CSV

Strohmänner

d'Lëtzebuerger Land vom 03.10.2014

Peinlich ist es schon, was die CSV-Fraktion am Dienstag freudig mitteilen konnte: Dass der designierte Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, am 1. Oktober seine Funktion als Fraktionsvorsitzender seiner Partei aufgibt und Claude Wiseler sein Nachfolger wird. Denn Wiseler musste eine ganze ordentliche Kammersession lang als Amtsinhaber mit dem Phantasietitel des beigeordneten Präsidenten die Fraktion leiten, damit der Titelinhaber sich zuerst um einen europäischen Posten bewerben, dann seinen Europawahlkampf führen und schließlich seine Kommission zusammenstellen konnte. Das war schon toll, wie der ehemalige Pre­mierminister das schließlich doch noch schaffte. Aber musste er dafür bis zum Schluss die Arbeit seiner Fraktion sowie der Präsidentenkommission der Kammer behindern und das Gesetz über den Geheimdienstkontrollausschuss ändern lassen? Musste er dafür die an übersichtlichen Verhältnissen interessierten Mitglieder und Wähler irritieren und Claude Wiseler einige Nummern kleiner aussehen lassen?

Peinlich ist auch, dass die Fraktion am Dienstag Jean-Claude Juncker mit der Feststellung zitiert, der Vorsitz der CSV-Fraktion sei für ihn „eine große Erfahrung“ gewesen. Denn in den Anwesenheitslisten des Parlaments war ein Jahr lang hinter seinem Namen meist das Kästchen „absence motivée“ angekreuzt. Seine einzigen Erfahrungen als Abgeordneter in seinem ganzen Politikerleben dürften also eher kurz und angesichts seiner häufigen Abwesenheit auch nicht so großartig gewesen sein, wie er behauptete. Zudem vermittelten sie nach außen vor allem den Eindruck, dass die CSV, Jean-Claude Juncker und, nur leicht diskreter, auch Luc Frieden das Kammerplenum nicht vorrangig für das Forum halten, wo mehr oder weniger demokratisch Regeln für das Zusammenleben in der Gesellschaft ausgehandelt werden. Sondern eher für einen geheizten Wartesaal, wo mit der Vorbereitung ihrer weiteren beruflichen Laufbahn beschäftigte Berufspolitiker als Gegenleistung für ihre Verdienste um die Nation ein Wartegehalt beziehen.

Peinlich ist schließlich, dass die CSV-Fraktion gleichzeitig ankündigte, dass Jean-Claude Juncker am 1. November, noch einen Monat nach seinem Rücktritt als Frak­tionspräsident, sein Abgeordnetenmandat aufgibt, um nach einem Votum des Europaparlaments das Amt des Kommissionspräsidenten in Brüssel zu übernehmen. Schließlich hätte man erwarten können, dass der Abgeordnete Juncker sein nationales Mandat im Frühjahr niederlegen würde, als er Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei bei den Europawahlen wurde. Oder spätestens im Sommer, als die Kammersession zu Ende ging und er designierter Kommissionspräsident wurde. Dass er dagegen bis zur tatsächlich letzten Stunde sein Deputiertenmandat behalten wollte, erweckt den Eindruck, dass ihm mangels Unterstützung aus Brüssel auch beim Arbeitsplatzwechsel die Arbeitsplatzsicherheit über alles ging und er selbst während der dreimonatigen parlamentarischen Sommerpause nicht auf die Diäten, Sozialversicherung, Aufwandsentschädigungen, Zulagen für Fraktionspräsidenten und sein Fraktionsbüro verzichten konnte.

So stellte sich die CSV, die all diese Kunstgriffe für ihren ehemaligen Spitzenmann organisieren musste, um endlich ein Blatt in ihrer Parteigeschichte zu wenden, als ein Haufen Krämerseelen dar, was sie möglicherweise ist. Und sie leistete sich politisch ein verlorenes Jahr, das an die langen Monate erinnerte, als Premier Jacques Santer auf den Koffern saß, um Kommissionspräsident zu werden, oder als Oppositionssprecher Henri Grethen darauf wartete, endlich zum Europäischen Rechnungshof gehen zu können. Zumindest profitierte die ebenfalls noch unsichere neue Regierung von dem langen Provisorium der Christlichsozialen.

Romain Hilgert
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