Kino

Es waren Nazis!

d'Lëtzebuerger Land vom 08.12.2017

Die Aufnahmen der selbstverliebten, blassen Beate Zschäpe sind jedem, der den langwierigen NSU-Prozess verfolgt hat, in Erinnerung geblieben. Kokett inszeniert sich die Angeklagte und schweigt. Über die Familiengeschichten der Opfer weiß man wenig. Für den deutsch-türkischen Regisseur Fatih Akin Grund genug, sie in den Mittelpunkt seines Films zu stellen. Der aus seiner Sicht erniedrigende Umgang mit den Opfern der rechtsextremen Terrorgruppe bei den Prozessen und die schiere Blindheit des deutschen Rechtsstaats angesichts der rechtsradikalen Anschläge war für Akin denn auch der Auslöser Aus dem Nichts zu drehen.

Sein furioser Thriller erinnert an seinen ersten großen Leinwanderfolg Gegen die Wand (2004). Überwiegend in Hamburg gedreht, stellt Akin in seinem neuen Drama mit Diane Kruger eine Frau in den Mittelpunkt, die an dem Schmerz, ihre Familie bei einem Anschlag verloren zu haben, fast zerbricht und den Weg der Selbstjustiz geht. Das ist spannend inszeniert, wenngleich von der Handlung her etwas absehbar. Vor allem Diane Kruger, die bei den Filmfestspielen in Cannes 2017 für ihre Rolle als „beste Darstellerin“ ausgezeichnet wurde, überzeugt. Der Blick ruht auf ihr als Katja Sekerci, wie sie sich von ihrem Mann und ihrem niedlichen fünfjährigen Sohn Rocco verabschiedet, bevor die Nagelbombe in dem Übersetzungsbüro Nuri Sekercis explodieren wird. Der Tathergang erinnert unverkennbar an den Anschlag vom 9. Juni 2004 in der Keupstraße in Köln, wo die Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrunds, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, eine Nagelbombe vor einem türkischen Frisörsalon zündeten. Erst eine DNA-Probe wird in Akins Spielfilm Gewissheit schaffen. Man folgt Kruger, wie sie sich mit Drogen betäubt und in der Wohnung der Verstorbenen fast verrückt wird: in starken, kontrastreichen Bildern gefilmt. Wie bei den realen ersten Anschlägen des Nationalsozialistischen Untergrunds tappt die Polizei lange im Dunkeln. Wegen der Dealer-Vergangenheit ihres Mannes, den sie einst kennengelernt hatte, als sie Haschisch bei ihm besorgt hatte, mutmaßen Polizei und Justiz, der Kurde Sekerci sei in einen Bandenkrieg verwickelt. Die tief sitzenden rassistische Vorurteile der Beamten weiß Akin nuanciert zu vermitteln. Nur Katja und ihrem smarten Anwalt Danilo Fava (Denis Moschitto) ist schnell klar, dass es Nazis gewesen sein müssen, die Nuri Sekerci und ihren Sohn umgebracht haben. Die Justiz hingegen ist auf dem rechten Auge blind.

Was als spannender Thriller beginnt, erschöpft sich im zweiten Teil in einem zähen Gerichtsprozess, der leider etwas zu stark auf Stereotype setzt. Der Anwalt der Angeklagten ist ein mieser Typ wie aus dem Bilderbuch, dem kein Argument zu schade ist, um Katja Sekerci zu diskreditieren. Eindrucksvoll ist hier vor allem der Kurzauftritt Ulrich Tukurs als Vater des Angeklagten, der um das rechtsextreme Weltbild seines Sohnes („Mein Sohn verehrt Adolf Hitler“) weiß und der Hinterbliebenen sein Beileid ausspricht. Die von Akin inszenierte Gerichtsverhandlung erinnert in ihrer Emotionalität, den polarisierten Aussagen und der gesamten Inszenierung mehr an Hollywood als an die tatsächlichen NSU-Prozesse. Einen wirklich dokumentarischen Anspruch verfolgt sein fiktiver Thriller jedoch gar nicht. Wie in vielen Fatih-Akin-Filmen endet das Drama am Meer. In Griechenland wird Katja Sekerci nach dem Pärchen suchen, das ihre Familie auf dem Gewissen hat, und die Gerechtigkeit schaffen, die ihr der deutsche Rechtsstaat verweigert hat.

Aus dem Nichts ist ein spannender Thriller, der außerhalb Deutschlands vor allem deshalb Erfolg haben dürfte, weil er das Schweigen über die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds bricht. Der Regisseur nimmt eine eindeutige Haltung ein, und das tut gut. Selbst wenn sich die drei Teile des Films nicht ganz ineinander fügen wollen, so schafft es Diane Kruger doch, die Verzweiflung einer Frau zu transportieren, deren Familie allein deshalb Opfer eines Anschlags wurden, weil sie in den Augen des Nationalsozialistischen Untergrunds Ausländer waren.

Anina Valle Thiele
© 2023 d’Lëtzebuerger Land