Erst Pedinotti, dann Socimmo

Marktbereinigung?

d'Lëtzebuerger Land du 28.07.2011

Das Interesse war groß, als vergangenen Samstag in Esch-Belval, im Schatten des neuen Bahnhofs, Maschinen und Material der seit Ende Juni insolventen Baufirma Pedinotti unter den Hammer kamen. Ehemalige Mitarbeiter verfolgten, wie ihr Unternehmen verscherbelt wurde. Materialhändler hielten ein Auge auf die Preise von gebrauchtem Material. Nordafrikanische Schrotthändler prüften, ob dieser oder jener Lieferwagenmotor wohl die Fahrt bis in den Mahgreb überstehen würde. Professionelle Schaulustige versuchten, auf dem nassen Gelände und ob dem Gedränge die Pfützen zu vermeiden. Und ein paar Bauunternehmer ersteigerten zu teils absurd hohen Preisen Bagger und Betonverschalungen. Einer kam im Rollstuhl, ein anderer zog seine Sauerstofflasche von Los zu Los. Und in der Menge wurde geflüstert, weitere große Baufirmen seien angeschlagen, ihr Überlebenskampf wohl bald vorbei. 

Mittwoch, 15.30 Uhr, Strassen. In der Lagerhalle der Firma Socimmo informieren die zuständigen Sekretäre von OGBL und LCGB einen Großteil der 470 Mitarbeiter, die seit zwei Monaten keinen Lohn erhalten haben, darüber, dass eine Bankgarantie über 600 000 Euro nicht gefunden werden konnte, weswegen die Konten der Firma gesperrt blieben und eine Insolvenz so gut wie unabwendbar sei. In der Halle brodelt es. „Wovon sollen wir unsere Mieten zahlen, Essen kaufen?“, ruft die wütende Menge den vor Aufregung schwitzenden Gewerkschaftssekretären entgegen. „Ihr habt nichts unternommen. Sollen sie doch Insolvenz anmelden, dann haben wir wenigstens Anrecht auf Arbeitslosengeld.“

Zwei große Bauunternehmen innerhalb kürzester Zeit am Abgrund – dabei mangelt es nicht an Aufträgen. Im ersten Quartal 2011 wurden laut Statec Baugenehmigungen für 524 Gebäude ausgestellt, 22 Prozent mehr als 2010.  Im Juli bewerteten acht Prozent der vom Statec befragten Unternehmen die eigene Auftragslage als überdurchschnittlich, 63 Prozent als normal. Die Auftragsbücher von Socimmo, sagen die Gewerkschafter, sind bis Ende 2012 gefüllt. Was der Firma zum Verhängnis wurde, ist nicht ein Mangel an Aufträgen, sondern das Gegenteil. „Zu schnell gewachsen“, sind sich Beobachter einig. Innerhalb von wenig mehr als zwei Jahren ist die Zahl der Mitarbeiter von um die 100 auf über 450 gestiegen. Das Unternehmen zog große Projekte an Land. Dabei half der gute Ruf, für Wertarbeit sind die Socimmo-Beschäftigten auch heute noch bekannt. Doch zur Umsetzung von Großprojekten und zur Berechnung von kostendeckenden Preisen fehlte die interne Struktur, sagen Mitarbeiter. 

Die Firma investierte viel. Auf Pump.Unter anderem in den neuen Firmensitz in Mondorf, der laut Bilanz 2009 mit einer Hypothek über 3,3 Millionen Euro belastet ist. Die Schulden beliefen sich Ende 2009 auf 18,7 Millionen Euro. Die Bilanz für 2010 liegt noch nicht vor. Doch der Schuldenberg dürfte im vergangenen Jahr eher gewachsen als geschrumpft sein. Eine Kassenlage, in der auch kleinste Probleme das Schiff zum Kentern bringen können. 

Dass auch andere, nicht nur kleine, Bauunternehmen  Liquiditätsschwierigkeiten haben, ist kein Geheimnis, auch wenn davon bei weitem nicht alle die Firmen betroffen sein dürften, deren Namen in den vergangen Tagen hinter mehr oder weniger vorgehaltener Hand genannt wurden. 

Die Ursachen dafür sind vielfältig. Während Socimmo zu schnell und ohne die nötige Struktur in der Geschäftsführung gewachsen ist, sind andere Unternehmen von Anfang an unterkapitalisiert. Trotz des hohen Materialaufwandes brauchen Bauunternehmen bei der Gründung nicht mehr Kapital aufzubringen als ein Friseur: 12 500 Euro. Das reicht nicht, meinen Marktteilnehmer. Deswegen fordert die Handwerkerföderation (FDA) für ihre Mitglieder, bis zu 25 Prozent des Jahresgewinnes in steuerfreie Reserven anlegen zu dürfen, die innerhalb von fünf Jahren in-vestiert werden müssen. Dass diese Lösung eher großen Unternehmen dient, die ohnehin Gewinne erwirtschaften, will Patrick Koehnen, FDA, nicht gelten lassen. 

„Die Wirtschaftskrise“ benennen er und andere eine Ursache für die aktuellen Liquiditätsengpässe in manchen Unternehmen. Doch darüber, wie sie sich ausgewirkt hat, gehen die Meinungen auseinander. Zwar hätten die Banken auf dem Höhepunkt der Finanzkrise tatsächlich die Kreditvergabe an die Unternehmen zurückgeschraubt, sagt Koehnen. Die Lage habe sich in der Zwischenzeit aber normalisiert. Die Datenreihen der Zentralbank scheinen diese Einschätzung zu bestätigen; ab 2007 wurden die Kreditvergabebedingungen verschärft, seit 2010 aber sind sie unverändert. Dennoch sanken seit 2009 Anzahl und Volumen der Unternehmenskredite deutlich, auch weil die Anträge rückläufig sind. 

Zudem wächst die Konkurrenz – „auf ein Luxemburger Unternehmen kommt mittlerweile ein ausländisches Unternehmen“, sagt Koehnen – und damit auch der Preisdruck. Bei Ausschreibungen, an denen sich früher vielleicht ein Dutzend Firmen beteiligt hätten, stünden mittlerweile bei der Umschlagsöffnung bis zu 25 Firmenchefs um den Tisch, sagen die Beteiligten. Wenn jetzt die Arbeiten durchgeführt werden, die vor einem oder anderthalben Jahr vergeben wurden, als die Versuchung groß war, sich mit unrealistischen Kampfpreisen Aufträge zu sichern, macht das die Situation, ein bis zwei Index-Tranchen und eine Rohstoffpreishausse später, nicht unbedingt besser. Dass die Margen nicht wirklich eindrucksvoll sind, lässt sich aus der Bilanz von Socimmo herauslesen. Bei einem Umsatz von 26,6 Millionen verbuchte die Firma 2009 einen Gewinn von 169 688 Euro. Wer seine Baustellen nicht rigoros aufmisst und verrechnet, riskiert da schnell Verlustgeschäfte. 

Dazu addieren sich die schlechten Witterungsbedingungen des vergangenen Winters, als viele aus der Branche über mehrere Wochen Schlechtwetterschutz beantragen mussten. Dass der Beschäftigungsfonds nach zwei Tagen einspringt und die Löhne der Mitarbeiter übernimmt, hilft den Unternehmen. Die Terminplanung warfen die langen Auszeiten trotzdem durcheinander, und wenn die Baustellen stillstehen, gehen keine Rechnungen raus. 

Fragt sich, wie sich die Situation auf die Geschäftspartner auswirkt, genauer, die Baustofflieferanten, bei denen Socimmo-Kunden, wegen deren blockierten Bankkonten, das Material in den vergangenen Wochen direkt kauften, um die Baustellen am Laufen zu halten. „Seit der Krise haben die Außenstände zugenommen“, sagt der Präsident der Baustoffhändlervereinigung Christian Maroldt. „Die Rechnungen werden etwa einen Monat später bezahlt als vorher.“ Doch, beeilt er sich zu unterstreichen: „Die Konjunktur am Bau ist gut. Schwierigkeiten haben vor allem die, die in der Vergangenheit keine Reserven angelegt haben.“ Dass der Konkurs und der Fast-Konkurs zweier für den heimischen Markt größerer Firmen so kurz aufeinander folgen, wundert ihn deshalb nicht. Schließlich stünden auf der roten Liste der Kunden, die mit Zahlungsproblemen kämpften, immer wieder die gleichen Namen. 

Dass es eine solche Rote Liste auch beim Haupthersteller und -lieferer des wichtigen Baustoffs Beton, Béton Feidt, gibt, davon ist auszugehen. Laut Bilanz standen dort bei einem Jahresumsatz von 67,2 Millionen Euro Ende 2009 16,6 Millionen Euro unbezahlte Rechnungen offen, abzüglich derer, die man bereits abgeschrieben hat. Von 2008 auf 2009 stiegen die Außenstände um über zwei Millionen Euro – während der Krise ließen wohl mehr Unternehmen anschreiben als gewohnt, um sich so ein bisschen Kredit zu verschaffen. 

Unterdessen wird in Unternehmenskreisen immer wieder der Vorwurf laut, der Staat selbst bringe die Branche in Bedrängnis, weil er sich als Auftrageber großer Bauprojekte Zeit mit dem Bezahlen lasse, dafür aber immer zügig Mehrwertsteuer und Sozialbeiträge eintreibe. Ein Vorwurf, den man beim Nachhaltigkeitsministerium von sich weist. Seit 2009 drohen auf überfälligen Rechnungen hohe Zinsaufschläge, erklärt eine Beamtin. Dass die Verzugszinsen seither nur selten fällig geworden sind, sei ein Hinweis, dass man die Vorschusszahlungen, die im Schnitt 80 Prozent der Gesamtsumme ausmachen, in der Regel binnen 30 Tage zahle. Dass es sich bei den Restbeträgen, die erst nach der Baustellenübergabe überwiesen werden, bei staatlichen Projekten oft noch um größere Summen handelt, steht auf einem anderen Blatt. Und vom Recht, Verzugszinsen einfordern zu können, werden Firmen, die für kommunale Auftraggeber arbeiten, nur ungern Gebrauch machen. Das Risiko, es sich mit einzelnen, für Bauprojekte zuständigen Beamten zu verscherzen, dürften nur wenige wirklich eingehen wollen. Auch aus Angst, bei zukünftigen, begrenzten Ausschreibungen von vornherein ausgeschlossen zu werden.

Romain Heinen, Direktor der Administration de l’enregistrement et des domaines bestätigt, dass die Verwaltung ihre Mehrwertsteuerpolitik seit der Krise geändert hat. Zu Gunsten der Unternehmen. Konnte es vorher, zumindest theoretisch, bis zu fünf Jahre dauern, bis Firmen, egal welcher Branche, die Mehrwertsteuer zurückerstattet wurde, würde den Anträgen seither prinzipiell sofort stattgegeben. Es sei denn, die Beamten melden schriftlich Einwände an, beispielsweise, wenn sie Betrug vermuten. „In den vergangenen zwei Jahren haben wir jeweils eine Milliarde Euro ausgezahlt. Das ist absoluter Rekord“, sagt Heinen. Außerdem löse die Verwaltung, entweder in Absprache mit der Steuerverwaltung und den Sozialversicherungskassen oder allein, Konkurse nur wirklich dann aus, wenn es keine Aussichten auf eine erfolgreiche Sanierung der säumigen Unternehmen gebe. Weil bei einer Insolvenz das Geld oft nicht einmal reiche, um die Mitarbeiter auszuzahlen, hätten auch die Staatsverwaltungen mehr zu verlieren als zu gewinnen, so Heinen. Lieber vereinbart man mit den Firmen, die der Behörde Mehrwertsteuer schulden, Zahlungspläne. Über branchenspezifische Daten verfügt man beim Enregistrement nicht. Doch von Anfang Januar bis jetzt hat die Verwaltung 20 Prozent mehr Anfragen für Zahlungspläne erhalten und, trotz aller Zurückhaltung, 50 Prozent mehr Insolvenzen ausgelöst als 2010. „Das sagt weniger über die Baubranche als über den Zustand der Wirtschaft im allgemeinen aus“, gibt Heinen zu bedenken. 

Im Falle Socimmo sind es nicht die staatlichen Behörden, die eine Insolvenz ausgelöst hätten – und noch hat kein Gericht einen Konkurs besiegelt. Doch helfen konnte der Staat nicht. Am Donnerstagnachmittag verhandelten Wirtschaftsminister Jeannot  Krecké und Arbeitsminister Nicolas Schmit (beide LSAP) mit Banken und Aktionären, letztendlich aber entschieden sich die Banken, die Reißleine zu ziehen. Das Wirtschaftsministerium hatte bereits am Mittwoch mitgeteilt, man verfüge nicht über die nötigen Instrumente, um Socimmo zu helfen, während die Baubranche an sich gesund sei und der Wettbewerb stark. Es wollte offenbar keinen Präzedenzfall schaffen und verhindern, dass nach der Socimmo-Belegschaft die Chefs anderer Baufirmen auf dem Bürgersteig vor dem Wirtschaftsministerium demonstrieren, um ähnliche Hilfen anzufordern.

Kein Wunder, dass sich die Socimmo-Mitarbeiter aufregten, für die Banken, die viele Luxemburger beschäftigten, habe der Staat während der Finanzkrise Milliarden aufgebracht, doch für einen Baubetrieb, der mehrheitlich Ausländer beschäftige, gebe es kein Geld. Auch fühlten sie sich verhöhnt, als ihnen gesagt wurde, ausgerechnet die Banken, die durch ausufernde Kredite die zu schnelle Expansion der Firma erst ermöglichten, sperrten jetzt die Konten wegen einer fehlenden Garantie über 600 000 Euro, eines Betrags, der dem Kaufpreis für ein Reihenhaus in Düdelingen und einem Bruchteil der Firmenschulden entspricht. Doch anscheinend besaßen die Aktionäre keine einzige Immobilie mehr zum Hypothekieren...

Michèle Sinner
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