LEITARTIKEL

Komplexe Effekte

d'Lëtzebuerger Land vom 12.11.2021

Während in Glasgow auf der COP26 noch um eine Abmachung gerungen wird, die jene des Pariser Klimagipfels bestärkt, wurden hierzulande diese Woche Forderungen nach einer Senkung der Preise für fossile Treib- und Brennstoffe lauter. Der Automobilclub ACL erklärte, die „individuelle Mobilität“ müsse „erschwinglich für alle“ bleiben. Deshalb müssten staatliche Hilfen für Personen her, die nicht auf ihr Benzin- oder Diesel-Auto verzichten können. Die ADR verlangte die Abschaffung der Anfang des Jahres eingeführten CO2-Steuer und dass auf Heizöl und auf Benzin lediglich der superreduzierte Mehrwertsteuersatz von drei Prozent erhoben werde. Der OGBL hatte schon vor vier Wochen gefordert, die für den 1. Januar geplante weitere Anhebung der CO2-Steuer aufzuschieben.

Gleichzeitig ringen die EU-Minister um die „Taxonomie“ der Energieerzeugung: Was ist „grün“ genug, um Investitionen aus Green Finances zu verdienen? Frankreich möchte, solange die neue deutsche Regierung unter Beteiligung der Grünen noch nicht im Amt ist, erreichen, dass Atomkraftwerke als „klimafreundlich“ anerkannt werden, und wird dabei aus Osteuropa unterstützt. Vom Luxemburger DP-Finanzminister Pierre Gramegna war am Mittwochmorgen im Radio 100,7 zu hören, er könne sich „hellgrüne und dunkelgrüne Investitionen vorstellen“. Luxemburg sei „kein Land, das lauter rote Linien hat“. Energieminister Claude Turmes (Grüne) hingegen wurde damit zitiert, setze Frankreich sich durch, sei das eine „immense Diskreditierung der ganzen Taxonomie“ und schwäche sie bei der Steuerung von Investitionen. Eine politische Kluft scheint also auch durch die Regierung zu verlaufen.

All das sind keine guten Nachrichten, wenn man bedenkt, dass laut einem Bericht des Umweltprogramms Unep der Vereinten Nationen die Treibhausgas-Reduktionsverpflichtungen, die die fast 200 Staaten vorab zum Glasgower Gipfel einreichten, zusammengenommen noch nicht mehr bringen als eine Senkung um 7,5 Prozent bis zum Jahr 2030. Der Weltklimarat IPCC hatte in seinem jüngsten Bericht im August vorgerechnet, dass 55 Prozent nötig wären, um die Erderwärmung möglichst sicher unter 1,5 Grad gegenüber der Zeit von Mitte des 19. Jahrhunderts zu halten. In Glasgow machte ein Bericht des Climate Action Tracker, eines Wissenschaftler-Netzwerks, die Runde: Ihm zufolge führen die Kurzfrist-Ziele der verschiedenen Staaten, falls nur sie erfüllt werden, bis Ende des Jahrhunderts zu 2,4 Grad Erderwärmung.

Aber gleichzeitig scheint es so zu sein, dass der Kapitalismus jetzt schon einen wirtschaftlichen Schock durch die Energie-Transition erlebt, die erst begonnen hat. Es herrscht Energieknappheit und die Preise sind gestiegen. Nicht nur der Nachfrage-Aufschwung nach den Corona-Lockdowns wirkt sich aus. Sondern auch die Begrenzungen bei der Nutzung fossiler Brennstoffe, die von Regierungen zum Klimaschutz verhängt wurden. Investitionen in fossile Technologien gehen ebenfalls zurück. Die Versorgung mit „grünen“ erneuerbaren Energien andererseits reicht offenbar noch nicht weit genug – jedenfalls nicht weit genug, um Wachstum zu ermöglichen. Also fährt zum Beispiel China Kohlekraftwerke wieder hoch, die stillgelegt worden waren, denn in mehreren Provinzen musste die Stromversorgung rationiert werden. Was unter anderem Zulieferer von Apple traf, die gezwungen waren, ihre Produktion zeitweilig einzustellen oder einzuschränken.

Die Energie-Transition wird nicht ruhig verlaufen, das machen die komplexen Auswirkungen klar. Die plötzliche Erdgasknappheit hat beispielsweise weltweit Auswirkungen auf die Düngemittelproduktion, was wiederum auf die Landwirtschaft durchschlägt und auf die Nahrungsmittelpreise. Dabei sollte Erdgas ja eigentlich am besten im Boden bleiben.

Selbst wenn Klimagipfeltreffen zu mehr führen als Absichtserklärungen – was in Glasgow nicht sicher ist –, bleibt immer die Frage, wie man Verpflichtungen umsetzt. Technologie allein wird es nicht richten, der Markt auch nicht, und die Möglichkeiten, mit CO2-Steuern komplexe Wirtschaftseffekte zu antizipieren, sind bregrenzt. Die Alternative könnte am Ende schlicht und einfach lauten: Wachstum oder Überleben.

Peter Feist
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