Dokumente aus dem Ersten Weltkrieg

Der Kampf gegen das „Dirnenunwesen“

d'Lëtzebuerger Land du 03.10.2014

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Bereits drei Wochen nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs warnte das Luxemburger Wort am 19. August 1914 vor dem „schändliche[n] Treiben des Dirnentums“, das sich „in diesen Tagen … ungestraft breitmache“. Tatsächlich war die militärische Mobilmachung fast überall von systematischen Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen begleitet, um die kriegsbegleitende Prostitution in den Griff zu kriegen. Für die Armeeführungen dürften dabei weniger moralische Bedenken eine Rolle gespielt haben als vielmehr die Angst vor einer Schwächung der Kampfkraft. In vielen kriegführenden Ländern wurde die eheliche Treue der daheim gebliebenen Frauen penibel überwacht – als Motivationsmaßnahme. Vor allem jedoch sollte das wertvolle soldatische Menschenmaterial auf dem Weg zur Front vor zersetzenden Geschlechtskrankheiten geschützt werden.

Die Behörden in Luxemburg, wo die Prostitution anders als im Deutschen Reich vollständig verboten war, beteiligten sich an diesem Unternehmen, wenn auch bisweilen erst auf Druck der Deutschen hin. In einem Brief vom 22. Januar 1915 beschwerte sich der Befehlshaber der deutschen Truppen in Luxemburg, Oberst Tessmar, dass die Luxemburger Regierung ihm noch keinen Bericht über das „Dirnen-Unwesen“ im Land vorgelegt habe. Ein solcher Bericht sei bereits mehrfach vom stellvertretenden Generalkommando in Koblenz angefragt worden. Am 4. Februar 1915 übersandte die Regierung schließlich den verlangten Bericht. Der Verfasser, Staatsanwalt Berg, bemüht sich darin, den Eindruck zu widerlegen, die Luxemburger Behörden seien zu lax. Seit September 1914 seien immerhin 200 der Prostitution verdächtige Frauen ausgewiesen und weitere 25 wegen Geschlechtskrankheiten in „Schutzhaft“ genommen worden. Die hauptstädtische Polizei sei um zwölf Mann aufgestockt worden, um die Prostitution in öffentlichen Grünanlagen zu bekämpfen. Außerdem habe man der deutschen Militärbehörde eine Liste von über 40 verdächtigen „Animierkneipen“ zukommen lassen. Freilich vergisst der Staatsanwalt nicht, darauf hinzuweisen, dass die große Mehrheit der in Luxemburg tätigen Prostituierten selbst Deutsche seien. Zudem schlägt er dem deutschen Militär eine Reihe Maßnahmen vor, die man auch als implizite Kritik am Benehmen der deutschen Truppen deuten kann. Beispielsweise würden deutsche Militärangehörige regelmäßig „überzechen“, da weder die Polizei noch die Gastwirte sich trauten, sie bei Anbruch der Sperrstunde zum Verlassen der Gaststätten zu drängen. Am Ende einer durchzechten Nacht, so die stillschweigende Unterstellung, würden die Soldaten in den Armen der Dirnen landen.

Die Formulierungen in den Quellen geben Aufschluss über das herrschende gesellschaftliche Bild von Prostitution. In einem Bericht des hauptstädtischen Polizeikommissariats vom 6. September 1914 lesen wir beispielsweise von „Schankwirtschaften“, in denen „die Gäste in der gemeinsten Weise zur Unzucht … angeregt werden“. Bisweilen ging dabei die Fantasie mit den Polizisten durch: Die Kellnerinnen rührten den Besuchern dieser Gaststätten angeblich „Schlafpulver“ in ihren Champagner, so dass die „Bedauernswerten … bald die Herrschaft über sich selbst“ verloren hätten und sich „zu Handlungen verleiten“ ließen, die sie später selbstverständlich bitter bereuten. Das Luxemburger Wort stellte gar eine Analogie zwischen dem Tod im Schützengraben und der Verführung durch die Prostituierten her: „So mancher brave Soldat, der vor dem Auszug in den Krieg ernste Einkehr in sich gehalten hat, der von den Sorgen seiner Familie begleitet ist, fällt der Verführung zum Opfer und wird moralisch ruiniert, ehe ihn der physische Tod auf dem Schlachtfelde ereilt.“ Die Männer erscheinen durchweg als gutgläubige Opfer, die vor den heimtückischen Prostituierten geschützt werden müssen, von denen sie andernfalls finanziell ausgebeutet und mit schlimmen Krankheiten angesteckt werden. Gegenüber den Kellnerinnen aus Hollerich erschienen gestandene Männer, immerhin Soldaten auf dem Weg in einen mörderischen Krieg, plötzlich schwach und wehrlos. Tatsächlich hatten die Kunden der Prostituierten von der Polizei in der Regel nichts zu befürchten. Sie durften anonym bleiben, während die Frauen bereits aufgrund von bloßem Hörensagen ausgewiesen oder verhaftet wurden.

Es ist jedoch nicht so, dass die Prostitution erst mit Kriegsbeginn über das Land hereinbrach. Es bestehen zahlreiche Kontinuitäten zur Vorkriegszeit. Statt der Soldaten waren es zuvor die Arbeiter in Differdingen und Esch gewesen, die man vor den hinterlistigen Kellnerinnen schützen zu müssen meinte. Und auch in der Vorkriegszeit waren es die ausländischen Frauen, die im Zentrum der polizeilichen Maßnahmen wie der gesellschaftlichen Ängste standen. Die Verschärfung des Ausländerrechts, die die Abschiebung von der Prostitution verdächtigen Frauen erleichterte, stammte bereits von 1913.

Heike Maurer, Michel Dormal
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