Bong Joon-Ho ist ein südkoreanischer Regisseur, der zunächst Filme für ein südkoreanisches Publikum machte. In den letzten Jahren hat er jedoch auch beim westlichen Publikum Anerkennung für seine Arbeit gefunden. Seine Filme sind für verschiedene Themen bekannt, zuvorderst über den Klassenstatus in der Gesellschaft und die Auswirkungen des Menschen auf die Umwelt. Mickey 17 ist sein neuestes Werk, das seine sozialistische Gesinnung mit den Genregesetzmäßigkeiten des Science-Fiction-Films und denen der Komödie in Verbindung setzen will. Dafür schickt der Regisseur den Hollywood-Darsteller Robert Pattinson gleich in einer Doppelrolle ins Weltall – bleibt aber weit hinter seinen vorherigen gesellschaftsanalytischen Allegorien zurück.
Der 1969 im südkoreanischen Daegu geborene Bong Joon-Ho studierte an der Yonsei-Universität zunächst Sozialwissenschaften begann, bevor er zur Filmkunst wechselte und an der Korean National University of Arts seinen Abschluss machte. Sein Regiedebüt gab er 2000 mit dem Film Barking Dogs Never Bite, der bereits seinen charakteristischen Stil und seinen scharfen Humor zeigte. Sein soziologisches Interesse ist all seinen Filmen eingeschrieben. Das ist entscheidend für die von Bong entwickelte künstlerische Inszenierung. Er baut seine Filme über den Inhalt auf, entwickelt allegorische Aussagen, die er in eine filmische Form überführt, die einem konstanten Veranschaulichungsprinzip verpflichtet ist. Die Genrebezüge, die er herstellt, sind ebenso diesem beschreibenden Verfahren untergeordnet; nie werden sie zur Selbstaussage.
Der internationale Durchbruch gelang Bong mit dem Monsterfilm The Host (2006), der sowohl in Südkorea als auch weltweit große Erfolge feierte. Der Film kombinierte Elemente des Horror- und Sozialdramas und thematisierte Umweltprobleme sowie die Auswirkungen der Regierungspolitik. Bong Joon-Ho setzte seine Karriere mit dem Psaychothriller Mother (2009) fort und mit Snowpiercer (2013), einem dystopischen Science-Fiction-Film, der international viel Beachtung fand: In einer post-apokalyptischen Welt, in der die Erde sich durch einen gescheiterten Klimakontrollversuch in eine Eiswüste verwandelt hat, leben die letzten Überlebenden der Menschheit in einem endlosen Zug, dem „Snowpiercer“, der unaufhörlich um den Globus fährt. Der Zug ist in Klassen unterteilt, die Reichen und Mächtigen leben unter der Führung des mysteriösen Wilford in luxuriösen Abteilen, während die Armen in beengten und unhygienischen Verhältnissen untergebracht sind. Die Geschichte folgt Curtis, der sich mit einer Gruppe von Rebellen zusammenschließt, um die Klassenhierarchie zu durchbrechen und die Kontrolle über den Zug zu übernehmen.
Seinen künstlerischen Höhepunkt erreichte Bong mit Parasite (2019), der ihm weltweiten Ruhm bescherte. Der Film gewann zahlreiche Auszeichnungen, darunter die Goldene Palme bei den Filmfestspielen von Cannes und den Oscar für den besten Film, was ihn zum ersten nicht-englischsprachigen Werk machte, das diesen prestigeträchtigen Preis erhielt. Auf virtuose Weise thematisiert die tiefschwarze Tragikomödie den Klassenkampf über die vierköpfige Familie der Kims. Da sie in äußerst ärmlichen Umständen lebt, kommt für den Sohn die Gelegenheit gerade recht, sich der reichen Familie Park als Englischnachhilfe anzubieten. So kommt es, dass die Kims sich mit ungeniertem Mut zum Eigennutz bei den Parks einnisten.
Und doch ist eine Besserung in Sicht. Die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen denjenigen, die zu viel haben, und jenen, die zu wenig haben, artikuliert Bong hier sehr deutlich über den filmischen Raum. In Snowpiercer war die Klassentrennung über einzelne Wagons und somit horizontal angelegt. In Parasite sind diese Unterschiede eher vertikal inszeniert – die Begriffe Ober- und Unterschicht werden buchstäblich genommen. Die prekäre Situation, die in einer schäbigen, heruntergekommenen Wohnung in einer nicht weiter definierten Großstadt irgendwo in Südkorea ihren visuell deutlichsten Ausdruck findet, wird für die Kims zum Antriebsmoment, sich ihres Elends zu entledigen. Die Kims sind gleichsam der Gestalt gewordene Widerspruch einer modernen kapitalistischen südkoreanischen Gegenwart; ihr egoistischer Aufstieg von ganz unten nach oben stellt in gewissem Sinne die „logische“ und sogar „verdiente“ Konsequenz aus vorherigen Versäumnissen der Gesellschaft dar, die in einem ganz irrwitzigen blutigen Finale gipfelt.
Der südkoreanische Regisseur hat wiederholt hervorgehoben, dass seine letzten drei Filme – Snowpiercer, Okja und Parasite – eine kritische allegorische Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus führen. Bong zeigt den Kapitalismus wiederkehrend als ein System der Überwachung: Bildschirme und Fenster durchdringen das Geschehen immerzu leitmotivisch – den Überlegungen Michel Foucaults sehr nahe stehend. Sie sind oft Ausdruck des staatlichen Kontrollapparats oder der Asymmetrien von gesellschaftlicher Macht. In Parasite und Mother werden die Menschen mit Foto- und Videomaterial erpresst. Im Klassenkampf, der in Snowpiercer auch gewalttätig geführt wird, haben die Streitkräfte des Zugführers Wilford einen taktischen Vorteil, weil sie Nachtsichtgeräte nutzen. Smartphones werden In Parasite werden Smartphones nicht nur zum blickführenden Medium auf die Welt, sie werden die Welt. Immer wieder füllen TV-Bildschirme bei Bong plötzlich die Kinoleinwand aus, sie werden zum einzigen Sichtfeld – ein Instrument der totalen Gesellschaftsformatierung. Eine Gesellschaft, die auf das Funktionieren ausgerichtet ist, nicht auf den Wert eines jeden Einzelnen.
Mickey 17 folgt dieser Linie. Die Science-Fiction-Komödie, basierend auf dem Roman des amerikanischen Autors Edward Ashton, setzt Mickey Barnes (Robert Pattinson) ins Handlungszentrum: In einer nicht weiter definierten Zukunft hat Kenneth Marshall (Mark Ruffalo), ein größenwahnsinniger Oligarch, eine Raumfahrtmission startenn lassen, die den fernen Planeten Nilfheim kolonisieren soll. Mit hochtechnologischen DNA-Transfers werden Menschen geklont, um die Kolonisierung voranzutreiben. Der Mensch als Wegwerfprodukt, in einer Endlosschleife immer neu reproduzierbar.
In Snowpiercer oder Parasite brachte das allegorische Erzählen Bongs Thesen hervor, die die Klassenanalyse deshalb so bestechend machten, weil nur durch das allegorische Erzählen die Verhältnisse so transparent offengelegt wurden. Die filmische Sogkraft ist da so stark, dass die Thesen von Marx und Engels gleichsam den Film illustrieren. Der Wunsch nach einer freiheitlichen Gegenbewegung, gegen die Übermacht eines unterdrückenden menschenverachtenden Systems, das dem Kapital verpflichtet ist, nicht den Menschen, wurde da mit sehr viel Spannung, Erkenntnisgewinn und Unterhaltungswert zusammengeführt – sehr konkrete Bilder und Szenen verwiesen auf sehr abstrakte Konzepte. Mickey 17 operiert eher zitathaft auf ganz umgekehrte Weise: Der Film illustriert thesenhaft Marx und Engels und ist mit seiner Zukunftsvision ganz darum bemüht, sich am Puls der Gegenwart aufzuhalten: Die grenzenlose Ausbeutung der Arbeiterschaft, über den Tod hinaus, die Kommentare zur rechten Klimapolitik, die gegenwärtige antifeministische Familienpolitik der Vereinigten Staaten aus dem republikanischen Lager – all dies evoziert der Film oberflächlich, ohne den Thesen nachdrücklich zur Aussagekraft zu verhelfen. Wo Bong Joon-Hos Kino sich publikumswirksamer gestaltet, wo die Unterhaltungsfaktoren über die sozialkritische Wirkung triumphieren, wird es anfechtbar, streitbar. In Mickey 17 klafft das beanspruchte allegorische Ziel mit den audiovisuellen Erzählmitteln auseinander.