Die kleine Zeitzeugin

Die Hitze ist ein Hit

d'Lëtzebuerger Land vom 28.06.2019

Mensch klebt irgendwo, in einer Ecke, in einem toten Winkel, auf der Sitzbank einer U-Bahn, auf einem Parkplatz vor einem Einkaufszentrum, auf dem es glüht wie in einer verbotenen Zone, einer verstrahlten, die man nur auf eigenes Risiko betritt, vielleicht wird man weggestrahlt. Ein No-Go-Ort, Mensch wird verschmort, was wird von ihm bleiben, eine in den Asphalt eingebrannte Hiroshima-Hieroglyphe?

Wenn er es bis ins Einkaufszentrum geschafft hat, kann er aufatmen, unter einer täuschend unechten Palme ausatmen, er könnte auch in Museen Unterschlupf finden oder in Kirchen. So lauten die Tipps derzeit. Und bloß nicht die beste vierbeinige Freundin zurücklassen im Blechgehäuse, auf das etwas, was man einst euphemistisch Sonne nannte, nieder knallt. Von den kleinen zweibeinigen Begleiterscheinungen, auch Kinder genannt, ist nicht die Rede.

Mensch klebt in einem toten Winkel, es gibt nichts mehr zu tun, nichts mehr zu sagen. Nur noch ein Schluck Wasser. Sonst nichts. Das ist alles. Alles ist reduziert, konzentriert, alles ist Gott alias Tod. Mensch wird bleich wie ein Südländer, der Himmel ist knochenbleich. Mensch klebt auf der Terrasse seines Gartens wie eine sterbende Fliege, wie ein aussterbender Mensch.

Aber das ist natürlich übertrieben, so schnell stirbt Mensch nicht aus. Ihm fällt ja immer was Neues ein. Neue Autos, neue Politik, er wählt jetzt Grün. Er fliegt nicht mehr exzessiv, aber er fliegt auch nicht nicht mehr – das wäre auch exzessiv, und wer wäre dann wieder die Leidtragende?

Sicher die kleine Frau, nämlich die, die gerade in einer kleinen Wohnung nach Luft schnappt, ihre Kinder schreien, und vor dem geöffneten Fenster werden nächtliche Straßenarbeiten durchgeführt, den Arbeitern rinnt es aus allen Poren.

Mensch klebt irgendwo, in irgendeiner Stadt, die plötzlich zu einem Hitzepol mutiert, zu Hitzepolis, es ist mal die, mal die, ganz überraschende sind darunter. Newcomer_innen. In denen die Menschen überrascht werden, wie geht Hitze? Sie haben das nicht über Generationen geübt, gerade wuchsen hier Apfelbäume und Schweinebraten. Nachts rennen die Insass_innen kopflos durch die Straßen, was machen sie nur mit dem Rest?

Sie hecheln und fächeln sich etwas zu, was man aus Gewohnheit Luft nennt. Manchmal machen sie absonderliche Sachen, die nicht direkt nachvollziehbar sind. Sie berühren einander unsittlich, die Fäuste fliegen, der eine oder die andere bleibt liegen. Es ist zu heiß zum Schlafen, es ist zu heiß zum Saufen und für Sex, nur Allerverknallteste stürzen sich in das Schweißbad. Die andern liegen abgeknallt herum. Einige fahren aus der Haut.

Die Gewässer kippen, die Menschen auch – um. Besonders wenn sie zu viele kippen. Sie genieren sich für immer weniger, alles ist, was es ist, die Pilzkulturen, die Pickelpizzas, Haare die aus Höhlen lugen. Alle sind, wie sie sind. Menschen. Die Glutwellen lecken an den Autobahnen, schwappen über die versteinerten Vorgärten, über die versiegelten Einkaufsflächen. Die Hitze steht in den Zimmern herum.

Die Hitze ist ein Hit, sie erschlägt uns. Zumindest die ältesten und die schwächsten unter uns. Radiodoktor_innen ermahnen die Menschen, zu trinken. Manche binden sich Armbänder um, die das besser wissen als wir Menschen.

Auf allen Kanälen fragen sie sich, was sie sich schon seit Jahren fragen, aber jetzt doch dringlich. Ernst jetzt. Ernst jetzt das. Es scheint schon ziemlich ernst zu sein. Mit Klima und Katastrophe, oder doch nur Wandel, kann ja mal vorkommen, und schließlich, alles wandelt sich. Wo das Normale ja bekanntlich aus dem Rahmen fällt, ist das Anormale nicht geradezu ein Charakteristikum des Normalen? Nur selbst gemacht will das niemand haben. Einfach so klingt einfach besser, auch für die Enkel_innen. Weil es eben einfach so ist. Einfach so so ist. Mal so, mal so. Kleine Eiszeit zum Beispiel ..., cf ... Und dann, bitte guggeln, wurde das Fahrrad erfunden, es gibt also immer was Positives.

Michèle Thoma
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