Genuss made in Luxembourg

Excelspaschtéit

d'Lëtzebuerger Land du 16.12.2016

Es heißt, das Kaufhaus des Westens in Berlin habe die größte Feinschmeckerabteilung. Weltweit. Dazu gehört eigentlich ein Ausrufezeichen. „Uneigentlich“ mag man dies kaum glauben, vor allem ob der Ernährungsvorlieben der Currywurst-Metropole-Bewohner. Doch in der obersten Etage des „KaDeWe“ gebe es alle Genüsse dieser Welt. Sagt man. Schmeckt man. Steak von fernasiatischen Rindern, Fühler der Grasmücke oder wohlriechendes Silphion aus Afrika. Am besten man probiert und diniert direkt an Ort und Stelle. Im KaDeWe. Das hat Tradition. So trifft sich am späten Nachmittag das alte Westberlin im Dachgeschoss des Kaufhauses, wo man sich stets und ständig an die guten, alten Zeiten erinnern möchte und gegenseitig versichert, dass nur dort sich ein „Früher war alles knuspriger“-Geschmack mit begleitendem Gefühl einstellt. Hin und wieder gibt es dazu auch einen Happen Luxemburg, ein Bissen Geschmack von Wein, Wald und Walzwerk. Oder in einem Wort: Rieslingspaschtéit.

„Dass es überhaupt eine luxemburgische Küche gibt“, schreibt die Berliner Tageszeitung Morgenpost, „mag erstaunen“. Sucht man nach ihren Grundfesten, dann steht genau dieses Gebäck für luxemburgische Kulinarik wie kein anderes. In der ganzen Lukulluswelt. Zugegeben: Es gibt noch Kniddeln oder Feierstengszalot. Aber möchte man ganz Luxemburg in einem Biss, dann gibt es nur die Weinpastete. Das KaDeWe lässt sie von Luc Wolff zubereiten, Inhaber und Koch im De Maufel, dem luxemburgischen Restaurant in Berlin. Und ja, das Rezept wird gehütet wie ein Augapfel oder ein diamantbesetzter Suppenlöffel. „Es hat lange gedauert und wir haben viel ausprobiert, verfeinert und verbessert“, erzählt Wolff die Geschichte der Pastetengenese, „bis wir unsere Rieslingspaschtéit perfekt hatten.“ Acht Rezepte aus alten Sammlungen habe er gehabt, keines sei vollständig gewesen. „Die gute Hausfrau wusste, was noch fehlt und brauchte das nicht aufzuschreiben, weil es ihre persönliche Note und auch ihr Küchengeheimnis war.“ So habe er all diese Zubereitungshinweise in einer Excelliste zusammengetragen, verglichen und ausgewertet, um schließlich ein Grundrezept zu bekommen, das verfeinert und verbessert wurde. Zwei Jahre wurde in Wolffs Küche probiert, probiert und nochmals probiert, bis er mit seiner Rieslingspaschtéit zufrieden war.

Es gibt zwei Schulen in der Zubereitung der Pastete: diejenige, die dem Fleischwolf huldigt, und eben jene, die das Fleisch in mühevoller, kontemplativer sowie messerscharfer Art und Weise putzt, säubert und zerkleinert. Wer das Fleisch faschiert ist schneller fertig, wer hingegen das Messer wetzt, hat mehr ursprünglichen Geschmack. Selbstredend, dass Luc Wolff das Fleisch für seine Pastete kleinschneidet und nicht durch den Fleischwolf dreht. Doch es liegt nicht am Fleisch, ob vom Schwein oder Rind – ausschließlich oder gemischt: Der besondere Gout kommt eben auch vom Riesling. Denn der goldene Tropfen ist nicht nur Namensgeber, sondern auch wesentlicher Bestandteil. Damit wird auch das On-dit Lügen gestraft, dass in der Paschtéit gar kein Riesling enthalten sei. „Wir marinieren das Fleisch im Riesling zum einen, zum anderen kommt auch ein kräftiger Schluck davon ins Gelee“, fasst Wolff zusammen. Wie viel, wie lange – all das bleibt Geheimnis des Hauses.

Der luxemburgische Koch und Künstler nimmt gutes Fleisch. Getreu der alten Küchenweisheit, dass eine gute Zutat ein gutes Essen ergibt. Das ist das Pflichtprogramm, doch dann folgt die Kür. Diese zeigt sich in der Zusammensetzung der Pastete. Das Verhältnis von Fleisch und Gelee – oder Aspik – muss stimmen. Eine Rieslingspaschtéit ist kein Wackelpudding. Aber auch kein Sandkuchen: Der Teig darf nicht zu trocken sein, nicht zu mehlig, aber auch nicht nass oder vollgesogen von der Füllung oder eben dem Gelee. Das Fleisch muss Biss behalten und sollte nicht herausfallen nach dem ersten Biss. Und wo Fleisch ist, da muss auch Gelee sein. Das ist keine Entweder-oder-Entscheidung, sondern die Kunst einer guten Pastete. Luc Wolff beherrscht sie. Seine Teigtaschen sind perfekt geformt, gleich groß. „Dazu haben wir uns eine Form anfertigen lassen, in der wir die Pasteten herstellen“, gesteht Wolff. Damit eine Pastete aussieht wie die andere. Gerade auch im KaDeWe. Überhaupt sei die Rieslingspaschtéit das Erkennungszeichen einer guten Bäckerei, eines guten Hauses, sagt Wolff. „Ist sie gut gemacht, sind auch die anderen Produkte von ordentlicher Qualität.“

Schwer tut sich Luc Wolff jedoch ein wenig mit dem Namen „Rieslingspaschtéit“. Zu sperrig, findet er und zu umständlich selbst in luxemburgischer Sprache. Das KaDeWe bestellt Wolffs Pastete einfach, kurz und knackig als „Maufel“. So kenne man sie, so schätze man sie. In Berlin. Wolff erzählt dazu gerne die Anekdote eines Berliner Ehepaars, das ins Großherzogtum aufbrach, um Land, Leute und Küche jenseits der Mosel zu erkunden, jedoch in keinem Geschäft, in keinem Restaurant eben jene typische luxemburgische Spezialität „Maufel“ probieren konnte, die doch in Berlin so gut schmecken.

Doch eine Rieslingspaschtéit kommt niemals alleine: Meist oder unbedingt mit einem Glas Crémant. Aber nicht irgendeinem Crémant, sondern einem besonderen, der die gleiche Sorgfalt, Liebe zum Genuss und Freude am Besonderen verkörpert, wie die Maufel-Rieslingspasteten. „Ich empfehle dazu den Crémant von Kellermeister Arno Bauer.“ Und es sei endlich Zeit und Anlass genug, auch einmal den Kellermeister zu nennen und zu loben, der – wie der Küchenmeister – für den besonderen Genuss sorgt.

Geschmack liegt immer auf dem Gaumen des Genießers. Und über dem Gipfel des Genusses kreist der Unvogel der Vergänglichkeit. Der dann herniederstürzt, wenn der letzte Bissen aufgegessen und nur noch zarte, kleine Krümel zeugen von den Gaumenfreuden. Dann bleibt die Erinnerung. An die Küche der Mutter. An den Herd der Großmutter. An all die Ereignisse und Erlebnisse, derer sich ein Gourmet vergegenwärtigt. Auch bei einem einfachen, beinahe simplen Gericht wie der Rieslingspaschtéit. Einem Stück Kindheit, einem Stück Heimat.

Martin Theobald
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