Der Mobilitätsminister will das Taxiwesen komplett liberalisieren. Für zusätzliche Konkurrenz sollen Plattform-Fahrdienste sorgen. Gewerkschaften sind besorgt, dass der digitale Trend zulasten von Beschäftigten gehen wird

Bald ganz frei

Zehn Fahrten pro Tag sind okay für den Verdienst, fünf sind nicht genug
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 22.01.2021

Ob sich Uber wohl für Luxemburg interessiert? Eine E-Mail an die Europa-Zentrale des Unternehmens, die in den Niederlanden sitzt, ist nach zwei Tagen noch immer unbeantwortet. Mobilitätsminister François Bausch (Grüne) aber erzählt, schon „vor Jahren“ hätten Uber-Vertreter bei ihm vorgesprochen. Wieso auch nicht, denn in Nancy zum Beispiel lässt die Firma aus San Francisco fahren, in Straßburg auch. Der Termin bei François Bausch jedoch verlief anscheinend nicht so, wie seine Besucher sich vorstellten. „Ich sagte ihnen, wenn Sie alle Informationen über Ihre Fahrer liefern, über deren Sozialversicherung und Steuern, dann bekommen Sie eine Lizenz.“ Als die Uber-Leute entgegneten, ihre Fahrer seien selbstständig und würden lediglich die digitale Plattform der Firma nutzen, habe er erklärt, „so geht das nicht“. Die Plattform müsse in Luxemburg über eine Handelsermächtigung verfügen, die zuständigen Verwaltungen müssten die Daten der Fahrer erhalten. Damit sei das Gespräch zuende gegangen.

Doch so glasklar, wie man meinen könnte, sind die Regeln hierzulande offenbar nicht. Für die nötige Klarheit will der Mobilitätsminister erst mit dem Gesetzentwurf über die Reform der Taxireform sorgen, den der Regierungsrat vor zwei Wochen angenommen hat. „Reform der Reform“ ist nicht übertrieben: Nicht mal vier Jahre ist es her, dass eine ebenfalls große Taxireform am 1. März 2017 nach einem halben Jahr Übergangszeit voll in Kraft trat. Schon Bauschs CSV-Vorgänger Claude Wiseler hatte dazu eine erste Vorlage ausarbeiten lassen; Bausch ging in ein paar Punkten weiter als Wiseler. Nun will er nachlegen, das steht auch im Koalitionsvertrag. Doch dass er eine totale Liberalisierung des Taxiwesens eintreten will, scheint die Branche kalt erwischt zu haben. „Das hat uns völlig überrascht“, sagt Paulo José Leitao, der Präsident der Taxiföderation. „Zumal jetzt, in Corona-Zeiten.“ Um 90 Prozent seien im vergangenen Jahr die Umsätze gegenüber 2019 eingebrochen. „Wir sitzen im selben Boot wie der Tourismus und die Gastronomie. Gibt es keine Urlauber, keine Geschäftsreisenden und kein Nachtleben, wird weniger Taxi gefahren.“ Und nun wolle François Bausch schon zum 1. Januar 2022 den ganzen Sektor öffnen.

„Öffnen“ ist ein Ausdruck, der nach Erklärung verlangt. Bis 2016 war Luxemburg in 44 Taxizonen eingeteilt, für welche die Gemeinden Lizenzen vergaben. Bauschs Reform kürzte die Zahl der Zonen auf sechs (Claude Wiseler hatten 13 geboten) und ersetzte die Lizenzvergabe durch die Gemeinden durch eine staatliche. Außerdem gab die Reform von 2016 die Preise frei. Bis dahin waren sie „administriert“: Wie für Erdölprodukte und Medikamente wurden Maximalpreise festgelegt. Doch an die hielt sich niemand, obwohl Verstöße sogar als Straftaten zählten. Sie nachzuweisen und eine Taxifirma vor Gericht zu bringen, war sehr schwierig; die letzte großherzogliche Verordnung von 2004 über die Taxipreise galt als so schlecht geschrieben, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gar nicht erst aufnahm (d’Land, 31.1.2008).

So dass vielleicht schon 2009 die Marktkräfte in Luxemburg für jene Preisverhältnisse gesorgt hatten, die eine Studie der Schweizer Großbank UBS zwar als niedriger verglichen mit Zürich und Genf einschätzte, aber als „viel höher“ (um 20 bis 30 Prozent) gegenüber London, Paris und Frankfurt. Wohlgemerkt war der Vergleich einer zwischen Finanzplätzen. Dass Luxemburg-Stadt darin so schlecht abgeschnitten hatte und immer wieder „teuer“ genannt wurde, störte den nach den Gemeindewahlen 2011 zum député-maire der Hauptstadt aufgestiegenen Xavier Bettel so sehr, dass er schon nach wenigen Wochen im Amt die Taxiföderation zu überzeugen versuchte, innerhalb der Stadt die Kilometerpreise zu senken und ein Maximum von 20 Euro pro Fahrt einzuführen. Als beide Seiten sich über die konkrete Umsetzung nicht einig wurden, drohte Bettel im Frühjahr 2012, mehr Lizenzen auszugeben und so mehr Konkurrenz zu erzwingen (d’Land, 20.7.2012).

Wie die Dinge jetzt liegen, soll die Konkurrenz in der kleinen Finanzmetropole Luxemburg-Stadt demnächst maximal werden. Ab 2012 führte sie zunächst über die „Yellow Cabs“, in denen der Automobilclub ACL seinen Mitgliedern Taxifahrten an jeden Ort des Landes zu einem Pauschalpreis anbot – und dabei einen sechsstelligen Eurobetrag verlor. Hinzu kamen neue Möglichkeiten, Taxis per Internet zu ordern; so entstand Webtaxi, das die Voyages Emile Weber gründeten, nachdem sie Benelux Taxis aufgekauft hatten. Die Reform von 2016 steigerte die Konkurrenz in der Hauptstadt gezielt dadurch, dass von landesweit rund 500 zu vergebenden Taxilizenzen an die 300 für die Zone 1 gelten, in die Luxemburg-Stadt und Umgebung, inklusive Flughafen, fallen. Wie hoch die Preise dort im Moment sind, ist nicht zu erfahren. François Bausch bilanzierte im Oktober auf eine parlamentarische Anfrage hin, landesweit lägen sie bei 3,50 bis 3,80 Euro pro Kilometer. Vor der letzten Reform seien es 3,30 Euro gewesen (d’Land, 16.10.2020). Im RTL-Fernsehen vor zwei Wochen klang Bausch marktradikal: Die Preissenkung durch die letzte Reform sei ausgeblieben, also nehme man „einen neuen Anlauf“.

Taxiverbandspräsident Leitao ist überzeugt, dass das nicht funktionieren wird. „Eine Liberalisierung senkt die Preise nicht.“ Das sei in den Niederlanden so gewesen, in Schweden und in Finnland. Würden die sechs Zonen abgeschafft, würde die heutige Zone 1 von Taxis überrannt. Dort aber gebe es nicht zwangsläufig mehr Kundschaft – das sehe man an den langen Taxischlangen am Flughafen, außerhalb von Corona-Zeiten jedenfalls. „Finden Taxis nicht genug Kunden, erhöhen ihre Betreiber die Preise, um auf ihre Kosten zu kommen.“ So einfach sei das.

Außerdem würden dünn besiedelte Gegenden dann tendenziell aufgegeben. In Clerf zum Beispiel sei es schon jetzt schwierig, ein Taxi zu bekommen. Nicht selten müssten die Kunden sich eine bis anderthalb Stunden gedulden. Bei einer Totalliberalisierung würden auch in Echternach und Ettelbrück die Taxis knapp werden, meint Leitao. „Nicht alle werden dann Richtung Hauptstadt drängen, aber viele. Das ist nur menschlich.“ Grob über den Daumen gepeilt, seien zehn Fahrten pro Tag „okay“ für einen Verdienst, fünf dagegen zu wenig. Sich einzubilden, dass sich in der Hauptstadt schnell viele Fahrten machen ließen, sei „der Weg des geringsten Widerstands“, den viele Taxifirmen bei einer Liberalisierung wählen würden.

Was sich anhört, als liege es an jedem selber, aus der Marktöffnung die richtigen Schlüsse zu ziehen, und wer die falschen zieht, wäre selber schuld. So ähnlich argumentiert der Mobilitätsminister: Zurzeit gebe es an die 140 Taxibetriebe; das seien „sehr viele“ für ein Land der Größe Luxemburgs. Nicht wenige angestellte Chauffeure würden den Fehler machen zu glauben, als selbstständige Taxifahrer könnten sie ähnlich verdienen wie die Firma, bei der sie angestellt sind und ihnen immerhin der unqualifizierte Mindestlohn garantiert ist – beziehungsweise 36 Prozent der Einnahmen aus ihren Fahrten, sofern die Summe den Mindestlohn übersteigt. „Diese Fahrer sehen die Kosten nicht“, meint Bausch. Und gibt den Taxifirmen den Rat, ihre Geschäftsmodelle zu überdenken: „Sie können gemeinsam eine Zentrale und eine Smartphone-App betreiben, können sich Tarifmodelle einfallen lassen, Pauschalangebote über Land anbieten und vieles mehr.“ Sie könnten sich auch zum Ziel setzen, gerade in dünner besiedelten Gegenden aktiv zu werden. „Von den Lizenzen außerhalb der Hauptstadt sind 25 bis 30 Prozent noch frei, das sagt alles!“

Doch François Bausch scheint es nicht einfach darum zu gehen, dass der kalte Wind der Marktrationalität einmal gehörig durchs Taxigewerbe blasen und jene fortreißen möge, die nicht kreativ genug sind, lieber alleine kämpfen, statt Allianzen einzugehen, oder nicht über genug Kapital verfügen. Bausch scheint es um die „Gig Economy“ zu gehen, wie sie in den USA genannt wird und von der auch Jeremy Rifkin 2017 in seinem Leitfaden zur „dritten Industriellen Revolution“ in Luxemburg geschrieben hatte und digitale Plattformen meinte.

Denn das Angebot der Taxis zusätzlich beleben sollen „Voitures de location avec chauffeurs“, abgekürzt VLC. Der Reformgesetzentwurf lässt sich in seinem Motivenbericht verstehen, als seien damit keine Taxis gemeint. Er spricht von „transports occasionnels“, die Stunden, vielleicht sogar Tage im Voraus geordert würden – entweder von Patient/innen, die sich immer wieder zu einer medizinischen Behandlung begeben, oder von einer Kundschaft, die einen besonders gehobenen Transport wünscht. François Bausch dagegen sagt, mit den VLC seien auch Akteure wie Uber gemeint. Das erweitert das Feld der VLC beträchtlich. Der im Grunde einzige Unterschied zwischen einem klassischen Taxi und einem VLC wäre dann der, dass Ersteres überall geordert werden kann, ob auf der Straße herbeigewunken, am Taxistand bestiegen, per Telefon oder App bestellt. VLC dagegen müssten immer vorbestellt werden. Doch wenn die Apps immer komfortabler werden, die Zahl der VLC steigt, dann macht es immer weniger Unterschied, ob jemand an der Straße steht, um einem Taxi zu winken, oder in sein Smartphone tippt, um eines zu ordern, welches dann bald herbeigefahren kommt. Dass es mit 140 „zu viele“ Taxibetriebe gebe, soll offenbar nur auf die aktuelle Lage zutreffen, in der Lizenzen dem Taxibetrieb auch ein Gebiet zuweisen. Dagegen soll die Reform nicht nur die sechs noch bestehenden Taxiregionen abschaffen, sondern die Begrenzung für die Lizenzen gleich mit; für Taxis wie für VLC.

„Das Taxisystem muss sich ausrichten auf das Digitale“, sagt Bausch. Im Gesetzentwurf steht, die aktuelle Zahl der VLC in Luxemburg sei „unbekannt“. Der Mobilitätsminister stellt sich vor, dass Taxis und VLC künftig eng interagieren. Eine Taxifirma könne Taxis und VLC haben, ein Fahrer bald das eine, bald das andere fahren. VLC sollen eine eigene Plakette für das Fahrzeugdach erhalten, Taxi- und VLC-Fahrer dieselbe Prüfung ablegen müssen. Für einen VLC-Betrieb werde wie für ein Taxi-Unternehmen eine Handelsgenehmigung erforderlich; „le risque du non-respect des conditions du droit du travail et de la sécurité sociale peut de cette façon être limitée“, verspricht der Gesetzentwurf.

Von der Taxiföderation werden diese Regulierungsansätze begrüßt. „Aber Tarifmodelle, Apps und gemeinsame Zentralen – das gibt es alles schon“, sagt Verbandspräsident Leitao. Auch wenn es Taxiunternehmer gebe, die an keine Zentrale angegliedert sein möchten, sei es den meisten klar, dass das Taxigewerbe nur mit digitaler Unterstützung eine Zukunft hat.

Bei den großen Gewerkschaften macht man sich Gedanken um die in der Branche Beschäftigten. Sveinn Graas, Zentralsekretär des OGBL-Transportsyndikats Acal, sieht in der Forderung nach kleineren Taxipreisen Demagogie mitschwingen: „Den Kunden sind gute Preise zu wünschen, aber irgendwo müssen die Einnahmen ja herkommen.“ Ein „race to the bottom“, bei dem die Taxifirmen einander zu unterbieten versuchten, würde in erster Linie zulasten der Beschäftigten gehen. Genau nachlesen, so Graas, werde der Acal, was der Gesetzentwurf über die Bindung eines Fahrers an seinen Betrieb festlegt, wenn der eine digitale Plattform betreibt: „Wir wissen von Lieferbetrieben, bei denen digital bestellt wird, und deren Fahrer ihr eigenes Auto einsetzen, den Sprit selbst bezahlen, sich selber sozialversichern müssen und pro Fahrt bezahlt werden.“ Inwieweit das legal ist, sei nicht klar, für Graas steht aber fest: „Wenn wir das weiter aufmachen, wird es ausgenutzt.“ Uber zum Beispiel nutze jede Ungenauigkeit aus.

Wie groß dieses Problem ist, von dem der Acal spricht, ist nicht einfach aufzuklären. Die Gewerbeinspektion teilt auf Anfrage mit, dazu könne sie keine Angaben machen. In der Taxibranche selbst führten Sorgen, dass es gerecht zugehen möge, vor zwei Jahren zu einem Zusammenschluss, der bisher noch immer einzigartig ist: Hello Taxi ist eine Genossenschaft aus sieben Taxibetrieben, die mit dem App-Betreiber Taxiapp.lu fusioniert hat. Aus der digitalen Zentrale mit angeschlossener App erhält jeder Betrieb der Genossenschaft mit seinen Autos gleichberechtigt Fahrten zugewiesen. „Bedenken, dass Zentralen nicht transparent genug funktionieren und große Betriebe sich bevorzugt bedienen, halten so manche Taxifirma davon ab, mit anderen eine Zentrale zu betreiben“, sagt David Correia von Hello Taxi. Der Kilometerpreis, den die Genossenschaft berechnen kann, liegt auch dank ihrer Zentrale deutlich unter dem Schnitt, den François Bausch mit 3,50 bis 3,80 Euro angab.

Andererseits entsteht den Taxis auch mit dem öffentlichen Transport immer mehr Konkurrenz. Der Gratistransport gehört dazu ebenso wie Rufbusse im ländlichen Raum oder der Adapto-Dienst. Vielleicht könnte die Branche aus Taxis und Fahrdiensten auch gestützt werden, indem sie einen service public anböte und dafür bezahlt würde. Obwohl sich fragen würde, ob das zu dem Modell der großen Freiheit passt.

Peter Feist
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