Die gestiegenen Strompreise sorgen für Bewegung am Markt für die kleinen Kunden. Ein wenig jedenfalls

Alles bloß teurer?

Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 28.03.2025

Die Regulierungsbehörde ILR urteilte streng, als sie im November ihren Jahresbericht über den Strommarkt herausgab: Bei den Stromversorgern gebe es einen „manque de dynamisme et d’innovation“.

Ganz neu ist die Feststellung nicht. Im Oktober 2019 zum Beispiel hatte das Institut luxembourgeois de régulation sie wortwörtlich genauso gemacht. Und den Befund, wie jedes Jahr, an die EU-Kommission weitergegeben. Die will wissen, was sich so tut auf den seit rund 20 Jahren liberalisierten Märkten für Strom und auch für Gas in der EU. In Luxemburg scheint sich nicht viel zu tun.

Das wäre nicht weiter erwähnenswert, wären für kleine Verbraucher/innen, die so genannten clients résidentiels, zum 1. Januar die Preise nicht gestiegen. Einerseits, weil die Netzkosten nun anders berechnet werden: Nicht mehr nur die Entnahme von Strom aus dem Netz kostet, sondern auch, wenn es viel Strom auf einmal ist. Andererseits wurde der von der Tripartite im September 2022 beschlossene Krisen-Preisdeckel auf dem Strom selber kleiner. 2024 erhielt ein client résidentiel jede verbrauchte Kilowattstunde noch mit rund elf Cent aus der Staatskasse subventioniert. Dieses Jahr sind es nur noch knapp vier Cent. Vor allem das hat die Endpreise steigen lassen. Dass es nächstes Jahr keinen Deckel mehr geben soll, ist für die Regierung beschlossene Sache. Der Gaspreisdeckel gilt schon seit Jahresanfang nicht mehr.

Ändert das etwas am Markt, auf dem sich bisher nicht viel getan hat? Die Frage stellt sich, weil die Strompreise zum Politikum geworden sind. „Die Regierung müsste sich für billigen Strom einsetzen“, meinten die Grünen Anfang Februar. Der Staat müsse eine „Mainmise“ auf den Preis behalten, schloss die LSAP sich kurz danach an. Die Linke wollte am Donnerstag vergangener Woche in einer Aktuellen Stunde im Parlament nicht so weit gehen, die Rücknahme der Marktliberalisierung zu verlangen. Aber hinter der eher philosophischen Bemerkung des Abgeordneten David Wagner, man müsse diskutieren, was „normale Marktpreise“ wären, wenn „Energie ein Grundrecht“ ist, verbarg sich eigentlich genau das.

Vier Anbieter gibt es für die kleinen Verbraucher. Von ihnen könnte erwartet werden, auf die neue Preislage mit Angeboten zu reagieren, wenn auf der Produktseite der Markt korrigieren soll, was zu teuer ist. Im Grunde könnten alle Haushalte den billigsten Strom abonnieren. Dabei hilft ein Blick auf Calculix, den Online-Vergleichsrechner für Strom und Gas, den das ILR unterhält. Man gibt seine Postleitzahl ein, den bisherigen Stromverbrauch oder die Größe des Haushalts und wann der bestehende Liefervertrag abgeschlossen wurde. Resultat: Alle Kosten inklusive, liegen für einen Vier-Personen-Haushalt die Angebote der vier Versorger um bis zu 180 Euro im Jahr auseinander. So viel lässt sich einsparen, im Moment.

„Ob man meint, das lohnt sich, ist natürlich eine individuelle Entscheidung“, sagt Claude Hornick, Chef der Abteilung Energie am ILR. Und fährt fort: „Würden das 20 Prozent der Verbraucher machen, käme zusammengenommen ein substanzieller einstelliger Millionenbetrag zustande.“

In anderen Worten: So viele Anbieterwechsel auf einmal würden die Stromversorger unter Druck setzen. Das ILR sähe das nicht ungern. Seit Jahren rechnet es in seinen Berichten vor, wie selten in Luxemburg gewechselt wird. Im Jahr 2023 gab es bei den clients résidentiels 651 Wechsel. Das entsprach ungefähr zwei Promille dieser Kunden. Seitdem hätten die Wechsel zugenommen, erklärt Claude Hornick. Genaue Zahlen könne das ILR noch nicht nennen. Dass wegen der gestiegenen Preise viel häufiger als früher der Calculix konsultiert wird, ist offenbar nicht der Fall: „Pro Monat nutzen ihn an die 1 000 unique visitors“, zitiert Hornick aus der Nutzer-Statistik des Online-Rechners. „Das ist heute gegenüber 2024 ziemlich stabil, und 2024 gab es keine wesentliche Erhöhung gegenüber 2023.“

Das ist nicht gerade frohe Kunde vom Markt. Aber vielleicht werden die Preiserhöhungen seit Januar von vielen nicht als hoch empfunden, oder sie werden hingenommen. Die Stromversorger berichten nicht von vielen besorgten Kontaktaufnahmen ihrer Kundschaft. „Wir hatten uns auf viele Nachfragen eingestellt, aber es waren nicht so viele“, berichtet Romain Mary, Marketingchef bei Enovos. „Es blieb überschaubar“, sagt Paul Kauten, Geschäftsführer von Energy Revolt in Beckerich. „Wir hatten relativ wenig Anfragen. Das Thema betraf die Leute weniger, als die Presse und manche Politiker suggerierten“, schätzt Torsten Schockmel, Verwaltungsdirektor von Sudstroum in Esch/Alzette.

Der vierte Versorger für die kleinen Kunden, Sudenergie, auch in Esch, war für das Land nicht zu sprechen. Was schade ist, denn laut Calculix bietet er den zurzeit billigsten Strom an. Seit 2023 liefert der früher reine Gasversorger Sudgaz als Sudenergie auch Strom. Zu vermuten ist, dass er preiswert sein kann, weil er Lang-
frist-Bestellungen im Großhandel tätigen konnte, als dort die Preise wieder rückläufig waren. Während die Konkurrenz noch Energie verkauft, die sie in der Krisenzeit zu hohen Preisen bestellt hatte. Irgendwo muss sie ja hin damit.

Bei näherem Hinschauen verfolgen die Versorger sehr wohl unterschiedliche Ansätze, wenn es darum geht, neue Tarife zu entwickeln. Beim ILR wird mit Zufriedenheit festgestellt, dass mit Energy Revolt und Sud-energie 2023 zwei neue Anbieter hinzukamen. Anfang 2024 gab die Merscher Electris auf; ihr Geschäft übernahm Enovos. Die Encevo-Gruppe wurde dadurch noch stärker. Der ILR-Bericht gibt für 2023 für Encevo, in der Enovos die größte Tochterfirma ist, die im Grunde auch alles Strategische erledigt, einen Marktanteil von 91,3 Prozent bei den kleinen Kunden an. Für Electris waren es 1,7 Prozent, die Encevo nun auch hat. Für Sudstroum errechnete das ILR 6,8 Prozent Marktanteil. Sudenergie und Energy Revolt waren damals noch neu und fielen in der Bilanz noch wenig auf.

Der stellvertretende ILR-Direktor Claude Rischette sieht das so: „Die Konzentration ist stark und der Markt nicht das, was man sich unter einem konkurrenzfähigen Markt vorstellt.“ Aber vier Anbieter gebe es immerhin. Natürlich könnten Akteure aus dem Ausland in Luxemburg aktiv werden. Doch der kleine Markt sei schon mal eine Hürde. Eine zweite, dass ein Stromversorger eine „Kommunikation“ mit dem Netzbetreiber einrichten muss: „Das erfordert IT, das ist nicht ohne.“ Drittens müssten je nach Marktanteil Verpflichtungen für Energieeffizienz erfüllt werden, die je nach Land spezifisch sind. Und viertens sei Strom nun mal Strom, und Gas nun mal Gas. „Da ist es nicht so einfach, sich von der Konkurrenz mit Angeboten abzugrenzen wie zum Beispiel in der Telekom.“

Das ist ein interessanter Punkt. Ende Oktober hatte Claude Seywert, CEO von Encevo, in einem RTL-Interview vorausgesagt, die Entwicklung gehe in eine Richtung, „wie heute in der Telekommunikation, wo jeder seinen eigenen Tarif hat, je nachdem, was sein Bedarf ist“. Enovos, der große Akteur in der Gruppe, hat einen Tarif entwickelt, den seit Anfang dieses Monats alle Encevo-Versorger im Angebot haben. Marketingchef Romain Mary nennt ihn „time of use“: Zu bestimmten Tageszeiten sei er preiswerter als der Standard-Strom, den 90 Prozent der Kunden abonniert hätten, zu anderen Zeiten teurer. Damit zielt Enovos offensichtlich auf Haushalte mit Elektroautos. Mit den neuen Netztarifen wird es billiger, die Autos über Nacht mit wenig Leistung und über eine längere Zeit aufzuladen statt zu jedem beliebigen Zeitpunkt und so rasch wie möglich. „Für uns“, sagt Mary, „ist jetzt eine gute Zeit, um neue Angebote zu machen.“ Wie er das sagt, lässt ahnen, dass es den anderen womöglich nicht so leichtfällt, es dem Marktführer gleich zu tun.

Sudstroum-Direktor Schockmel räumt das ein. „Wir kommen historisch vom Festpreis. Wo man Strom einkauft und verkauft, einen korrekten Preis nimmt, mit dem der Kunde zufrieden ist und wir auch.“ In seinen Statuten hat Sudstroum stehen, es führe die Missionen des einstigen kommunalen Energiedienstes von Esch/Alzette weiter. Der Begriff „responsabilité sociale“ taucht auf. Der Festpreis sei aber nicht die Zukunft, sagt Schockmel, schon wegen der Elektroautos nicht. „Auch wir werden so etwas auflegen wie unser großer Konkurrent. Aber am Ende ist es ein Nullsummenspiel: Was man zu einer Tageszeit preiswerter anbietet, muss zu einer anderen mehr kosten.“

Noch ein paar Schritte weiter gehen „dynamische Tarife“. Enovos bietet sie an, Sudstroum auch. Weil beide Versorger mehr als 15 000 Kunden haben, verpflichten EU-Regeln dazu, die seit 2023 im Luxemburger Stromgesetz stehen. „Dynamisch“ heißt, dass der Kunde über den Tag jenen Preis bezahlt, der am Tag zuvor an der Strombörse im Großhandelsgeschäft „Deutschland und Luxemburg“ im Stunden- oder gar Viertelstundentakt entstanden war. Plus einen Aufschlag für den Versorger. Wer davon als Verbraucher sinnvoll Gebrauch machen möchte, müsste große Geräte jeden Tag programmieren. Dann kann im Sommer ganz billiger Strom in der Mittagszeit winken, wenn an der Börse viel Solarstrom gehandelt wird. Im Winter dagegen können die Börsenpreise hoch werden.

Ein wenig in diesen Dimensionen ist Energy Revolt unterwegs. Ein wenig, denn der Ansatz dieses Versorgers ist ziemlich speziell. „Im Juni 2023 waren wir der Günstigste am Markt, weil wir da viel Solarstrom hatten“, sagt Geschäftsführer Paul Kauten. „Der Günstigste zu sein, ist aber nicht unser Ziel.“ In erster Linie wolle Energy Revolt Eigenproduktion und das Teilen von Strom in Luxemburg fördern; der große Markt und die Börse sollten eine möglichst kleine Rolle spielen. Fast 13 Megawatt installierter Fotovoltaik verwalte man zurzeit, und das nehme weiter zu. Plus zwei Windräder, demnächst noch ein drittes, sowie rund 300 Kilowatt Wasserkraft. Strom zu teilen unter Mitgliedern von Versorgergemeinschaften habe Priorität, „was übrig ist, verkaufen wir“. Ist zu viel übrig, wird es an die Strombörse gebracht, fehlt Strom, wird an der Börse nachgekauft. „Wir wollen dafür sorgen, dass die erneuerbare Produktion im Land zunimmt. Bei uns richtet das Angebot sich nach dem Strommix.“ Das Wichtigste sei „mehr Eigenproduktion“.

Am Ende erscheinen die Stromversorger, obwohl es nur vier sind für die kleinen Kunden – mit einer Grenze von 25 000 Kilowattstunden im Jahr fallen unter sie auch kleine Betriebe – als nicht wenig innovativ. Neue Tarife schlagen potenziell auf die Margen. Aber wahrscheinlich wird kaufkraftbereinigt auch wenn der Preisdeckel ganz wegfällt, Strom in Luxemburg noch immer erschwinglich sein. Neue vergleichende Zahlen mit anderen Ländern gibt es nicht; die jüngsten von Eurostat geben den Stand vom ersten Halbjahr 2024 wieder. Damals – als der volle Deckel noch galt – kosteten 100 Kilowattstunden hierzulande in Kaufkraftparitäten 15,34 Euro, nur in Malta lag der Preis mit 14 Euro niedriger. Wozu nun vielleicht passt, dass es viele Beschwerden wegen der neuen Preise anscheinend nicht gab.

Peter Feist
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