Nach der Offensive zur Bankenregulierung nehmen die Aufseher das Schattenbankwesen ins Visier

Schatten im Paradies?

d'Lëtzebuerger Land vom 15.07.2011

Mehr Licht ins Schattenbankwesen bringen – das ist das erklärte Ziel von Politik, internationalen Regulierungsgremien und Zentralbanken. Die Überwachung der Risiken, die vom Schattenbankwesen ausgehen, sei ein wichtiger Teil der Regulationsreform, die nach der Finanzkrise ins Rollen gebracht wurde, meinte Jaime Caruana, Direktor der Bank für internationalen Zahlungsausgleich, der vergangene Woche im Rahmen der Pierre Werner Lecture in Luxemburg dozierte. Das Financial Stability Board (FSB), das Gremium, in dem sich die Zentralbanken und Aufsichtsbehörden internationaler Finanzzentren treffen, um über Aspekte der Finanzstabilität zu beraten, arbeitet derzeit an Reformvorschlägen. Allerdings stehe man noch ganz am Anfang, so Caruana. Einfach wird es nicht. Und mit der fortschreitenden Regulierungsoffensive werden sich auch am Finanzstandort Luxemburg mehr oder weniger unangenehme Fragen aufdrängen.

„Schattenbankwesen“ klingt zuallererst nach zwielichtigen Geschäften im gesetzlichen Halbdunkel. Doch wie es Bundesbankchef Jens Weidemann kürzlich ausdrückte, steht das Schattenbankwesen auf einer „festen“ legalen Basis. Zum Schattenbankwesen zählt das FSB, um eine einheitliche Defintion bemüht, alle Arten der Kreditvermittlung, die außerhalb des „normalen“ Bankwesens stattfinden. Dazu gehören bei weitem nicht nur solche Finanzmarktakteure, die spätestens seit der Finanzkrise beim Steuerzahler unter Generalverdacht stehen, wie Hedge- und Beteiligungsfonds – die Heuschrecken – oder Verbriefungsgesellschaften. Als Jürgen Stark, Vorstandsmitglied der Europäi-schen Zentralbank (EZB), Ende Juni die Veröffentlichung neuer Datenreihen ankündigte, anhand derer die EZB das Schattenbankwesen besser erfassen will, war auch von Versicherungsgesellschaften und Pensionsfonds die Rede. Sie alle stellen der Wirtschaft, entweder über Beteiligungen oder durch den Ankauf von Anleihen, Finanzmittel, also Kredite, zur Verfügung, sind aber keine Kreditinstitute.

Sorgen bereitet das Zentralbankern wie Yves Mersch, der davon im letzten Bericht über die Finanzstabilität schrieb, auch deshalb, weil sie eine Verlagerung der Risiken befürchten. Der Regulationsrahmen der Banken wurde seit der Krise angepasst, durch Basel III werden in den kommenden Jahren die Eigenkapitalanforderungen an die Banken erhöht, erstmals auch Liquiditätsanforderungen gestellt. Doch bei Fonds und Verbriefungsgesellschaften gelten diese Regeln nicht. Die Befürchtung: Weil durch die höheren Eigenkapitalanforderungen Bankenkredite künftig teurer werden, könnte die Kreditvergabe und die damit verbundenen Risiken in zunehmenden Maße von den weniger streng regulierten Finanzmarktakteuren – den Schattenbanken – übernommen werden.

Sollte das passieren, stellt sich für die Europäische Zentralbank auch die Frage nach den Umsetzungmechanismen ihrer Zinspolitik. Denn die EZB setzt bei ihrer Geldpolitik auf den so genannten bank lending channel. Bei den Refinanzierungsopera-tionen im Eurosystem sind allein die Banken als Gegenpartei zugelassen. Die Zentralbank gibt den Leitzins vor, den die Geschäftsbanken durch die Vergabe von Krediten an Unternehmen und Haushalte an die Realwirtschaft weiterreichen. Verringert sich die Rolle der Banken im Kreditvergabegeschäft, schwinden dadurch auch die Möglichkeiten der Zentralbank, über diesen Weg die Zinsen zu beeinflussen. Auch deswegen ist es für die Zentralbanken wichtig zu messen, wie groß das Schattenbankwesen im Vergleich zum normalen Bankwesen ist.

Sollten die Marktanteile des Schattenbankwesens steigen, stellt das die Aufsichts- und Regulierungsbehörden vor ein weiteres Problem: Die rezenten Reformen der Bankenregulierung sollen Kreditinstitute zur besseren Risikobewertung und zur Anlage von Kapitalpuffern zwingen, mit denen sie eventuelle Verluste auffangen können. Wenn aber das Kreditgeschäft zunehmend ins Schattenbankwesen ausgelagert wird, wandern die Risiken in die Bücher von Gesellschaften, die keine vergleichbaren Kapitalpuffer anlegen. Haben die Reformen dann ihr Ziel erreicht oder verfehlt? Die Trennlinie zwischen beiden Systemen verläuft selten klar. Beide sind eng verwoben, und die Banken, denen die Schattenbanken als Ertragsquelle dienen, riskieren durch deren Probleme in Turbulenzen zu geraten. So geschehen bei der Subprime-Krise. Sie begann damit, dass amerikanischen Haushalten von Finanzintermediären Hypotheken gewährt wurden, die sie von einer Bank nicht erhalten hätten. Und gipfelte in der Insolvenz von Banken, die in dieselben verbrieften Hypotheken investiert hatten.

Diese Löcher im Regulierungsnetz will man schließen. Manches ist schon passiert. Durch die Europäi-sche Richtlinie für alternative Fondsmanager, die 2013 in Kraft tritt, werden auch Hedgefonds-Manager von den Aufsichtsbehörden in die Verantwortung genommen. Und bereits jetzt muss laut EU-Eigenkapitalrichtlinie jeder, der einer Bank verbriefte Papiere verkauft, fünf Prozent der damit verbundenen Risiken in den eigenen Büchern halten. So soll verhindert werden, dass Banken beispielsweise verbriefte Unternehmens- oder Haushaltskredite angeboten werden – womöglich von der guten Kreditwürdigkeitsbewertung der Verbriefungsgesellschaft profitierend –, obwohl das Risiko groß ist, dass die Kreditnehmer säumig werden.

Weil die Definition des Schattenbankwesens auf globaler Ebene noch nicht feststeht, beziehungsweise noch nicht eindeutig klar ist, welche Teile davon reguliert werden sollen, lassen sich Volumen und Konsequenzen am und für den Finanzstandort Luxemburg nicht ohne Weiteres bestimmen. Doch sollten, wie sich abzeichnet, Geldmarktfonds in den Fokus der Bemühungen rücken, bleibt das nicht ohne Folgen für Luxemburg. Weil viele Geldmarktfonds hier beheimatet sind, warnte Yves Mersch vergangenen Donnerstag davor, dass die Aufsichtsaufgaben der Luxemburger Zentralbank durch eine zusätzliche Regulierung steigen würden. Das verwaltete Nettovermögen in den Luxemburger Geldmarktfonds betrug Ende März 2011 278,878 Milliarden Euro.

Die Geldmarktfonds, die ausschließlich in Geldmarktpapiere, wie Schuldscheine und Anleihen, mit geringer Restlaufzeit investieren, stellen Luxemburg und seine Behörden allerdings nicht nur vor ein praktisches Aufsichtsproblem. Eher stellt sich immer dringender die Frage, ob oder wie lange sich eine kleine Wirtschaft wie Luxemburg einen so großen Finanzplatz überhaupt noch leisten kann. Beispiel Herbst 2008: Um eine Anlegerpanik und massenhafte Anteilsverkäufe zu verhindern, welche die Fonds und die Emittenten der von ihnen gekauften Schuldtitel in Schwierigkeiten gebracht hätte, hatte Deutschland auf dem Höhepunkt der Finanzkrise eine umfassende und unbegrenzte Garantie für alle deutschen Geldmarktfonds ausgesprochen. Am 14. Oktober musste Luxemburg nachziehen und ein zerknirschter Staatsminister Jean-Claude Juncker (CSV) erklärte im Parlament, Regierung und Zentralbank würden alles unternehmen, um die Liquidität der Luxemburger Geldmarktfonds zu gewährleisten. Wie dieses Versprechen angesichts der enormen Summen eingelöst worden wäre, hätten die Anleger wirklich den virtuellen Kassensturm eingeläutet, bleibt sein Geheimnis.

Der internationale Druck auf den Finanzplatz Luxemburg wird sich durch die Schattenbank-Diskussion weiter erhöhen. Ins Visier geraten könnte unter anderem auch das günstige Verbriefungsgesetz von 2004, mit dem Finanzminister Luc Frieden (CSV) und die Luxemburger Promotionsagenturen im Ausland die Werbetrommel rührten. Mit einigem Erfolg, wie sich herausstellt. Ende des ersten Quartals gab es EZB-Statistiken zufolge in der Eurozone 3 032 financial vehicle corporations (FVC), also Verbriefungsgesellschaften. Davon sind 530, mehr als ein Sechstel, in Luxemburg registriert. Ihre Bilanzsumme betrug BCL-Angaben zufolge Ende März 101,491 Milliarden Euro. Das Verbriefungsgesetz von 2004 unterscheidet zwischen solchen Strukturen, die regelmäßig Papiere austellen, die der Aufsicht der CSSF unterliegen und solchen, die unregelmäßig an den Markt gehen und deswegen keiner Aufsicht unterliegen. Nur 27 der 530 Organismen wurden, gemäß Gesetz, von der CSSF kontrolliert. Mit einer Bilanzsumme von 12,7 Milliarden Euro (Ende 2010) stellen sie nur einen Bruchteil des gesamten Marktes dar. Die anderen wurden bis 2009 auch nicht von der BCL erfasst.

Diese freizügigen Bestimmungen lockten in der Vergangenheit manch windigen Unternehmer. So gesehen im Falle von Keydata, der seit 2009 insolventen britischen Gesellschaft, die angehenden britischen Rentnern Anlageprodukte auf Basis von Lebensversicherungspolicen amerikanischer Rentner verkaufte (d’Land, 09.04.2010). Die US-Versicherungsverträge wurden über Luxemburger Verbriefungsgesellschaften in Anlageprodukte umgewandelt, das heißt, die britischen Anleger kauften von den hiesigen Verbriefungsgesellschaften ausgegebene Anleihen. Lifemark, die einzige dieser Gesellschaften, die unter CSSF-Aufsicht stand, wird derzeit immer noch von einem externen Verwalter geführt, der versucht, den Konkurs abzuwenden. Die anderen Firmen, bei denen Versicherungsverträge im Wert von 103 Millionen Pfund verschwanden, wurden in der Zwischenzeit abgewickelt. Was es heißt, bei einer Gesellschaft zu investieren, die keine Kapitalpuffer anlegen muss, erfuhren die britischen Anleger, die jahrelang um die Rückerstattung ihres Einsatzes kämpfen mussten.

Dass die Versicherungspolicen damals verschwanden, war Betrug und eine Straftat. Dies konnte unbemerkt bleiben, so erklärte der Buchprüfer der Firmen damals gegen-über dem Land, weil die Firma keine Bilanzen vorgelegt hatte und man demnach auch nichts prüfen konnte. Bei der noch ums Überleben kämpfenden Lifemark lag kein Betrug vor. Weil das Geschäftsmodell nicht aufging, verloren die Versicherungspolicen an Wert. Das ist nicht illegal – trotzdem schauten die Anleger in die Röhre. Die Schattenbankdiskussion könnte zum Anlass werden, die „feste“ und gleichzeitig sehr freizügige rechtliche Grundlage der Verbriefungsgesellschaften zu prüfen.

Michèle Sinner
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