Die Ameisenstraße nach Südosteuropa

Flüchtlingsdeal(er)

d'Lëtzebuerger Land du 10.02.2017

Wo sind die Bilder geblieben? Diese Bilder, vor denen sich alle so fürchteten. Nie wieder solche Bilder!, riefen berufene europäische Außenminister aus. Durch das europäische Bilderbuch mit seinen Kathedralen und Banken und Hochglanzautobahnen, mit seinen Museen und blonden Weizenfeldern trampelten Horden und Herden, sie kamen aus Südosten. Ein Treck biblischer Gestalten mit dem Koran im Kopf. Hager, zerlumpt, in Flipflops, manche wiederum verdächtig gestylt. Volle Boote gingen an Land. Sie überwanden Meere und Geröll und Gestrüpp, sie kletterten über Zäune, robbten durch den Schlamm. Sie kamen in Fluten, Wellen, ein endloses Hereinsickern, sie brachen wie ein Sturm über das Land, sie standen vor den Toren und rüttelten daran. Sie begehrten Einlass. Mutti!, flehten sie.

Die Fernsehzuschauerinnen gähnen vor der Flüchtlingsfortsetzungsserie zur Prime Time. Schon stehen die Bilderbuchgestalten an ihrer Supermarktkasse, kaufen Chips und Cola. Sitzen in den Wartesälen von Ämtern und Krankenhäusern, ihre Kinder in der Schule neben den Kindern, die schon immer da waren, oder wenigstens ein Weilchen, und die wissen, wie man einheimisch flucht. Dann fahren Lastwagen Menschen platt, ein Teenager, aufgenommen in einer netten Familie, steckt ein Messer in Menschen, die in einem Zug durch eine Bilderbuchlandschaft fahren.

Sind wir zu gut gewesen zu diesen Wesen? Wahrscheinlich verdienen die das gar nicht. Sie kriegen hier Geld, den höchsten westlichen Wert. Aber bis die alles hier mitkriegen, das mit den Frauen und mit Gott, den man sich aussuchen kann, wenn man Lust auf ihn hat, das kann dauern.

Wenn die auf einer Pritsche in einer Notaufnahme aufwachen, haben die womöglich gar nicht gecheckt, dass Mann hier Frauen nicht an die Pussy greift, theoretisch. Und wer sich auf der Straße hinschmeißt, weil er Gott so sehr fürchtet, kriegt ein Medikament. Es kann Generationen dauern, geben Experten zu bedenken, bis sie so sind wie wir. Ein großes Denken beginnt. Oder wir sind wie sie, gibt ein anderer Experte zu bedenken.

Weihnachten, Neujahr, die eiserne Zeit zwischen den Zeiten. Die mörderischste Zeit auf dem Mittelmeer, klingt es in den Nachrichten an, nach allem, vor dem Wetter. Aber kein europäischer Spitzenpolitiker reist an eine Küste, um betroffen vor Särgen zu stehen. Und wer will Flüchtlingen an der serbischen Grenze zuschauen, wie sie sich bei minus 20 Grad vor rostigen Feuerkesseln in provisorischen Camps drängen, wenn Botox-Boys in einem Dschungelcamp Würmer speisen?

Die Ameisenstraße über Südosteuropa ist mit Hindernissen und Hürden übersät, mit Stacheldrähten, Grenzposten, Mauern, die nur die Jüngsten, Männlichsten, Fittesten überwinden. In Ungarn sitzt der böse Orban, der das Magyarentum rein halten will. Jung-Ungarn wird eine Crash-Ausbildung verpasst, die sie ertüchtigt, an der Grenze auf die Jagd zu gehen. Grenzjäger heißen sie. Keine Manieren, die EU ist indigniert, Ungarn raus, droht unser Außenminister. Mutti Merkel muss die Flüchtlingswogen, die ihr bis an den Hals stehen, glätten. Wer will noch eine Willkommenskultur? Statt einer Abschieds- beziehungsweise Abschiebekultur? Hauptsache Kultur, Bundesausreisezentrum klingt doch voll okay, Rückkehr-Anreize regelrecht verlockend. Mutter Merkel geht devote Despoten-Deals ein, spricht im osmanischen Reich vor. Wie viel ist ein Böhmermännchen wert? Wie viele startbereite Fremdkörper im Tausch gegen ihn?

Kurz noch ein nostalgisches Gedenken an den, der einst vom charmant Durchgeknallten zum dämonischen Diktator avancierte? Gaddafi, warum musstest du auch verenden wie eine Ratte, abgeknallt in einem Abflussrohr? Jetzt muss Europa mit deinen Nachfolgern dealen, wer sind die eigentlich?

Abfangzentren, Aufnahmelager, Inseln: Dem österreichischen Außenminister, dem begnadeten Jungspund, fallen allerhand pragmatische Lösungen ein. Austria Australia! So vernünftig und sachlich, gar nicht wie die rechten Hetzer_innen.

In Luxemburg wird die Abschiebehaft für Asylwerber_innen auf sieben Tage verlängert. Und Stein-Fort hat ein Herz für Fledermäuse. Es ist eine ganze Kolonie.

Michèle Thoma
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