Ein Herz für Busfahrer

Müssen Dürfen Müssen

d'Lëtzebuerger Land vom 10.10.2014

Ein Mensch steht inmitten einer schmucken Siedlung. Einer Siedlung, die ausschaut, als könne man aus den Kloschüsseln der Insassen gepflegt speisen, vielleicht mit Stäbchen. Der Mensch spricht ins Mikrofon des RTL-Journalisten, das Gespräch ist ihm ein bisschen peinlich, kein so tolles Thema. Er ist erwachsen, scheint nicht allzu gebrechlich, im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten. Wenn ihn nicht etwas plagen würde.

Es kommt nämlich vor, leider immer wieder, dass ein menschliches Bedürfnis ihn übermannt. Eines, das allerdings auch Tiere haben. Dann, er gibt es zu, muss er seinem Trieb freien Lauf lassen, er kann nicht anders. Zum Beispiel in einer schmucken Siedlung, hinter einem schmucken Busch, hinter dem jederzeit ein Buschbewohner hervor schießen könnte. Und dann Garelabox! Er ist sich der Risiken bewusst. Auch die Exekutive ist hinter ihm her, er weiß, dass er sich in der Illegalität befindet.

Der Mensch, der ein Busfahrer ist, steigt aus dem Bus, in dem er viele Stunden lang Arme, Alte, Ausländer_innen, auch Schulkinder zu ihren diversen Ein- oder Aussatzorten transportiert hat. Er ist an der Endstation angelangt, endlich, uff, sechs Minuten Pause.

Mit Luchsaugen forscht er die Umgebung aus. Warum trödeln diese Schülerinnen so ...? Endlich, sie biegen um die Ecke ... Die alte Dame, die sehr langsam, Gänsefüßchen um Gänsefüßchen, vor sich hin trippelt, wird es ihnen hoffentlich bald gleichtun. Hoffentlich, drei Minuten. Drei Minuten hat er, er tritt von einem Bein aufs andere, versucht sämtliche Schließmuskel zu hypnotisieren. Vielleicht, jetzt oder nie, könnte er ...? Der Thujenhain gegenüber: Wie verlockend, ein idealer Tatort. Er kann kaum noch an sich halten, er wird es tun, er wird es tun müssen, er kann nicht anders, vielleicht gibt es mildernde Umstände, bitte Großmutter, geh weiter ...! Sein Blick wird immer gehetzter, er muss alles im Auge haben, den Verkehr, der hier spärlich ist, aber bald wird sich einer aus einem fetten Auto hieven und im Schneckentempo fette Beute ausladen. Zwei schnatternde Frauen mit Kinderwagen werden auftauchen, vielleicht sogar ein Passagier. Hin und wieder fährt ja einer Bus, einer der nicht muss. Da tauchen ja auch schon zwei Jungs auf, oder halluziniert er schon?, Schweiß bricht aus, wieder nicht, wieder nichts.

Wieder kein Geschäft gemacht. Kein großes, nicht mal ein kleines.

Dass das Leben beschissen ist, haben die meisten Busfahrer_innen vermutlich schon vor langer Zeit mitgekriegt. Die Busfahrerin steigt wieder in die Galeere, der Frondienst geht weiter, die Flotte schiebt sich durch die verstopfte Stadt. Besser nichts trinken, auch wenn es heiß ist. Sie winkt den Kolleg_innen zu, die die Beine zusammen pressen. So wie sie.

Müssen dürfen. Ziemlich sicher ein Menschenrecht, mal die Charta lesen, was sagt der Papst? Aber es verbietet ja niemand das Müssen, werden die Spitzfindigen sagen. Es geht nur nicht. Warum, weiß keiner. Wegen der Infrastruktur. Die fehlt. Wegen der Logistik, Logistik ist immer gut. Vor allem natürlich wegen den anderen. Alle bedauern es, mal die, mal die, auch wirklich empathische Politiker. Die können ja auch nichts dafür! Es wachsen hier eben keine WCs. Es wird auch durchaus Beileid bekundet. Eine unangenehme Situation, wirklich, unhaltbar. Aber es ist eben alles kompliziert in einer Demokratie. Und dann ist wieder Weihnachten, und Fastnacht, und schon wieder Ostern und Sommerferien. Es hört ja nicht auf! Auch wenn es dringend ist: Rom wurde nicht an einem Tag erbaut, ein luxemburgisches Scheißhaus schon gar nicht.

Bis das durch alle Instanzen ist! Kann sich eine Laiin gar nicht vorstellen, die stellt sich alles so einfach vor. Der Laiin, die eine dankbare Busreisende ist, kommen zwar allerhand Aktionis-Muss-Ideen. Jede Menge Shitstürme. Occupy WC! Am liebsten aber würde sie die Zuständigen, die für diese Zustände nicht zuständig sind, in eine Bedürfnisanstalt einweisen lassen.

Aber es ist ja ein Runder Tisch geplant.

Michèle Thoma
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