Magyaren gegen Barbaren

Die Ungarn haben einen Vogel

d'Lëtzebuerger Land vom 02.10.2015

Sie stellen ihn auf Podeste, errichten ihm Monumente, der Anführer schwingt seine Reden unter seinen rabenschwarzen Riesenflügeln, schwingt sich zu Schwindel erregenden Höheflügen der Rhetorik auf. Drachen, Heilige, Blut und Boden, Turul Turul!

Landauf, landab verrichten die Ungarn diesen Götzendienst, obschon sie obsessiv behaupten, Christen zu sein, was Ungarn-Reisenden bisher gar nicht so sehr aufgefallen ist. Der Anführer hat es aber auch schwer, er muss das Abendland gegen das Morgenland verteidigen, einer muss es ja tun. Wenn alle andern schon solche Weicheierinnen sind.

Apropos Morgenland, wo kommen diese Ungarn eigentlich her? Mal guggeln, Homo erectus, dann geht es divers zu, Skythen, Hunn_innen, Mongol_innen, Awarinnen, zentralasiatische Reitervölker und nomadisierende Magyarenstämme, die ihre Raubzüge in Europa starten.

Gut, seither, das muss man ihnen zugestehen, haben sie sich ordentlich sediert, so sehr, dass es einer manchmal schwer fällt, sich jene Paprika-Piroschkas vorzustellen, die durch Operetten und Greisenfantasien spuken. Eine träge, knochenlose Sprache fließt ihnen aus dem Mund, voll mit ö und y und ü, mit wenig aufmunternden Vokalen à la a. Ohne Höhepunkte, so wie die Landschaft, die sich vorwiegend aus Becken und kleinen und großen Tiefebenen zusammensetzt.

Auf einen Steppensee ist dieses Steppenvolk mächtig stolz, ein seichtes Gewässer, in dem Steppenseelen watend herumirren. Ansonsten kann sich die Besucherin in lauwarme Wässerchen verfügen, so genannte Thermen. Von einem zünftigen Meer wird dieses Binnenland nicht umbraust, besonders hohe Erhebungen entsprießen dem Mutterboden auch nicht. So bleiben alle auf dem Boden, was ja auch praktisch ist, und kriegen auch nicht allzu viel verwirrenden Über- oder Weitblick. Ab und zu schauen sie tiefgründig in einen Ziehbrunnen. Dann beißen sie in einen Maiskolben oder löffeln lethargisch Pörkölt.

Es ist noch nicht allzu lange her, dass in den Bussen, die durch die graue Hauptstadt fuhren mit ihren gespenstischen, aus Donaunebeln sich erhebenden Sightseeing-Kulissen, Wecker an den Haltestellen schrillten, um die Fahrgäste aus der Narkose aufzuschrecken und zum Aussteigen zu bewegen. Sie wären einfach ewig weitergefahren, es war sowieso egal, alles drinnen und draußen war braun oder grau, manchmal auch trübgrün wie in einem vergessenen Aquarium.

Um sich außer mit Aussterben ein bisschen zu beschäftigen, spezialisierten sie sich auf Zehennägel und Zähne. Alle paar Meter werden willigen, zahlungswilligen Westlern Zehennägel oder Zähne ausgerissen, so dass es ganze Gebiete gibt, in denen Verhüllte und Vermummte in Erwartung der neuen Zahnplantage herummümmeln. Wollen sie aber anschließend ihre neu erworbenen Beißwerkzeuge an Authentischem erproben, zum Beispiel an der Landesikone Gulyas, werden sie meist bitter enttäuscht. Obschon die Ungarinnen ihre Identität immerzu wiederkäuen, wimmelt es von McDonalds, Pizzen, Gyros, die Sucherin nach der kulinarischen Identität bleibt halb verhungert auf der Strecke, bevor ein menschenfreundlicher Migrant, vermutlich einer der 6 000 Muslime, sich ihrer erbarmt und sie mit einem Kebab rettet.

Weltrekorde stellen die Ungar_innen vor allem im Sichselberermorden auf, was niemand wundert, der sich je aufgemacht hat zu diesen sehr tiefen Tiefebenen, auf denen man, inmitten von Kraut und Kartoffeln, nur eines tun kann: schleunigst auf allen Vieren das Weite suchen! Dennoch sind die beigegräulichen Besitzer_innen dieser Tiefpunkte ganz besessen von sich selber. Da soll bloß keine mitmischen, sie wollen sie selber sein, bleiben, unter sich, ganz tief unten auf ihrem Blut- und Boden-Boden. Während objektive Beobachterinnen manchmal der Gedanke ereilt, ein paar Blutspenden könnten sie ein bisschen aufpeppen, ein bisschen Farbe in ihren Alltag bringen.

Die Magyaren rüsten gegen die Barbaren auf. Nicht nur Gulaschkanonen und Zehennagel- und Zahnreißzangen sind im Einsatz. Mit großem Einsatz geben sie die Bösen.

Den Guten kann es recht sein, so lange können die Guten viel besser gut sein.

Michèle Thoma
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