Deutschland, Frankreich und die europäische Integration

Zum Tandemfahren verdammt

d'Lëtzebuerger Land vom 15.07.2010

Deutschland und Frankreich sind seit jeher der Motor der europäischen Integration. Die Europäische Union gibt es ja nur, weil diese beiden Länder nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs Ausgleich und Verständigung gesucht haben. Frankreich wollte mit dem Schuman-Plan einer Vergemeinschaftung der Kohle- und Stahlindustrie vor allem eine strukturelle Nichtangriffsfähigkeit Deutschlands erreichen. Haben sich der jeweilige französische Staatspräsident und der deutsche Bundeskanzler verstanden und wussten sie, was sie wollten, dann ging es meist mit der EU voran.

Das gilt vor allem für das Duo Konrad Adenauer und Charles De Gaulle, Valéry Giscard D’Estaing und Helmut Schmidt sowie Helmut Kohl und François Mitterand. Und am Ende sogar ein bisschen für Jacques Chirac und Gerhard Schröder. Aber gilt das auch für Angela Merkel und Sarkozy? Vielfach wird beklagt, die beiden verstünden sich nicht, es gäbe keine zündenden Ideen, der Motor der EU funktioniere nicht mehr.

Sarkozy hat am Montag dieser Woche zu seiner Beziehung zur deutschen Bundeskanzlerin einige bemerkenswerte Sätze gesagt. In einer äußerst professionell inszenierten Interviewshow, die er anlässlich der Affäre um seinen Arbeitsminister Eric Woerth und angebliche illegale Geldspenden der L’Oréal-Erbin Liliane Bettencourt angesetzt und zur besten Sendezeit im Programm von France 2 platziert hat, um seinen innenpolitischen Gegnern den Wind aus den Segeln nehmen, hat er eingeräumt, dass er und Frau Merkel zwei völlig verschiedene Charaktere seien, aber dass unabhängig davon die Beziehung Deutschland – Frankreich für die Europäische Union unverzichtbar sei, denn Deutschland und Frankreich würden die EU zusammenhalten. Die Existenz des Euro hänge an diesen beiden Ländern. Und, das dürfe man nicht vergessen, „wir stehen ja erst am Anfang unserer Beziehung“.

Abgesehen von der impliziten Drohung, dass sich Nicolas Sarkozy 2012 wiederwählen lassen will – wahrscheinlich nach der Devise koste es, was es wolle – gesteht er damit ein, dass in den letzten drei Jahren die Achse Deutschland – Frankreich nicht rund gelaufen ist. Drei Jahre aber sind in der Politik eine kleine Ewigkeit. Zumal wenn sie von existentiellen Krisen geprägt sind. Die letzte Bemerkung Sarkozys darf man deshalb ruhig als eine aus der Not heraus geborene Selbstverpflichtung auf einen konstruktiven Neuanfang verstehen.

Die europäische Politik des Duos Mer­kel und Sarkozy ist vor allem defensiv, urteilt der Leiter der Europa­projek-te der Bertelsmann-Stiftung, Joachim Fritz-Vannahme. Das ist aber angesichts der politischen Rahmenbedingungen auch kein großes Wunder. Merkel und Sarkozy haben in einer großen Kraftanstrengung mit dem Vertrag von Lissabon gemeinsam den Kern der europäischen Verfassung gerettet. Das ist kein geringer Verdienst, angesichts des großen Widerstands einiger europäischer Regierungen und Bevölkerungen. Dass der Vertrag von Lissabon nicht lesbar und seine Umsetzung einige Schwierigkeiten mit sich bringt, ist da das kleinere Übel. Für große Entwürfe und Visionen ist zur Zeit in Europa sowieso niemand reif.

Der Druck auf Europa für weitere qualitative Schritte innerhalb der europäischen Integration ist zur Zeit, trotz aller Probleme, nicht groß genug, meint Werner Weidenfeld, Direktor des Zentrums für angewandte Politikforschung in München. Er hat die deutsche Europapolitik seit Helmut Kohl in Europafragen beraten. Früher, so seine Analyse, hätten sich Frankreich und Deutschland im Vorfeld geeinigt und abgesprochen, wer wann was in die EU einbringt. Einen Kampf um die Ausgestaltung der von Sarkozy verfochtenen Mittelmeerunion auf offener Bühne hätte es nicht gegeben.

Die Griechenlandkrise hat ein weiteres Beispiel für die fehlende Abstimmung zwischen Deutschland und Frankreich geliefert, erst als der Euro selbst bedroht schien, haben sich die beiden Länder zusammengerauft. Der nächste Test für die deutsch-französische Achse ist die Regelung der Finanzmärkte im europäischen Alleingang, nachdem sich die G20-Ländern, so wie es derzeit aussieht, nicht auf eine gemeinsame Politik auf diesem Gebiet verständigen können.

Die deutsch-französische Zusammenarbeit funktioniert nur, wenn die Interessen auf beiden Seiten gleich oder ähnlich gelagert sind. Das ist im Moment nur bedingt der Fall. Frankreich steht unter einem viel größeren Reformdruck als Deutschland. Seine wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit steht auf dem Spiel. Nur wenn Frankreich die interna­tionale Wettbewerbsfähigkeit festigen beziehungsweise wiedererlangen kann, gibt es überhaupt eine Basis für eine konstruktive europäische Zusammenarbeit mit Deutschland. Wie blank die Nerven der Grande Nation liegen, zeigte der Vorwurf der französischen Wirtschafts- und Finanzministerin Christine Lagarde vom März dieses Jahres, Deutschland exportiere auf Kosten seiner Nachbarn.

Nicolas Sarkozy hat jetzt klargestellt, dass er Deutschland bewundert und als Vorbild sieht. Das Land sei zugleich wichtigster Konkurrent, Nachbar und Kunde und für ihn eine „Quelle der Inspiration“. Merkel mag das angesichts mancher erfahrener Grobheit von Seiten Sarkozys getröstet haben, es wird ihr aber in ihrem eigenen Kampf, sich innerhalb der CDU und mit ihrer Regierung zu behaupten, nichts nutzen.

Im Alltag, im Kleinen funktionier-ten die deutsch-französischen Bezie-hun­gen ausgezeichnet, nur nicht bei den großen Themen, urteilt Daniela Schwarzer, Leiterin der Forschungsgruppe EU-Integration der Stiftung Wissenschaft und Politik. Kompromis­se vor EU-Gipfeln würden Deutsche und Franzosen nur dann zustande bringen, wenn es wie bei der Eurorettung einen enormen Druck gebe.

Dass sowohl alle Beteiligten als auch die Experten die deutsch-französische Achse immer noch für unentbehrlich halten, sagt viel über den Zustand der Europäischen Union selbst aus. Sie ist, trotz ihrer zur Zeit 27 Mitglieder, noch immer keine Gemeinschaft, deren Mitglieder ohne die Führung ihrer wichtigsten Gründernationen auskäme. Das zeigt, dass ihre tragenden Fundamente immer noch schwächer sind, als man sich zu glauben angewöhnt hat.

Christoph Nick
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