Trotz einseitiger Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen sowie allerlei Schaumschlägerei verdreifacht sich das Defizit, die Staats-schuld erreicht Rekordniveau, wenn ausländische Amazon- und Ebay- Kunden nicht mehr in die Luxemburger Staatskasse zahlen

Das fünfte Sparpaket

d'Lëtzebuerger Land vom 17.10.2014

Kaum hatte Premierminister Xavier Bettel (DP) am Dienstag vor dem Parlament begonnen, seine Erklärung über die Finanzpolitik der Regierung abzulesen, da war sein viel gefragter Vorgänger Jean-Claude Juncker (CSV) aus dem Plenum verschwunden. So musste sich der künftige Kommissionspräsident nicht anhören, dass „nach der Absichtserklärung von Jean-Claude Juncker“ vor fünf Jahren, die Staatsschuld zu verringern, in Wirklichkeit „die Staatsschuld sich verdoppelte“.

Tatsächlich gibt der Staat seit der Wirtschafts- und Finanzkrise mehr Geld aus als er an Steuern einnimmt. Im Krisenjahr 2008 machte das Defizit sogar über zwei Milliarden oder ein Sechstel des Gesamtbudgets aus, als der Staat die Banque générale und die Banque internationale vor dem Kollaps rettete. Seither ist es nicht mehr gelungen, die Staatsfinanzen ins Gleichgewicht zu bringen.

Nicht dass die müden Männer von CSV und LSAP es nicht versucht hätten. Als die Europäische ­Union in der Schuldenkrise das Ende der antizyklischen Krisenpolitik erklärt hatte, beschlossen sie am 17. Dezember 2010 ein erstes Sparpaket, um mit einer Erhöhung der Krisensteuer, der Solidaritätssteuer, der Soparfi-Steuer, des Spitzensteuersatzes, Kürzungen beim Kindergeld und den Rentenanpassungen und vielen aufgeschobenen Investitionen das Defizit zu verringern.

Ein Jahr später versuchten sie es am 27. April 2012 noch einmal mit weiteren Steuererhöhungen, Kürzungen bei den Investitionen und dem Aufschub des Gehälterabkommens im öffentlichen Dienst. Nur ein halbes Jahr später schnürten sie ein drittes Sparpaket mit Gebührenerhöhungen, Kürzungen bei der Kilometerpauschale und den Ökozuschüssen sowie dem Aufschub weiterer Investitionen. Auf Druck der CSV- und LSAP-Abgeordneten wurde es noch einmal vergrößert, doch das Defizit wollte einfach nicht verschwinden.

Inzwischen war sogar das Geld ausgegangen, um das Einverständnis der Gewerkschaften und Unternehmer zu den Sparpaketen zu kaufen, und die Wahlen kamen immer näher. Deshalb mussten die müden Männer von CSV und LSAP vor einem Jahr den ganzen Krempel hinschmeißen.

Weshalb es den müden Männern trotz drei Sparpaketen nicht gelungen war, das Staatsdefizit zu beseitigen, versuchte Xavier Bettel am Dienstag nicht zu ergründen. Zumindest nicht ökonomisch, mit den Folgen der blutarmen Wirtschaftskonjunktur, der einseitigen Währungspolitik, dem internationalen Steuerdumping, kurz: der Krise des vom Finanzkapital getriebenen globalen Neoliberalismus, an dem Luxemburg jahrelang so prächtig mitverdiente. Sondern höchstens moralisch, mit der Charakterschwäche und mangelnden Willenskraft der CSV, also auch der LSAP.

Dann kamen die schwungvollen, jungen Männer von DP, LSAP und Grünen an die Macht, und sie wollten keine andere Finanzpolitik als CSV und LSAP betreiben, sondern diese unter Ausschluss der Tripartite auf die Spitze treiben. Deshalb legten sie im März dieses Jahres ein neues, das vierte Sparpaket 2014 vor, wieder mit aufgeschobenen Investitionen, Kürzungen der Stipendien, nicht eingestellten Beamten und Einsparungen bei den staatlichen Funktionskosten. So sollten, zumindest auf dem Papier, 231,2 Millionen Euro gespart werden. Aber das nahm niemand ernst. Der Staatsrat befasste sich ausdrücklich bloß mit dem Haushaltsgesetz, die Zentralbank begutachtete das Budget überhaupt nicht, der Wirtschafts-und Sozialrat war schon vor Jahren eingeschlafen. Die Regierung tröstete sie, dass es nicht zu mehr als einem Übergangshaushalt gereicht habe.

Diese Woche stellten die schwungvollen, jungen Männer das nun schon fünfte Sparpaket vor. Um seine politische Akzeptanz zu steigern, den neusten Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen eine höhere Weihe zu verleihen, verpackten sie es mit Hilfe einer Werbeagentur als „Zukunftspak“. Der neue „Zukunfspak“ ist eine alte Wahlkampfidee der DP, die schon vor Jahren einen riesigen Pappkarton mit der Aufschrift „Zukunftspak“ von Parteikongress zu Parteikongress schleppte.

Das fünfte Sparpaket sollte alles bis dahin an Sparmaßnahmen Dagewesene in den Schatten stellen, ursprünglich sogar eine kopernikanische Wende einleiten. Und tatsächlich mutet die liberale Steuersenkungspartei DP ihren Wählern nicht nur eine Erhöhung der Mehrwertsteuersätze um zwei Prozentpunkte mit Ausnahme des superreduzierten Satzes zu, welche nächstes Jahr eine Viertel Million Euro einbringen soll, wenn die ausländischen Amazon- und Ebay-Kunden aufhören, den Luxemburger Staatshaushalt zu speisen. Sie führt auch gleich eine neue Steuer ein, die alle Einkommen privater Haushalte aus Berufstätigkeit, ihre Ersatz- und Vermögenseinkommen mit 0,5 Prozent belastet und zur Finanzierung der ursprünglich aus Unternehmerbeiträgen gespeisten Familienzulagenkasse, demnächst „Zukunftskeess“, dient. Diese Kindergeldsteuer soll nächstes Jahr unter dem Namen Contribu­tion pour l’avenir des enfants 119 Millionen Euro einbringen und vor allem wieder Sachleistungen finanzieren, von denen Grenzpendler weitgehend ausgeschlossen sind.

Hinter der ganzen Schaumschlägerei um „Zukunftspak“, „Zukunftskeess“, Infografiken im Internet und Haushaltsentwürfen auf USB-Kärtchen verbirgt sich, wie immer, die Frage, wer das 515 Millionen Euro teure Sparpaket bezahlen soll. Geplant ist vor allem ein Umbau des Sozialstaats, der nicht mehr umverteilen, sondern nur noch Bedürftige unterstützen soll. Als Alibi dieser Politik hat die Regierung nun alleinerziehende Mütter ausgemacht, die statistisch das höchste Armutsrisiko tragen.

Die Familienpolitik steht im Mittelpunkt dieser Anstrengungen, weil sie, anders als die Sozialversicherung, nicht auf versicherungsähnlichen Anrechten beruht. Die Kredite des Familienministeriums sollen um 177 Millionen oder 12 Prozent gekürzt werden, während die Mittel anderer Ministerien steigen oder um weniger als zwei Prozent fallen. Das Kindergeld für Familien mit mehr als einem Kind wird gekürzt, die Erziehungs- und Mutterschaftszulagen werden abgeschafft.

Neben den Steuererhöhungen sollen 258 kleine und größere Einsparungen um 146 Millionen Euro (Haushaltsentwurf S. 26*) oder um 192 Millionen Euro (www.budget.public.lu) den Staatshaushalt ins Lot bringen. Mehr als die Hälfte der Einsparungen geht auf Kosten der Sozialversicherung (45,6 Millionen Euro) und des Familienministeriums (44,5 Millionen Euro). Mit einem Drittel Einsparungen und zwei Dritteln Steuererhöhungen hat die ökosozialliberale Regierung auch das einst zur goldenen Regel sozialer Ausgewogenheit erklärte Verhältnis der CSV/LSAP-Koalition umgekehrt.

Trotzdem ist unter dem Strich das Ergebnis des fünften Sparpakets ebenso enttäuschend wie die Ergebnisse der vier Sparpakete zuvor: Der Haushaltsentwurf für 2015 endet mit einem Defizit von 511,2 Millionen Euro, dreimal so hoch wie dieses Jahr.

Die Ausgaben sollen nächstes Jahr mit 4,2 Prozent dreimal so schnell wie die Einnahmen mit 1,2 Prozent steigen. Dabei hatte Pre­mier Xavier Bettel noch im April in seiner Erklärung zur Lage der Nation stolz behauptet: „D’Budgetsnorm gouf erëm agefouert, esou, datt d’Ausgabe manner séier wuessen, ewéi d’Recetten.“ Aber in dem am Mittwoch vorgelegten Haushaltsentwurf kommt auf 675 Seiten kein einziges Mal eine Haushaltsnorm vor.

Als Direktor der Handelskammer hätte Pierre Gramegna, als Oppositionspartei hätte seine DP dies händeringend eine Regierung genannt, die über ihre Verhältnisse lebt. Die grüne Frak­tionssprecherin Viviane Loschetter konnte noch am Mittwochmorgen ihre moralische Entrüstung über eine vergleichbare Finanzsituation unter CSV-Verhältnissen kaum zügeln. Aber der Unternehmerverband UEL nannte den Haushaltsentwurf am Dienstag löblich, und am Mittwochnachmittag glaubte der Finanzminister zu wissen, dass Kopernikus seine Revolution auch nicht in einem einzigen Jahr vollbracht habe.

Um das Haushaltsloch zu füllen, sieht Artikel 51 des Entwurfs des Haushaltsgesetzes vor, dass die Regierung nächstes Jahr bis zu 1,5 Milliarden Euro leihen kann. Davon sind nur 20 Prozent für Investitionen vorgemerkt, je 150 Millionen Euro, die in den Straßenbau- und den Schienenfonds gehen sollen.

Mit einer Milliarde mehr als im laufenden Jahr steigt die Staatsschuld damit 2015 auf 11 971,5 Millionen Euro und erreicht so einen neuen historischen Rekord. Dabei hatten die schwungvollen, jungen Männer noch vor einem Jahr gehofft, dass sie ihren Haushalt mit zwei Milliarden Euro aus dem Verkauf der staatlichen Beteiligung an der BGL und der Kojunktur sanieren könnten.

In seiner Haushaltsrede äußerte sich der Finanzminister nicht einmal zu den Wachstums- und Inflationshypothesen, die seinem Haushaltsentwurf zugrunde liegen. Glaubt man dem Kommentar zum Gesetzentwurf über den mehrjährigen Haushalt, dann ging die Regierung von einem Wirtschaftswachstum um 2,7 Prozent und einer durch die Mehrwehrtsteuererhöhung steigenden Inflationsrate von 2,2 Prozent aus.

Weil Pierre Gramegna beim Versuch, einen ausgeglichen Staatshaushalt vorzulegen, ebenso scheitert wie sein Vorgänger Luc Frieden, tröstet auch er sich damit, dass es längt nicht mehr auf den Staatshaushalt ankomme – für den der Finanzminister verantwortlich ist –, als auf den Haushalt des Gesamtstaats, der einzig Beachtung in den strengen Augen der Europäischen Kommission finde. Doch selbst das ist in Wirklichkeit keine Rettung. Denn Zentralstaat, Sozialversicherung und Gemeinden sollen, trotz des Überschusses der Rentenversicherung, nächstes Jahr mit einem Defizit von 75,7 Millionen Euro abschließen.

Trotzdem lassen sich der Finanzminister und die Regierung nicht beirren. Denn sie zaubern für 2015 aus dem negativen Saldo von 75,7 Millionen oder –0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts einen positiven strukturellen, also konjunkturbereinigten Saldo von 0,5 Prozent, genau das heroische Ziel, das sie sich zusammen mit der Europäischen Kommission für das Ende der Legislaturperiode gesetzt haben. Dazu kürzen sie den tatsächlichen Saldo um 44 Prozent einer ziemlich willkürlich festgelegten Produktionslücke. Doch eine Fußnote auf Seite 20* räumt ein: „À noter que les prévisions au sujet de l’évolution du solde structurel de l’Administration publique se basent sur la méthodologie du Statec qui est commentée en détail dans l’annexe 7 du projet de loi relatif à la programmation financière pluriannuelle. Dans le cadre de la gouvernance économique européenne, l’évaluation de la situation des finances publiques en 2015 sera faite sur base de la méthodologie commune élaborée par la Commission européenne. Selon cette méthodologie et les prévisions les plus récentes disponibles, le solde structurel pour 2015 est estimé à –1,3% du PIB.“

Romain Hilgert
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