Am 15. April 2015 kündigte die Cinémathèque der Stadt Luxemburg das Buch von Jean-Baptiste Thoret über den amerikanischen Filmemacher Michael Mann an.
Erschienen ist das Buch schließlich im September 2021 – gut Ding will Weile haben

Der anachronistische Filmemacher

d'Lëtzebuerger Land vom 22.10.2021

Es mag kurios erscheinen, dass die Würdigung Michael Manns als Filmautor im amerikanischen Raum erst verspätet eingesetzt hat. Hielt man ihn dort vorwiegend für einen dekorativen Genrefilmemacher, der sich auf Kriminalfilme spezialisiert hat, so verhielt es sich doch anders im westeuropäischen Raum, wo hauptsächlich in Frankreich eine relativ frühe anerkennende Rezeption seiner Werke stattfand1. Die Zahl der dort organisierten Filmbesprechungen und -vorführungen ihm zu Ehren sind ebenfalls vielsagend.

Man kann in den existenzialistischen Themenfeldern, die Manns Filme explorieren, den Grund für die positivere Rezeption seiner Filme sehen, besonders in Frankreich, wo ihnen ein viel tieferer Sinn eingeräumt wurde. Der französische Filmwissenschaftler Jean-Baptiste Thoret hat bereits früh einen wegweisenden Beitrag zur akademischen Rezeption der Filme Michael Manns geleistet2. Entscheidende Feststellung ist, dass Mann im Wesentlichen als anachronistischer Filmemacher gelten darf: Geboren 1943 in Chicago, gehört er zwar der Generation der so genannten movie brats an, wie Francis Ford Coppola, Martin Scorsese, Brian de Palma, Steven Spielberg oder George Lucas, jene Regisseure, die die New Hollywood-Bewegung Mitte der Siebzigerjahre maßgeblich prägen. Doch gelingt Mann aufgrund seiner Ausbildung an der Londoner Filmhochschule der Sprung zur Kinofilmproduktion nach anfänglichen Arbeiten für das Fernsehen erst 1981 mit Thief – ein Jahr nachdem der große Misserfolg von Michael Ciminos Heaven’s Gate definitiv das Ende des New Hollywood markiert hat. Es ist bezeichnend, dass Thief ein Jahr später erscheint: Neonlichter, die sich auf den Regenpfützen schimmernd spiegeln, dazu die kalt-desolate Synthesizer-Musik von Tangerine Dream – in diesem Großstadt-Kriminalfilm ist ein spürbar anderer Stilwille im Entstehen. Einer, der beispielsweise der Stadtkulisse New Yorks in Martin Scorseses Taxi Driver (1976) gänzlich fremd ist. Viele Elemente aus Thief greift Mann in seinen späteren Filmen wieder auf: Manhunter (1984), The Last of the Mohicans (1992), bis dato immer noch Manns größter Kassenerfolg, Heat (1995), der erstmals die Schauspielgrößen Al Pacino und Robert DeNiro in gemeinsamen Szenen auf der Leinwand zusammenbrachte, bis hin zu Collateral (2004), Public Enemies (2009) oder Blackthat (2015). Ohne Zweifel darf Mann seit den Anfängen seiner Karriere als Filmautor gelten, als ein Filmemacher, der konstante Themenfelder in seinen Werken etabliert und dazu eine audiovisuelle Handschrift ausgeprägt hat, die ihn unverwechselbar macht und so zu einer persönlichen vision du monde führt. Jean-Baptiste Thoret geht diesen Ansätzen nach: Woher stammt Manns Interesse für obsessionelle männliche Protagonisten, deren Charakter sich durch seine Professionalität auszeichnet? Was hat es mit Manns trademark-shot auf sich, der immer wieder Männer auf die Weiten eines Horizonts blicken lässt? Etwas unterbelichtet bleibt eine zeitgenössische Auseinandersetzung mit feministischen Positionen in Bezug auf ein ganz männerzentriertes Kino, das die Frau, den Gesetzmäßigkeiten des klassischen Hollywoodfilms folgend, als Randfigur dem Mann beistellt, hier jedoch mehr noch als Schablone für die Vervollständigung eines Männerbildes dient, das auf Einsamkeit und Professionalismus ausgerichtet ist.

Die Art des gewählten Zugangs, die Informationsdichte, die Präzision in der Analyse der einzelnen Filmbesprechungen, die immer wieder den biografischen Werdegang und das große Ganze – die mirages du contemporain – nicht aus den Augen verliert, machen aus diesem Buch eine Arbeit, die ihresgleichen sucht. Ohne die Wichtigkeit früherer Untersuchungen3 in irgendeiner Weise in Abrede stellen zu wollen, darf dieses neu erschienene Buch von Jean Baptiste Thoret zu den besten Studien zählen, die die Filmwissenschaft zu Michael Mann hervorgebracht hat.

1 Vgl. dazu Sanders, Steven (2014): Existential Mann. In: ders.; Aeon J. Skoble; R. Barton Palmer (Hg.). The Philosophy of Michael Mann. The University Press of Kentucky

2 Thoret, Jean-Baptiste (2000): Michael Mann. The Aquarium Syndrome: On the Films of Michael Mann. screeningthepast.com (Zugriff: 27.9.2021)

3 Zu nennen sind hier unbedingt die Studien von Rybin, Steven (2007): The Cinema of Michael Mann (Genre Film Auteurs). Lanham: Lexington Books; Rayner, Jonathan (2013): The Cinema of Michael Mann: Vice and Vindication (Directors’ Cuts). Columbia University Press oder noch Gaine, Vincent M. (2011): Existentialism and Social Engagement in the Films of Michael Mann. Palgrave Macmillan.

Jean-Baptiste Thoret (2021): Michael Mann. Mirages du contemporain. Flammarion

Marc Trappendreher
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