Schulinspektoren

Papageisterbahn

d'Lëtzebuerger Land du 01.07.2010

Heute loben wir die Schulinspektoren. Ohne sie wäre die Schulreform höchst einsturzgefährdet. Die neue Fundamentalschule läge längst in Trümmern, würden nicht die Schulinspektoren mit selbstlosem Einsatz die wackeligen Wände des schönen Theoriegebäudes stützen. Das Inspizieren ist das A und O der erfolgreichen Schulkarriere. Wo inspiziert wird, entfaltet sich Kompetenz. Was inspiziert wird, ist weniger wichtig. Denn die Inspektion ist ein autonomes Fachgebiet, wie wir noch sehen werden. Sie genügt sich selbst. Sie braucht im Grunde gar kein Objekt, das es zu inspizieren gilt.

Es mag ein bisschen verwunderlich scheinen, dass wir jetzt zu den Papageien überschwenken. Die Papageien sind eine dankbare Gattung. Sie plappern alles nach, was man ihnen eintrichtert. Wenn man ihnen nur lange genug eine kräftige Hirnwäsche angedeihen lässt, spucken sie immer wieder die gleichen Sätze aus, mit bewundernswerter Beharrlichkeit. Natürlich ist der Papageienzüchter stolz auf seine lebenden Automaten. Ihre Zuverlässigkeit entzückt und beruhigt den Züchter. Er kann seine Papageien immer wieder vorführen, sie weichen keinen Millimeter von der verinnerlichten Linie ab.

Um ihre Talente optimal herzuzeigen, brauchen die Papageien einen streng abgegrenzten Raum. Zum Beispiel einen schönen, mit solidem Maschendraht befestigten Vogelkäfig. Das maß- und sinnlose Herumflattern liegt nicht in ihrer Natur. Sind sie einmal heimisch geworden in ihrer Behausung, kann der Züchter ihnen alles beibringen, was ihm gerade einfällt. Er kann sie zum Beispiel dazu verführen, auf Rollschuhen über eine lange Holzplanke zu schlittern. Auf Abruf werden die Papageien dieses Kunststück immer wieder bedenkenlos darbieten. Der Züchter muss gar keine Angst haben, seine Papageien könnten sich plötzlich fragen, wozu Rollschuhfahren in einem Vogelkäfig eigentlich gut sei. Darum geht es nicht. Der Papagei fragt nicht, er handelt. Darum sind Papageien in Züchterkreisen äußerst beliebt. Von Dissidenten im Vogelkäfig haben wir noch nie etwas vernommen. Der Papagei ist einfach vom Temperament her der ideale Anti-Dissident.

Nach diesem aufschlussreichen Exkurs widmen wir uns wieder den Schulinspektoren. Sie beherrschen die Kunst, im Schulbereich nie von der offiziellen Doktrin abzuweichen. Einige von ihnen sind schon Inspektoren geworden, bevor sie sich selber gründlich inspiziert hatten. Das heißt, nach ein paar Jährchen eigener Schulpraxis fühlten sie sich sofort zu Höherem berufen. In dieser höheren Sphäre tun sie nur eines: sie zeigen jenen, die in der Schulpraxis verblieben sind, wie sie Schule zu halten haben. Das wissen die Schulinspektoren nicht aus eigener Erfahrung, nein, sie setzen voll und ganz auf ihre geniale Intui-tion. Sie wissen genau, wie Schule auszusehen hat, obwohl sie gar nicht erst ausprobiert haben, wie Schule aussehen könnte. Das macht ihren Glanz und ihre Überlegenheit aus. Sie sind herrliche Theoretiker, die von kleinen Praktikern den Beweis für ihre große Theoriestärke fordern.

In einer RTL-Fernsehsendung über das erste Jahr reformierte Grundschule sagte ein Schulinspektor: „In meinem Bezirk habe ich rund 230 Lehrkräfte zu begleiten und zu betreuen.“ In den Köpfen naiver, schulferner Zuschauern könnte ein solcher Satz einschlagen wie eine verheerende Granate. Nicht aber bei den eingeweihten Insidern der prachtvollen Schulreform. Die Praktiker sind sich nämlich bewusst, dass sie nie und nimmer die übermenschlichen Qualitäten der Schulinspektoren erreichen werden. Dieser Mann, ein Vorzeigematador seiner Zunft, hält tatsächlich 230 Lehrerinnen und Lehrer bei der Stange und über Wasser.

Was der Mann leistet, übersteigt buchstäblich unsere Vorstellungskraft. Das Begleiten einer Lehrkraft geht ja noch. Das kann man in fünf Minuten abhaken. Auf dem Schulhof, neben der Lehrkraft schreitend. Trotzdem macht dieser pädagogische Akt, nur einmal pro Jahr appliziert, schon 1 150 Minuten aus, also rund 20 wertvolle Schulinspektorenstunden, die Fortbewegungszeit von einer Lehrkraft zur anderen gar nicht eingerechnet. Da die Lehrkräfte die schlechte Angewohnheit haben, ziemlich verstreut im Bezirk aufzutreten, muss der Schulinspektor unglaublich viele Arbeitsstunden aufwenden, um seine Begleitungskandidaten aufzusuchen. Wahrscheinlich liegen wir nicht falsch, wenn wir feststellen: die Hauptaufgabe des Schulinspektors, seine fundamentale Legitimation, liegt darin, die geografische Distanz zwischen insgesamt 230 Lehrkräften zu überwinden. Das ist ein Lebenswerk, keine Frage.

Wie der Schulinspektor dann noch zusätzlich die Betreuung schafft, die ja etwas viel Längeres und Intensiveres ist als die kurzfristige Begleitung, können wir mit unserer schäbigen In-telligenz gar nicht mehr fassen. Die Papageien hätten da keinerlei Hemmungen. Wenn man ihnen einbläut: Betreut!, dann betreuen sie. Unbeirrbar und bar aller Skrupel. Und das Zirkuspublikum spendet Applaus.

Guy Rewenig
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