LEITARTIKEL

Zeichen an der Wand

d'Lëtzebuerger Land du 15.01.2021

Einen „Verbrecher“, einen „politischen Pyromanen, der vor Gericht gestellt gehört“, hatte Außenminister Jean Asselborn den abgewählten Noch-Präsidenten der USA genannt nach der Erstürmung des Capitols in Washington D.C. am Mittwoch vor einer Woche durch extremistische Trump-Anhänger – und damit vielen aus der Seele gesprochen. Es ist in der Diplomatie selten, dass öffentlich Tacheles geredet wird. Asselborn ist einer der wenigen, der aus seiner Abneigung gegen Autokraten in Europa so etwas wie ein Markenzeichen gemacht hat. Seine Breitseite gegen Donald Trump, die prompt seinerseits vom US-Amtskollegen Mike Pompeo mit einer Absage des für diese Woche geplanten Besuchs in Luxemburg quittiert wurde, ist glaubwürdig, auch wenn der LSAP-Minister ähnlich deutliche Worte bei Menschenrechtsverletzungen in China oder Russland vermissen lässt.

Asselborn hat die Empörung vieler Demokraten über das ungehinderte Treiben Trumps Ausdruck verliehen. Zu lange schon wurde der offen rassistische, verächtliche Ton des US-Präsidenten, seine dreisten Lügen, seine verbalen Attacken hingenommen, ohne dass ihm wirksame Grenzen gesetzt wurden. Das Laissez-faire hat dazu geführt, dass Trumps Anhänger sich bestärkt fühlten und schließlich gar den Sturm aufs Capitol wagten. Es zeigt sich: Ungebändigter Hass, populistische Zuspitzung und politische Hetze führen zu Gewalt.

Donald Trump ist allerdings nicht der erste Präsident, der die US-Gesellschaft in Freund und Feind spaltet. Er ist nur einer, der wie kein anderer seine Macht auf dieser Spaltung aufgebaut hat und sie kalkuliert vorantreibt. Die USA durchziehen tiefe Gräben: politisch-ideologische, aber auch sozio-ökonomische. Dazu trägt das faktische Zweiparteiensystem mit Demokraten auf der einen und Republikanern auf der anderen Seite bei. Die Grand Old Party der Republikaner wird mehrheitlich von weißen, männlichen ländlichen Schichten gewählt, die sich als Verlierer der Globalisierung und einer aufstrebenden schwarzen Mittelklasse sehen. Bei der Präsidentschaftswahl konnte Trump nicht nur in abgehängten Regionen punkten, sondern vor allem auch bei den Evangelikalen landen. Bei ihnen hat er mit den Besetzungen der Gerichte durch erzkonservative Richter/innen gepunktet.

Die Demokraten indes werden traditionell eher von der urbanen gut gebildeten, liberalen Mittelklasse gewählt, wenngleich diese Gruppe keinesfalls homogen ist. Der Vorwahlkampf, mit einem Showdown zwischen dem linkeren Bernie Sanders und dem gemäßigten Joe Biden, den Letzterer für sich entschied, hat gezeigt, dass sich die demokratische Wählerschaft gewandelt hat und sich vor allem junge Menschen, Afro-Amerikaner/innen und Klimaschützer/innen von der Partei nicht vertreten fühlen, sondern einen Gegenentwurf zur neoliberalen Ausrichtung wollen.

Dahinter stehen reale sozio-ökonomische Ungleichheiten, die von den Politiker/innen in Washington kaum angegangen wurden: Nie war die Schere zwischen Reich und Arm so groß, die Corona-Pandemie hat die Misere in der Gesundheitsversorgung schonungslos offengelegt, das Wahlsystem benachteiligt Schwarze und Arme. Der American Dream ist für immer mehr US-Bürger/innen in unerreichbare Weiten gerückt.

Die Polarisierung und die Lagermentalität, die in der Attacke auf das Capitol ihren (vorläufigen) Höhepunkt fanden, sind aber nicht zu verstehen, ohne die Rolle der Medien zu hinterfragen. Immer mehr US-Amerikaner/innen wenden sich ab von herkömmlichen Medien, schauen nur solche TV-Sender oder lesen Zeitungen, die ihre vorgefassten Meinungen und Sichtweisen bestätigen. Diese Filterblasen finden ihre Entsprechung in den sozialen Netzwerken: Wer von Facebook oder Twitter aufgrund gewaltverherrlichender Inhalte gesperrt wurde oder wem Fox News und CNN nicht extrem genug sind, weicht auf Parler oder Breitbart aus.

Wer genau hinschaut, wird zugeben müssen, dass Europa überhaupt keinen Grund hat zur Überheblichkeit: Auch hier nehmen soziale Ungleichheiten und Polarisierungen zu, fühlen sich immer mehr Menschen von den etablierten Parteien nicht vertreten, wenden sich ab von Qualitätsmedien, um in selbstgewählten Echokammern ihr Freund- und Feinddenken zu pflegen. Das ist das Öl im Getriebe populistischer Machtbestrebungen. Bis eine/r ein Streichholz wirft.

Ines Kurschat
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