Die Adem reformiert sich selbst und muss dabei gravierende Versäumnisse der vergangenen Jahre aufarbeiten

Neues Selbstverständnis

d'Lëtzebuerger Land vom 08.07.2010

Es war ein nicht alltägliches Bild, das sich am Dienstag bot. Da war eine Verwaltungschefin live dabei, als der für sie zuständige Minister der Öffentlichkeit ihre Demontage präsentierte. Mariette Scholtus, Direktorin der Adem, saß neben Arbeitsminister Nicolas Schmit, als er der Presse die drei Personen vorstellte, die künftig den Titel der beigeordneten Direktoren tragen werden und die Adem mitdirigieren werden.

Dass Scholtus weiter, zumindest formal, die Adem leitet, liegt wahrscheinlich eher daran, dass sie mit viel Ausdauer an ihrem Stuhl festgehalten hat, als daran, dass man sie gebeten hätte zu bleiben. Scholtus stand spätestens seit Anfang 2009 auch öffentlich im Kreuzfeuer der Kritik. Nicht zuletzt der damalige LSAP-Abgeordnete John Castegnaro, früherer OGBL-Vorsitzender, hatte sie scharf angegriffen, sie auch persönlich für die Ineffizienz der Adem in Sachen Jobvermittlung verantwortlich gemacht. Vehemente Scholtus-Verteidiger hatten sich nicht eingefunden. Weil sie nicht gehen wollte, machte sie am Dienstag böse Miene zum guten Spiel, hörte mit versteinertem Gesicht zu, wie Schmit die neuen Zuständigkeiten innerhalb der Adem-Hierarchie erklärte.

Fabio Scolastici soll künftig für die Beschäftigungsentwicklung, den Empfang, die Orientierung und die Aus- und Weiterbildung der Jobsuchenden sowie den Empfang der Arbeitgeber verantwortlich sein und dafür sorgen, dass die ausgeschriebenen Stellen richtig besetzt werden. Das Generalsekretariat wird künftig Pierre Schloes-ser leiten. Er wird damit für die Personalpoltik – Weiterbildung des Personals inklusive –, das Budget, die Informatik und für die juristische Abteilung zuständig sein. Ginette Jones soll dafür sorgen, dass die Adem Rechte und Bedürfnisse aller Erwerbslosen berücksichtigt. Auch die von Behinderten oder Arbeitnehmern mit einer reduzierten Arbeitsfähigkeit. Zudem soll sie ein Auge auf die Umsetzung der Regierungsziele in Bezug auf die Beschäftigungsquote von Frauen und Jugendlichen haben und übernimmt für Scolastici die Verantwortung für die Ausbildung der Arbeitnehmer.

Welche Ressorts bleiben da für Scholtus? Auf dem Papier zumindest drei: die Abteilung Studien und Forschung, die Abteilung für berufliche Orientierung und der für die Zahlung des Arbeitslosengeldes zuständige Dienst. Doch auch hier hat Schmit, der in der Vergangenheit die eigene Verwaltungsleiterin kritisiert hat, vorgesorgt. Als Zuständige für diese Ressorts stellte er andere Personen in den Vordergrund. So wird nicht Scholtus, sondern Jean Hoffmann das noch zu gründende Observatoire du marché de l’emploi leiten, das mehr und bessere Daten über den heimischen Arbeitsmarkt sammeln und aufarbeiten soll.

Weil Schmit zum wiederholten Male über die Reform der Adem kommunizierte, ohne ein Gesetzesprojekt vorzulegen – das soll im Herbst folgen –, konnte der Eindruck entstehen, die Reform sei weder ausgereift noch greifbar. Nicht einmal sein Expert-consultant Bernard Brunhes, den er vergangenen Herbst vorgestellt hatte, war für die Vorstellung der Adem-Reform anwesend. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Reformvorschläge, die am Dienstag vorgestellt wurden, weniger von Brunhes stammen, als von den Adem-Mitarbeitern selbst. Denn ebenfalls vergangenen Herbst bildete sich innerhalb der Adem eine Arbeitsgruppe, mit dem Ziel, die eigene Verwaltung umzukrempeln. Bis November war eine Mitarbeiterbefragung durchgeführt, im Januar und Februar tagten sieben Themengruppen, um die daraus resultierenden Vorschläge weiter zu bearbeiten. Die Initiative mobilisierte rund 80 Adem-Angestellte zur Mitarbeit, bis März lag ein schriftlicher Bericht vor, der ans Ministerium weitergeleitet wurde – alles mit dem Einverständnis von Mariette Scholtus.

Darin zählen die Adem-Agenten die teils gravierenden Schwächen der eigenen Verwaltung ohne Zögern auf. Besonders oft bemängelten die Mitarbeiter : „(...) la question de la politique interne qui devrait être clarifiée, des valeurs et des visions – comme le respect véhiculé en l’interne entre collègues, subordonnés et supérieurs comme à l’externe avec les demandeurs et les patrons ou la collaboration avec toutes les parties prenantes.“ Noch bevor die Prozeduren und Arbeitsstrategien überarbeitet würden, müsse diese Frage geklärt werden. Ein Hinweis auf ein wenig fruchtbares Arbeitsklima.

Aus den Beanstandungen der Mitarbeiter lässt sich zudem herauslesen: Ihnen fehlt die nötige informatische und bürotechnische Ausrüstung, um ihren Job zu tun, nämlich schnell und präzise Jobsuchende an einstellende Firmen zu vermitteln. Der Adem mangelt es nicht nur an Mitarbeitern, sondern auch an Computern, Scannern, einer geeigneten Software. Ein gravierender Missstand und Indiz dafür, dass die Planung in den vergangenen Jahren grob vernachlässigt wurde. Sicherlich unter Duldung von Schmits Vorgänger François Biltgen. Denn Hinweise auf Mängel und Missstände gab es in der Vergangenheit genug. Von internationalen Organisationen wie der OECD, die bereits 2007 unzureichende Budgets und Personalmangel anprangerte, über die Arbeitgeber, die nicht mit ihr zusammenarbeiten wollten, bis hin zu den Gewerkschaften, welche die Leistung der Adem kritisierten.

Die jetzige Reform kommt anders daher als erwartet und in der Regierungserklärung von CSV und LSAP angekündigt. Die Adem – Kürzel, das künftig nicht mehr für Administra-tion de l’emploi, sondern für Agence de développement de l’emploi steht – wird nicht in ein Établissement public umgewandelt. Sie bleibt eine Verwaltung, weil sie auch dann, so Schmit am Dienstag, die nötigen Instrumente zur Hand hat, um die Reform durchzuziehen und ihrer Mission gerecht zu werden.

Bis zum Herbst sollen 40 neue Mitarbeiter eingestellt sein, welche die Mannschaften der bislang rund 90 Placeurs verstärken. Diese personelle Verstärkung ist dringend notwendig. Vergangenes Jahr betreuten die 90 Placeurs im Schnitt 13 200 Jobsuchende, hatten täglich 1 300 Kontakte mit Kunden oder Stellenanbietern, im direkten Gespräch oder per Telefon, 2009 insgesamt 311 000. Um den Kontakt mit den Kunden zu rationalisieren, soll künftig sofort und nicht wie bisher erst beim dritten physischen Adem-Besuch der Erwerbslosen eine Akte angelegt werden. Das soll sowohl den Mitarbeitern als auch den Jobsuchenden Zeit, Stress und Frust ersparen. Mit der gleichen Zielsetzung soll beispielsweise eine Telefon-Hotline eingerichtet werden, so der Wunsch der Mitarbeiter. Zu festen Zeiten soll bei der Adem ein polyvalentes Team telefonisch zur Verfügung stehen, das erstens den Bedürfnissen der Kunden gerecht werden und zweitens den Kollegen im Büro den Rücken für andere Arbeiten freihalten kann.

Die Umstellung der Prozeduren, wozu auch zählt, dass sich die Arbeitslosengeldbezieher nur noch einmal monatlich und vor allem dann, wenn es eine konkrete Entwicklung gibt, präsentieren müssen, zielt auch darauf ab, die Jobsuchenden mit mehr Würde und Respekt zu behandeln. Die Placeurs sollen beispielsweise künftig Conseillers professionels heißen. Die Jobsuchenden werden zu Vorstellungsgesprächen ein-, nicht vorgeladen. Belächelnswerte semantische Spielchen, wie bei der Umbenennung der Adem auch? Vielleicht. Die neue Terminologie ist auch Ausdruck für den von den Mitarbeitern ersehnten Mentalitätswandel im Umgang miteinander und gegenüber Dritten. Auch ohne Statutenänderung soll die Arbeitsagentur zum öffentlichen Dienstleister werden, ein neues Selbstverständnis entstehen. Alle Adem-Angestellten sollen eine Wertecharta unterzeichnen, sich zur Einhaltung der darin festgehaltenen Rechte und Pflichten engagieren, die ihr berufliches Leben regeln. Ähnlich sollen die Jobsuchenden und ihr Berater nicht wie bislang eine Convention d’activation unterzeichnen, sondern eine Convention de collaboration. So soll erstens den Erwerbslosen bewusst gemacht werden, dass auch sie bei der Mission „erfolgreiche Jobsuche“ eine Verantwortung tragen, und zudem deutlich gemacht werden, dass es sich dabei um eine Zusammenarbeit handelt. Nicht um ein Diktat von oben.

Wobei auch jetzt schon die Mehrheit der Jobsuchenden Eigenverantwortung übernimmt. Zwar wurden vergangenes Jahr 5 862 Akten geschlossen, weil die Erwerbslosen nicht mehr zu den obligatorischen Treffen mit ihrem Berater kamen. Aber 4 494 Akten konnten zugemacht werden, weil sich die Betroffenen selbst eine neue Anstellung gesucht hatten. Nur 2 935 Adem-Aktenschließungen sind auf eine erfolgreiche Jobvermittlung der beruflichen Berater zurückzuführen. Weil sich die Mitarbeiter der eher mittelmäßigen Erfolgsraten bewusst sind, forderten sie in ihren Arbeitgruppen bessere Aus- und vor allem Fortbildungsmöglichkeiten für sich selbst. Und die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Abteilungen zu wechseln, was die Zusammenarbeit und das Wissen über die eigenen Funktionsweisen fördern soll.

Auch der Umgang mit den Stellenanbietern, den Firmen also, soll neu gestaltet werden. Es wird Aufgabe der Chefs d’agence, – neue Agenturen sollen in Differdingen, Düdelingen und Wasserbillig eröffnet werden – auf die Arbeitgeber in ihren Bezirken zuzugehen, den Kontakt zu verbessern und sie dazu zu animieren, ihre Stellenangebote bei der Adem zu melden. Dass das Ergebnisse bringt, zeigen die Erfahrungen der speziell hierzu angeheuerten Consultants in den vergangenen Jahren. Im Krisenjahr 2009 resultierten die Visiten bei 78 Industriebetrieben und die Vorauswahl von geeigneten Kandidaten durch die Consultants in immerhin 301 Einstellungen, schreibt die Adem in ihrem Jahresbericht 2009. Sogar in der Handwerksbranche, deren Firmen besonders zögerlich sind, was die Meldung freier Stellen betrifft, konnten nach Gesprächen mit 80 Firmenchefs 106 Arbeitnehmer eingestellt werden.

Obwohl es für die Unternehmen Pflicht ist, Stellenangebote an die Adem zu übermitteln, will der Arbeitsminister nicht auf Bestrafung setzen. Eher sollen die Firmen durch einen guten Service davon überzeugt werden, dass sich die Zusammenarbeit mit der Adem lohnt. So betonte Schmit am Dienstag, Arbeitnehmer, deren Profil von vornherein nicht auf die ausgeschriebene Stelle passt, sollten künftig nicht mehr zum Gespräch in die Firma geschickt werden, nur weil man nichts anderes, Passendes gefunden hat – das wiederum spart Jobsuchenden und Firmen Zeit und Frust. Eine Selbstverständlichkeit? Bislang anscheinend nicht.

Im Gegenzug sollen Initiativen wie Fit4Job, wie man sie gemeinsam mit der Finanzbranche durchgeführt hat, auf andere Wirtschaftsbranchen ausgeweitet werden. Gemeinsam mit der Wirtschaft wurden Qualifikationskriterien festgelegt, die Erwerbslosen aus der Finanzindustrie getestet und wenn nötig in Kursen weitergebildet, die ebenfalls gemeinsam mit dem brancheneigenen Weiterbildungsinstitut ausgearbeitet wurden und somit eine Art Gütesiegel tragen. Die Initiative soll bald auf das Baugewerbe und den Handel ausgeweitet werden.

Nicht zuletzt soll auch die Informatik erneuert werden. Ein Audit, das klären sollte, was gebraucht wird, ist abgeschlossen. Das Geld steht zur Verfügung, sagte Schmit am Dienstag. So ist zu hoffen, dass ein neues System ohne Verzögerung eingeführt wird. Das alte System ist überholt und überlastet. Ein neues System fordert wiederum eine zeitaufwendige Umstellung der Mitarbeiter, Schulungen und, vor allem in der Anfangsphase, eine zweigleisige Bedienung beider Systeme, alt und neu. Auch das ist ein Problem, auf das Adem-Mitarbeiter selbst hinweisen.

So konzentriert sich die Reform – vom personellen Ausbau der Direktion abgesehen – hauptsächlich auf die Umstellung der Mentalität und der Arbeitsprozesse, die personelle Verstärkung und die informatische Aufrüstung. Wenn Schmit im Herbst die dennoch nötigen Gesetzänderungen vorlegt, dürfte sein Hauptverdienst nicht der sein, dass er die Adem reformiert hat, sondern der, dass er der Adem die Möglichkeit gegeben hat, sich selbst zu reformieren.

Dass die Reform gelingt, ist eine Notwendigkeit, der sich auch Noch-Direktorin Mariette Scholtus nicht entziehen kann, die hoffentlich von der Aufbruchstimmung – immerhin arbeiteten viele ihrer Mitarbeiter bislang aktiv mit – mitgerissen wird. Denn die aktuellen Änderungen dürften zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Adem-Mitarbeiter führen, wie auch einem besseren Service an Jobsuchenden und Arbeitgebern. Doch auch danach wird das Verhältnis zwischen beruflichen Beratern und den von ihnen betreuten Erwerbslosen noch nicht optimal und von dem von der OECD empfohlenen Ratio von eins zu 100 weit entfernt sein. 2012 bereits könnte es wieder zu besonders schlimmen Engpässen kommen. Dann nämlich, wenn sich auch die Grenzpendler, die ihren Job in Luxemburg verloren haben, bei der Luxemburger Arbeitsagentur einschreiben können und die Zahl der zu betreuenden Personen aller Wahrscheinlichkeit nach noch einmal drastisch steigt. Ob es dann erneut die politische Bereitschaft gibt, der Adem neue Mittel zur Verfügung zu stellen? Sollte der Adem die eigene Reform gelingen, könnten sich an ihrem Vorgehen, also der Modernisierung auf Basis der Mitarbeitereinbindung, vielleicht auch andere reformbedürftige Verwaltungen ein Beispiel nehmen.

Michèle Sinner
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