker verankert ist als im Musikverein.

Das Konzerthaus ist demokratischer?

Ob das demokratischer ist, ist eine andere Frage. Es ist realistischer. Die Programmgestaltung ist ja kein demokratischer Prozess. Demokratisch wird es dadurch, dass es angenommen wird oder nicht. Es geht mir nicht um Exklusivitäten und gekauften Glanz, es geht darum, stimmige Programme für möglichst viele Menschen erreichbar zu machen.

Im Konzerthaus begegnen sich Konstantin Wecker und die Don Kosaken, es gibt Christmas in Vienna und die Blech-Spaß-Combo Mnozil Brazz, dazu das Festival Wien Modern – wie geht dieser Spagat?

Das geht, denn das Haus ist so vielfältig und bunt wie die Wirklichkeit. Man muss die Augen und Ohren nur öffnen, dann entdeckt man in der Welt genau die Vielfalt, die das Konzerthaus widerspiegelt, das ist ja gerade unsere Philosophie.

Wo schlägt Ihr Herz?

Überall dort, wo Qualität ist. Überall dort, wo Authentizität ist, überall dort, wo ernsthaft künstlerisch gearbeitet wird, und das geht in allen Genres. Ich persönlich habe eine Leidenschaft für Neue Musik, weil sie mich fordert, aber ich liebe es auch, das große Repertoire zu hören. Ich ärgere mich nur, wenn es nicht gut gemacht ist. Es hängt sehr viel davon ab, wie sehr es einem gelingt, die Intimität und Integrität musikalischer Momente zu wahren.

Wie geht es den Bienen im Haus?

Ja, wir haben Bienen auf dem Haus, das finde ich eine sehr sympathische Sache. Lustigerweise kann man in der Stadt wirklich Bienenstöcke ansiedeln. Ich hab das hier auch schon einmal beobachtet, da hat sich eine Königin getrennt und ist dann vor dem Haupteingang auf dem Balkon gelandet. Dann musste der Imker kommen, sie einfangen und in einen neuen Stock bringen. Die Bienen beleben das Haus und offensichtlich geht es ihnen hier gut. Aber es gibt wahrscheinlich eher einen Vielblütenhonig als einen Sortenreinen.

Irmgard Rieger
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