Theater

Wenn die Schnellspur in eine Kreuzung mündet

d'Lëtzebuerger Land vom 15.07.2011

Zum 20. Jubiläum des Steinforter Theaterfestivals hat auch Jay Schiltz’ ein weiteres Bühnenstück verfasst. Mit dem 50-minütigen Changement de voie lässt er das Publikum an einem flüchtigen Moment im Leben des Manu (Emmanuel Leforgeur) im Terminal eines Bahnhofs teilhaben. In Erwartung eines augenscheinlich verspäteten Zuges macht er Bekanntschaft mit dem Lebenskünstler und Musiker Luc-Emmanuel (Luc-Emmanuel Betton) und dem 14-jährigen Jules (Jules Waringo). Wie zufällig zusammengewürfelt, liefert die Konstellation ein Kammerspiel, im Laufe dessen Manu – hektisch und untreu – als vom eigenen Lebensstil getriebener Lügner entlarvt und von den Gegenspielern zum Eingeständnis seiner Fehler bewogen wird.

Während das Programm des Steinforter Festivals das Trio als Konstellation auf Augenhöhe ankündigt und die drei Männer jeweils als Suchende der Gegenwart, der Zukunft und der Vergangenheit versteht, ergibt sich auf der Bühne bizarrerweise ein völlig anderes Bild. Jules und Luc-Emmanuel wirken sehr viel mehr wie zwei surreale Figuren, die auf Manu wie all­wissende einwirken und ihn wie Beckett’sche Nebenfiguren in seinen Entscheidungen beeinflussen. In diesen Momenten wirkt Manu mehr wie ein innerlich Zerrissener, dessen Äußeres von der Gelfrisur bis zum Designeranzug wie eine ungelenke Fassade fungiert. Auch auf dem Niveau der Kostüme lässt sich die Asymmetrie der Konstellation am schlichten Fakt festhalten, dass Jules und Luc-Emmanuel die gleiche Jeanskleidung tragen. Untermalt wird die Souveränität mit dem Cello-Spiel, das die gesamte Handlung musikalisch begleitet und kommentiert.

Mit schlichten Lichtwechseln und wohl dosierten, choreografischen Verschiebungen sorgt Regisseurin Valérie Bodson für visuelle Ruhe in diesem sehr auf Dialog ausgerichteten Spannungsbogen. Die klare gestische Sprache der Darsteller vervollständigt ein Kammerspiel, das sprachlich überzeugt und streckenweise wie eine Parabel wirkt. Dieses Moment der inneren Offenheit am Ende einer Lügengeschichte, in der Ehefrau, Liebhaber und Ehemann letztlich die Verlierer wären, vervollständigt den dramatischen Bogen, der jedoch schrittweise in eine Rührseligkeit abdriftet, die am Ende an Kitsch grenzt. Changement de voie ist keineswegs misslungen, insgesamt sogar ein Erfolg, aber ein Plädoyer für das Leben im Jetzt und für die Offenheit sich selbst und den Mitmenschen gegenüber darf auch subtiler enden. Gerettet wird der etwas maue Schluss darüber hinaus mit einer Einspielung aus Becketts En attendant Godot, für die Bodson verantwortlich zeichnet: „Ne perdons pas notre temps en vains discours. Faisons quelque chose, pendant que l’occasion se présente ! L’humanité, c’est nous. Profitons-en, avant qu’il soit trop tard“.

Schade nur, dass sich an diesem sonnigen Montagabend lediglich fünf Personen im Kleinbettinger Musikraum eingefunden haben. Denn eines kann nicht oft genug wiederholt werden: Auch mit Changement de voie bestätigt Steinfort, dass es mit seinem Theaterfestival eben mehr ist als schlichtes Volkstheater in beschaulicher Provinz.

Changement de voie von Jay Schiltz; Regie von Valérie Bodson; mit Emmanuel Leforgeur, Jules Waringo und Luc-Emmanuel Betton. Eine weitere Vorstellung am 15. Juli um 20:30. Karten unter Telefon 47 08 95-1.
Claude Reiles
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