2015 ist es wieder so weit: Luxemburg übernimmt für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft. Es wird eine Übung gut geplanter Improvisation, mehr noch als vor zehn Jahren. Denn sie soll deutlich weniger kosten

Europe calling

d'Lëtzebuerger Land du 26.09.2014

Glamour no more Jean Asselborn, Außenminister (LSAP), ist fast der einzige in seinem Ministerium, der die Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2015 auf dem gleichen Posten erleben wird wie die letzte. 2005 war Asselborn frisch im Amt als es losging, lernte gerade Englisch. Aber er war Präsident von Europa – also des Ministerrats der EU. Er traf den israelischen Premierminister Ariel Sharon in Jerusalem und den Palästinenserpräsidenten Mahmoud Abbas in Gaza. Er empfing US-Außenministerin Condoleezza Rice in Luxemburg, fuhr nach Moskau. Dass die Ratspräsidentschaft 2015 ebenso glamourös wird, ist eher unwahrscheinlich, denn seit der Lissabon-Vertrag in Kraft ist, hat die EU ihre eigene Außenbeauftragte und einen ständigen Präsidenten. „Who do I call, if I want to speak to Europe?“, hatte US-Außenminister Henry Kissinger gefragt. Er würde 2015 statt Jean Asselborn die neue EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini oder den ständigen Ratspräsidenten Donald Tusk anrufen, um einen Termin zu vereinbaren. Tusk wird es sein, der die Staats- und Regierungschefs zum Gipfel einlädt – nicht Staatsminister Xavier Bettel (DP).

Auf nach Straßburg Somit haben sich Jean Asselborns Aufgaben seit 2005 stark verändert. 2015 wird er viel Zeit in Straßburg verbringen – auch das ist dem Lissabon-Vertrag geschuldet, „Das Europaparlament hat eine ganz andere Rolle“, sagt Marc Ungeheuer, Generalsekretär im Außenministerium. Plenarsitzungen in Straßburg, Mini-Sitzungen in Brüssel, zählt Gaston Stronck, Direktor der Abteilung für internationale Wirtschaftsbeziehungen und europäische Angelegenheiten im Außenministerium, auf. Plus eventuelle Komitee-Sitzungen, je nachdem, wie ernst Federica Mogherini die Beziehungen zum Parlament nimmt und ob sie selbst hingeht. „Relativ schwierig“, werde das – im Plenum stellen die Parlamentarier Fragen zu allen möglichen Themen, auch solche, die anhand der Tagesordnung nicht unbedingt vorhersehbar waren. Da ist es von Vorteil, wenn man die Fraktionsvorsitzenden kennt, die Vorsitzenden der Komitees und die Berichterstatter – deswegen wird Jean Asselborn schon im ersten Semester 2015 häufiger ins Elsass fahren. Auch andere Ressortminister werden öfter nach Straßburg reisen müssen als das noch 2005 der Fall war. Weil seit Lissabon das Mitentscheidungsverfahren in vielen Bereichen gilt. Seither reicht es nicht mehr aus, im Ministerrat einen Kompromiss über eine Richtlinie zu verhandeln. „In seiner letzten Zusammensetzung“, gibt Marc Ungeheuer zu bedenken, „strebte das Parlament oft eine Verabschiedung in erster Lesung an.“ Ob das neue, vergangenen Juni gewählte Parlament diese Strategie beibehält, ist noch nicht absehbar. Das wird sich während der italienischen und der lettischen Ratspräsidentschaften herausstellen.

Leiharbeiter Eigentlich hat die Luxemburger Présidence schon am 1. Juli ein bisschen angefangen, denn Luxemburg bildet zusammen mit Italien und Lettland ein Trio. Dabei laufen die Vorbereitungen im Hintergrund schon sehr viel länger. Die Mehrheit der Chargés de mission, die für die Ratspräsidentschaft unter Vertrag genommen werden, sitzt schon an ihren Schreibtischen. Knapp über 200 sind es dieses Mal, sagt Marc Ungeheuer. Deutlich weniger als die rund 280 Leiharbeiter 2005 – es muss gespart werden. Die bilateralen Botschaften Luxemburgs im Ausland werden nicht personell verstärkt, so der Generalsekretär. Dennoch: 200 zusätzliche Mitarbeiter – das entspricht nach Luxemburger Maßstäben dem Personalbestand eines mittelgroßen Unternehmens. Sie sind eine Verjüngungskur für Ministerien und Verwaltungen. „Die Stimmung ist etwas Besonderes“, sagt Sandra Thein, Protokollchefin im Außenministerium über ihre junge Mannschaft. Für die Chargés selbst ist die Präsidentschaft eine einmalige Karrieregelegenheit, erlaubt ihnen, Netzwerke in Luxemburg aufzubauen und Kontakte im Ausland zu knüpfen. Und Verantwortung zu übernehmen, auf die Beamte im Staatsapparat von großen Ländern lange warten müssen, was vor allem für diejenigen gilt, die in Brüssel Arbeitsgruppen leiten. „Ich bin beeindruckt von der Qualität der Mitarbeiter“, sagt Gaston Stronck, lobt deren Bildungsniveau und Erfahrung. In seiner Abteilung arbeiten sieben Chargés – damit ist seine Mannschaft doppelt so groß wie zu „Friedenszeiten“. Zu den Stärken Luxemburgs gehören für ihn, die informellen Kommunikationswege – „sehr effizient“ – und dass das kleine Großherzogtum in vielen Dossiers keine eigene Position zu verteidigen hat, als honest broker anerkannt wird, wenn es darum geht, Kompromisse zu erzielen. Dennoch – dass Luxemburg mit Hilfe einer Einsatztruppe aus Leiharbeitern mit einem geschätztem Durchschnittsalter von Mitte 20 sechs Monate erfolgreich das Kommando übernimmt, ist ein Kunststück, das beim letzten Mal auch die Annerkennung vieler ausländischer Journalisten erntete.

Wir sehen uns am Buffet Ganz ohne Bestechung geht das natürlich nicht. Die Luxemburger Gastfreundschaft und Großzügigkeit ist unter Brüsseler Journalisten-Urgestein legendär. Satte Journalisten sind wohlwollender als hungrige. Bei den informellen Ministertreffen während der Luxemburger Ratspräsidentschaft ist deswegen „alles gratis, außer Alkohol“, sagt Guy Schuller, Direktor des Presse- und Informationsdienstes der Regierung. Das Wohlwollen der Journalisten braucht sie diesmal umso mehr, um die Aufmerksamkeit auf die Arbeit der Präsidentschaft und auf Luxemburg an sich zu lenken – eben weil bei den großen Terminen mit wichtigen ausländischen Würdenträgern Federica Mogherini und Donald Tusk in der ersten Reihe stehen. Die definitive Kommunikationsstrategie ist noch in Ausarbeitung und deshalb noch nicht vom Regierungsrat abgesegnet. Aber neben der Webseite, diesmal mit integrierten Live-Stream und in drei Sprachen – Englisch, Französisch und Deutsch –, wird sowohl die Präsidentschaft als auch die ständige Vertretung Luxemburgs, die „RP“, in Brüssel twittern. „Brüssel“, sagt Guy Schuller, „wird höchstwahrscheinlich das Epizentrum unserer Kommunikation sein“, die dieses Mal bewusst proaktiver sein soll als 2005. Seit 2012 schon ist deshalb Carole Ensch an die RP entsandt, baut dort Kontakte auf. Ganz neu ist das für sie nicht. Vor ihrem Umzug nach Brüssel begleitete sie den Vorsitzenden der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker – eine gute Schule für den Umgang mit der hartgesottenen Brüsseler Presse, die binnen Minuten gerade erst beschlossene vertrauliche Dokumente besorgt.

Kommandozentrale Bis zu 400 Journalisten erwartet Guy Schuller für das informelle Treffen der Finanzminister. Da ist es gut, dass das Konferenzzentrum auf Kirchberg (CCK), das eigentlich schon 2005 fertig sein sollte, endlich funktioniert. Insgesamt 226 Ereignisse wollen die verschiedenen Ministerien und Verwaltungen von Juli bis Dezember 2015 organisieren, davon allein 13 informelle Ministertreffen. Bis Mitte September mussten sie der Kommandozentrale des Groupe Protocole et Oragnisation (GPO) unter der Leitung von Sandra Thein definitiv Bescheid sagen. Die provisorische Liste hatte der Regierungsrat bereits im Frühling abgesegnet. Das große Novum in der Organisation für 2015: Alle, wirklich alle, Events werden zentral vom GPO koordiniert und organisiert, Alleingänge der Ministerien sind ausgeschlossen. In erster Linie geht es darum, zu verhindern, dass ungewollt zwei größere Events am gleichen Datum stattfinden – wegen der begrenzten Auswahl an geeigneten Veranstaltungsräumlichkeiten. Und der begrenzten Bettenzahl in den Hotels. Wenn im November 2015 das Ministertreffen der Asem (Asia-Europe meeting) stattfindet, werden bis zu 53 bis zu 30-köpfige Delegationen erwartet. „Die Hotels sind schon gebucht“, sagt Sandra Thein. Sie geht kein Risiko ein.

Lost in translation Das CCK wird der zentrale Austragungsort der Präsidentschaft sein. Der logistischen Einfachheit halber. Und aus Spargründen. 2005 organisierten die Ministerien ihre ebenfalls über 200 Treffen und Konferenzen kreuz und quer über Land, jeder nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen. Ein logistischer Albtraum. Buskarawanen und Eskorten blockierten den Verkehr. Pressezentren mussten improvisiert und genormte Kabinen und Material für die gewerkschaftlich gut organisierten Übersetzer eingerichtet werden. „Vor allem die Kabinen sind unglaublich teuer“, sagt Marc Ungeheuer. Als Budget Présidence sind über drei Jahre insgesamt 75 Millionen Euro veranschlagt, dazu kommen noch separate Budgets der öffentlichen Bauverwaltung und der Polizei. Deshalb dürfen nur die Landwirtschaftsminister für ihr informelles Treffen aus der Stadt raus, zur traditionellen Begutachtung von Milch- und Mastvieh auf der grünen Wiese, diesmal in Clerf.

Auf dem Kirchberg ist alles bereit, sagt Sandra Thein. Sie ist im März mit ihrem bald 30-köpfigen Team ins Bürogebäude über den Konferenzräumen umgezogen. Von dort aus buchen sie Räumlichkeiten und Hotels, bestellen Essen, organisieren den Transport, Blumenschmuck und Fahnen. Den Kollegen der Ressortministerien bieten sie vier verschiedene Packages an, je nach Wichtigkeit der Konferenzteilnehmer. Für die Minister gibt es „all inclusive“ mit Limounsine und Minivan vor dem Flugzeug, Tourismus- und Kulturprogramm. „Novento“ heißt die Zauber-Software, mit der das GPO den Überblick über die Akkreditierungen behält. Novento ist ein Verkaufsschlager. Fast jede Ratspräsidentschaft in den vergangenen neun Jahren hat sie benutzt. Entwickelt hat sie die Luxemburger Post, 2005, binnen zwei Wochen, auf Anweisung des GPO, als sich die meterlangen Excel-Tabellen, mit denen die Mitarbeiter in den Hotellobbys auf die Gäste warteten, als ständig veraltet und untauglich erwiesen.

Safety first Die Minister-Limousinen will das Präsidentschaftsteam über einen Sponsoring-Vertrag organisieren – wenn sie unter Blitzlichtgewitter und vor laufenden Kameras beim Konferenzzentrum vorfahren, ist das eine gute Werbung für die Hersteller, so Sandra Thein. Als Fahrer springen Soldaten und Polizisten ein. Auch für die Polizei gilt während der Präsidentschaft Ausnahmezustand. Charles Hamen, Einsatzleiter, nimmt es mit der stoischen Gelassenheit eines Uniformierten. Es ist nicht seine erste Präsidentschaft. Für die letzte hatte er eine Einsatzstrategie ausgearbeitet, die er, ein wenig überarbeitet, vom Regierungsrat hat absegnen lassen. Sobald ihm der genaue Ereigniskalender vorliegt, wird er den spezialisierten Beamten – den Personenschützern für die Minister, denjenigen, die vor den Ereignissen Gebäude auf Sprengstoff überprüfen oder Eskorten fahren – Bescheid sagen, wann Urlaubsverbot herrscht. Werde es personell eng, erklärt er, könne über den Benelux-Vertrag der für die Ratspräsidentschaft 2005 abgeschlossen wurde, Verstärkung in Belgien angefordert werden. Die Belgier verleihen auch Spezialmaterial. Zum Beispiel? „Wasserwerfer die bei Demos zum Einsatz kommen. Solches Material haben wir nicht“, sagt Hamen. „Natürlich hoffen wir immer, dass Demos friedlich verlaufen.“

Nice tie! „Schön“, wird sie, verspricht Tania Berchem, Beauftragte fürs Nation branding im Außenministerium. Die Präsidentschaftskrawatte – sie ist die Trophäe aller Beteiligten männlichen Geschlechts vom Regierungsrat bis zum Saaldiener. 2005 entstand ein ganzer Schwarzmarkt, auf dem Präsidentschafts-Accessoires getauscht wurden: Notizblöcke, Post-it, Regenschirme,... Mit den Stiften schreibt noch heute die halbe Staatsverwaltung. Die wahlweise hell oder dunkelorangene Krawatte von damals sieht man auch 2014 noch am Hals loyaler Staatsdiener. „Sie hat starken Identifikationscharakter“, sagt Marc Ungeheuer. Das presidency package, das allen Delegierten geschenkt wird, soll dieses Mal, je nach Geschlecht, eine Krawatte oder einen Seidenschal, einen Notizblock und einen Stift enthalten, sagt Tania Berchem. Auch hier herrscht Sparzwang: „Alles wird zentral bestellt, dadurch hoffen wir, viel zu sparen.“ Die Minister dürfen ihren Kollegen etwas extravagantere Geschenke machen. Die definitive Auswahl steht noch nicht fest. Aber anders als beim letzten Mal soll es sich dabei um Produkte „Made in Luxembourg“ handeln. „Wir haben hier Know-how, und das wollen wir zeigen“, sagt Tania Berchem. Seit Monaten ist sie mit Luxemburger Designern in Kontakt, wenn möglich, sollen die Sachen mit lokalen Materialien in Luxemburg hergestellt sein.

„Moien“ Luxemburg so gut wie möglich nach innen und außen darzustellen, ist Tania Berchems Auftrag. Weil es bereits ein Logo gab, das bei der Auslandspromotion zum Einsatz kommt, hat die Präsidentschaft es übernommen und „aufgefrischt“, sagt sie. Wirklich frisch sieht es dennoch nicht aus. Aber es war günstiger, als eine komplett neue grafische Identität entwickeln zu lassen. Am Findel, am Bahnhof, auf Kirchberg wird es auf Flaggen wehen und auf Bannern prangen. Sowie Fahrstuhltüren im Konferenzgebäude des Europäischen Rates Justus Lipsius schmücken. 2005 hatte die Präsidentschaft die Besucher der Lobby des „Just Lips“ mit dem schlichten wie wirksamen Schriftzug „Moien“ des Künstlerduos Wennig & Daubach begrüßt. Mittlerweile wird die Lobby während der Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs in ein Pressezentrum umfunk­tioniert. „Wir können da nichts mehr aufhängen“, sagt Guy Schuller, „wenn etwas von der hohen Decke fällt, gibt es sofort mehrere Schwerverletzte.“ Dennoch, sagt Barbara Zeches vom Kulturministerium, würden „junge Künstler“ engagiert, um in der Lobby und im Präsidentschaftsbüro aktiv zu werden. Die künstlerische Gestaltung des Ratsgebäude ist einer von drei Teilen des Kulturprogramms. Welche Form es genau annimmt, auch das hängt vom Budget ab. Fürs traditionelle Eröffnungskonzert kündigt Zeches den Elektromusiker Sunglitters und das Jazz-Trio Reis Demuth Wildgen an, die Verhandlungen mit den Luxemburger Botschaften liefen. Was man den Ministerdelegationen, die nach Luxemburg kommen, an Programm bieten will, ist noch offen. „Wir warten darauf, dass Termine definitiv festgelegt werden.“

Michèle Sinner
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