Schoolleaks-Affäre

Empörung überall

d'Lëtzebuerger Land vom 17.02.2017

Die Reaktion folgte prompt und vernehmlich. Es stehe einem Mitglied der Exekutive nicht zu, vorbehaltlos Entscheidungen der Justiz zu kritisieren, empörte sich der Groupement des magistrats luxembourgeois in einem offenen Brief. Hintergrund sind Stellungnahmen von Bildungsminister Claude Meisch sowie Familienministerin Corinne Cahen (beide DP) auf den sozialen Netzwerken Twitter und Facebook, in denen diese sich skeptisch zum Freispruch der wegen der Weitergabe von vertraulichen Prüfungsaufgaben angeklagten vier Lehrer geäußert hatten.

Die Standpauke der Richter kann man in Zeiten eines allgemeinen Trends hochrangiger Regierungsverantwortlicher in Europa (Polen, Türkei, Ungarn) und Übersee (USA, Philippinen), rechtsstaatliche Prinzipien öffentlich anzugreifen und aktiv zu unterminieren, als eine mahnende Erinnerung an einen tragenden Pfeiler verstehen, der Demokratien auszeichnet: die Gewaltentrennung.

Man kann die Richterreaktion aber auch kritisch sehen. Politisch waren die Einwürfe beider Minister alles andere als geschickt, zumal das Bildungsministerium Kläger in der Schoolleaks-Affäre ist (und es offenbar selbst mit der Geheimhaltung nicht so genau nahm, (d‘Land, 27.03.2015). Ihnen jedoch zu unterstellen, sie würden das Prinzip der Gewaltentrennung untergraben, ginge zu weit. Zum einen ist Kritik an Gerichtsentscheidungen Ministern nicht verboten – sofern sie nicht geäußert wird, um Druck auszuüben, sich einem Urteil zu widersetzen oder die Justiz allgemein zu verunglimpfen, wie Verfassungsrechtler Luc Heuschling von der Uni Luxemburg klarstellte. Vor kurzem attackierte der deutsche Innenminister Thomas de Mazière das Bundesverfassungsgericht scharf. Es sei nicht Aufgabe der Richter, „dem Gesetzgeber ständig in den Arm zu fallen“. Sein Angriff, ein Konter auf kritische Entscheidungen zu seinen extensiven Sicherheitsgesetzen, war viel grundsätzlicher und trug eine politische Botschaft – gleichwohl blieb ein Aufschrei (auch von Richtern) aus.

Zum anderen lässt sich das Urteil der Strafkammer des Luxemburger Bezirksgerichts respektive seine Implikationen hinterfragen: Meisch hatte in seinem Tweet nach den Konsequenzen für Schule und Verwaltung gefragt. Zu Recht. Denn wenn es sich bei Prüfungsunterlagen nicht um Geheimnisse nach Artikel 458 des Strafgesetzbuchs handelt, dann wirft das die Frage auf, wie „dicht“ das Amtsgeheimnis im Zweifelsfall eigentlich hält. Die Richter der ersten Instanz haben in ihrem Urteil eine Regelungslücke ausgemacht. Auf der Grundlage des hiesigen Strafrechts, so ihr Fazit, sei der Leak nicht zu ahnden, nach dem Disziplinarrecht aber sehr wohl. In den Posts der Minister klingt es dagegen, als gingen die Lehrer völlig straffrei aus.

Die harsche Zurechtweisung seitens der Richtervereinigung hat, neben der berechtigten Sorge um populistische Richterschelte, aber vielleicht auch etwas damit zu tun, dass der Justiz ein souveräner Umgang mit Kritik von außen nicht immer leicht fällt. Unvergessen der Vorschlag aus den Reihen des Groupement von 2008, Medienberichte, die sich „missbräuchlich“ mit der Arbeit der Justiz befassten, als „atteintes à l’autorité des décisions de justice“ juristisch verfolgen zu lassen. Der umstrittene Vorschlag wurde später fallen gelassen.

Als Justizminister Félix Braz (Déi Gréng) auf eine parlamentarische Anfrage der CSV vor zwei Jahren, ob die Gerichte hierzulande Einbrüche zu lasch verfolge, die Justiz vor dem Vorwurf in Schutz nahm, sie setze Einbrecher zu schnell wieder auf freien Fuß, ihre Arbeit also wohlwollend würdigte, sprach niemand von Einmischung. Was, wenn sich Minister Braz kritisch geäußert hätte?

Ines Kurschat
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