Zammit Lupi: "Isle Landers"; Chiara Debize: "La jungle de Calais"

Point of view

Zammit Lupi
d'Lëtzebuerger Land du 10.02.2017

Dramatische Aufnahmen afrikanischer Bootsflüchtlinge einerseits, menschenleere statische Fotografien des Dschungels von Calais andererseits – die Darstellung dieser beiden Ausprägungen der Flüchtlingskrise könnte in den aktuellen Ausstellungen Isle Landers und La Jungle de Calais in der Abtei Neumünster kaum unterschiedlicher ausfallen.

Der preisgekrönte maltesische Fotograf Darrin Zammit Lupi stellt in Isle Landers im Kreuzgang der Abtei die Situation der afrikanischen Bootsflüchtlinge im Mittelmeer heraus. Gezeigt wird eine Auswahl großformatiger Bilder des Projekts, dem Zammit Lupi sich über zehn Jahre widmete. Menschen sind in seinen Bildern das Hauptmotiv. Die Aufnahmen sind von hoher Kunstfertigkeit und atmosphärischer Dichte: ein palästinensisch-syrisches Kind, knapp dem Ertrinken entkommen, das verloren durch ein Busfenster blickt; ein kranker Sudanese, der in der Dunkelheit liegend an die Decke starrt. Neben dem Leben in den Auffanglagern auf Malta werden auch Rettungsaktionen gezeigt, etwa die eines Somaliers, dem sich mehrere rettende Hände der maltesischen Streitkräfte entgegenstrecken. Auch von den menschenleeren Bildern geht eine starke Wirkung aus: die Unterseite eines gekenterten Bootes, die wie ein Walrücken aus den Wellen ragt, entfaltet eine starke Symbolik.

Die Dramatik des Projekts zeigt sich am deutlichsten in einem Video, das neben point-of-view-Aufnahmen von Rettungsaktionen eine Slideshow präsentiert. Untermalt von melancholischen Klavierklängen sieht man Leichensäcke und gekenterte Boote, weinende Kinder und erschöpfte Erwachsene, die sich die Hände vor das Gesicht halten.

Eine völlig andere Herangehensweise hat die junge französische Kinematografie-Studentin Chiara Debize gewählt, die in La Jungle de Calais einen analytischen Blick auf die künstlerischen und kulturellen Einrichtungen des Lagers wirft. In der Kapelle der Abtei Neumünster sind neben dem Bild eines Weihnachtsbaums aus Getränkedosen zwei Fotografien einer augenscheinlich christlichen Kirche zu sehen. Die Bildbeschreibung wartet mit dem überraschenden Hinweis auf, dass offenbar auch Leute muslimischen Glaubens dort beteten. Auch werden Ansichten von Läden und Restaurants gezeigt, die in improvisierten Hütten untergebracht sind.

Obschon der berüchtigte „Dschungel von Calais“ nicht arm an dramatischen Bildmotiven gewesen ist, wollte Debize ihren Blick explizit nicht auf diese reduzieren. Statt mit der Spiegelreflexkamera zu fotografieren, so die Künstlerin in der Ausstellungsbeschreibung, erschien es ihr angemessener „nicht professionelle“, „weniger gekünstelte“ Bilder mit dem Handy zu machen, um „das Menschliche“ des Dschungels zu dokumentieren. Auf diese Weise bricht sie einerseits die Erwartungen des Betrachters, andererseits passen die Fotografien in ihrer scheinbar improvisierten Bildkomposition zu den zusammengestückelten Räumlichkeiten, die sie abbilden.

Während Debize also mit mangelnder Kunstfertigkeit kokettiert, sind Zammit Lupis Bilder von einem Willen zur Ästhetisierung geprägt. Seine Aufnahmen sind durch dynamische Blickwinkel und interessante Lichtsituationen von einer stilistisch-technischen Exzellenz und Schönheit, die in Anbetracht der Thematik fast verstört. Ein solcher Kontrast findet sich auch innerhalb der Motive, wenn etwa anlandende Flüchtlinge mit freudig badenden Maltesern im Vordergrund abgebildet werden.

Es ist wenig Alltag zu sehen, stattdessen werden die Menschen in ihrem Leid dargestellt. Dieser empathische Blick wird der Situation zwar durchaus gerecht, liefert jedoch wenig Erkenntnisse abseits dessen, was ohnehin durch wöchentliche Schlagzeilen zu trauriger Normalität geworden ist. Zudem bleibt trotz vieler Einzelporträts wenig Raum für Individualität; es entsteht der Eindruck einer stereotypen Objektivierung unter dem mitleidigen Blick der Betrachter.

Während die Bildbeschreibung bei Debize unerwartete und hintergründige Geschichten wie die ökumenische Nutzung der Kirche zutage fördert, unterstreicht sie bei Zammit Lupi die Dramatik, wenn etwa die Fotografie eines im Nato-Draht hängenden Fußballs mit „No more football“ betitelt ist oder darauf hingewiesen wird, welch „horrible stories“ die Unzahl angelandeter Boote erzählen könnte. Letztlich laden Debizes Bilder in ihrer Unaufgeregtheit vielleicht eher zu einer Reflektion über die Konsequenzen ein, die sich aus der von Zammit Lupi gezeigten Notsituation ergeben, deren Darstellung zwar technisch brillant ausfällt, die letztlich aber in ihrer Dramatik steckenbleibt.

Darrin Zammit Lupi: Isle Landers. Chiara Debize: La Jungle de Calais. Abtei Neumünster. Bis 26. Februar 2017. Täglich 11 bis 18 Uhr; www.neimenster.lu.

Boris Loder
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