Projekt Indura

Über kurz oder lang

d'Lëtzebuerger Land du 15.01.2009

Der jetzige Vorstoß von Arbeitsminister François Biltgen hat die Zeitarbeitsfirmen überrascht. Vergange­ne Woche stellte er ein neues Pilotprojekt vor, das künftig Arbeitslosen eine persönlichere Betreuung bei der Jobsuche bieten soll: Indura. Neu da­ran ist, dass der Arbeitsminister verstärkt auf die Zusammenarbeit mit den Leiharbeitsfirmen setzen will. Die aber waren in die Ausarbeitung des Projektes nicht oder nur wenig eingebunden worden und sehen dem, was da nun auf sie zukommen soll, mit einer gewissen Skepsis entgegen.

Dabei unterstreicht François Biltgen auf Nachfrage mit Nachdruck, man habe die Branche bewusst aus der Kon­zeption des Projektes ausgeschlossen, „weil es nicht darum geht, ihr Geld zuzuschustern, sondern weil wir selbst bestimmen möchten, wie das Projekt aussieht.“ Hinzu kommt wahrscheinlich, dass der Arbeitsminister nicht den Anschein geben möchte, als ob er zu sehr mit den Leiharbeitsfirmen gemeinsame Sache macht, da sie bei den Gewerkschaften bisher eindeutig als die Buhmänner am Arbeitsmarkt gelten. Und diese Stimmung kocht spätestens wieder hoch, seit die Luxair ihre Leiharbeitskräfte aus dem Cargo­center nach Hause geschickt hat.

Ob die Leiharbeitsfirmen aber wirklich nur sauer sind, weil ihnen die Chance genommen wurde, sich bei einer gemeinsamen Projektfindung, möglichst viel Geld zuzuschustern, ist insgesamt fraglich. Sie stellen vielmehr die Erfolgsaussichten des Projekts in Frage. Das mag derzeit vielleicht daran liegen, dass sie wenig bis nichts über die Details des Projekts wissen, dessen Ausschreibung ihnen erst innerhalb der nächsten Woche zukommen wird. Dass dies so ist, und dass der appel aux candidatures nicht öffentlich abgedruckt werden soll, erweckt jedoch den Anschein, als ob Indura noch nicht ganz ausgegoren ist, und man im Arbeitsministerium angesichts des prognostizierten Anstiegs der Arbeitslosigkeit kurz vor den Wahlen dennoch beweisen will, dass man nicht untätig ist.

Da wäre zu allererst die Frage, an wen sich das Pilotprojekt richtet. In der Pressemitteilung des Arbeitsministeriums sagt Biltgen, die Struktur der Arbeitslosigkeit verändere sich dahingehend, dass die Zahl der Arbeitsuchenden, die unabhängig von der Konjunktur Schwierigkeiten haben, eine Anstellung zu finden, stetig steige. Das ist keine neue Aussage, denn die Gesetzesvorlage zum chômage social, die dann in chômage incompressible umbenannt wurde und mittlerweile wieder anders heißt, liegt seit 2003 im Parlament.

Bereits mit dieser Vorlage sollte also das Problem der schwer vermittelbaren Arbeitslosen angegan­gen werden. Das Instrument dazu: die Beschäftigungsinititativen. Gegen­über dem Land präzisiert François Biltgen aber, dies und das neue Projekt seien völlig verschiedene Dinge, denn im Rahmen von Indura soll jede beteiligte Leiharbeitsfirma mindestens 15 Arbeitslose betreuen, die von der Arbeitsagentur Adem entlang des Alters- und Qualifikationsdurchschnitts aller eingeschriebenen Arbeitslosengeldempfän­ger ausgesucht werden. Dabei sind, wie er selbst sagt, nur ein Drittel der eingeschriebenen Arbeitsuchenden den Kategorien A und B zuzuordnen. A bedeutet auf der Skala der Adem leicht vermittelbar, E bedeutet sehr weit vom Arbeitsmarkt entfernt. Notgedrungen also werden sich im Projekt auch solche Arbeitslose wiederfinden, die den Kategorien C bis E angehören, die über wenig Qualifikationen verfügen, daneben oft viele andere Probleme haben. Zum Beispiel Motivationsdefizite, aus welchen Gründen auch immer.

Das aber sieht der Chef einer großen Interimfirma, der lieber anonym bleiben möchte, skeptisch. „Wer bei uns über die Türschwelle tritt, will arbeiten“, sagt er, „sonst würde er sich nicht bei uns einschreiben.“ Das, meint er, sei bei den Jobkandidaten, welche nun von der Adem für das Projekt ausgesucht werden sollen, nicht unbedingt gegeben. Außerdem seien 90 Prozent der Kandidaten in der Firmenkartei Grenzgänger, also bei der Luxemburger Adem nicht eingetragen. Man habe daher wenig Erfah­rungswerte mit diesen Kandidaten.

Der Auftrag von Indura aber lautet: Für die Projektteilnehmer soll ein Ar­beitsvertrag von mindestens zwölf Mo­naten oder von unbegrenzter Dauer abgeschlossen werden, „une intégration durable sur le marché de l’em­ploi“, teilt das Ministerium mit. Ob das nicht eigentlich Aufgabe der Adem selbst ist? „Nein“ sagt, Biltgen. Die Adem stehe zwar im Zentrum der aktiven Beschäftigungspolitik, die er ankurbeln will. Sie ist Anlaufstelle der Ar­beitsuchenden und soll entscheiden, welchen Weg zur Reintegration der Kandidaten gewählt wird. Die Betreuung selbst müsse das Amt abgeben. „Wir können nicht unbegrenzt das Per­sonal der Adem aufstocken“, sagt er mit Hinweis auf die Arbeitslosenraten. 

Nur haben die Interimfirmen mit der dauerhaften Einbindung in den Arbeitsmarkt wenig Erfahrung, gibt der vom Land befragte Firmenchef zu bedenken. Sie verfügten wohl über einen großen Kundenstamm von Unternehmen, die Arbeitskräfte bräuchten. Aber eben immer nur zeitlich begrenzt. Drei bis vier Monate dauern die Missionen für white-collar-Angestellte und quali­fizierte Handwerker im Schnitt, sagt er. Häufig würden diese Kandidaten nach mehreren Einsätzen tatsächlich eingestellt. Doch für weniger qualifiziertes Personal betrage die Durchschnittsdauer der Missionen zwischen einer Woche und mehreren Wochen, in der Horeca-Branche einen Tag. Die Firmen griffen auch deshalb auf Leiharbeiter zurück, weil sie jemanden suchen, der sofort anpacken kann und nicht erst in der Firma ausgebildet werden muss. 

Der Firmenchef erklärt: Bei ähnlichen ausländischen Projekten, vor allem dem französischen, an dem sich das Arbeitsministerium inspiriert hat, er­halten Unternehmen, die einen Kandidaten einstellen, einen finanziellen Anreiz, und die Arbeitsuchenden kön­nen in einer ersten Phase auf Interimmissionen geschickt werden. „Das ermöglicht eine Entwicklung der Kandidaten in einem Arbeitsverhältnis“, fügt er hinzu. Bei Indura allerdings wird es für die einstellenden Unternehmen keinen finanziellen Anreiz geben, sagt Arbeitsminister François Biltgen kategorisch. Ob es möglich sein wird, den Kandidaten Interimposten zu vermitteln, bevor es zu einer festen Einstellung kommt, ist nicht so deutlich. Biltgen reagiert  sehr ge­reizt, auf die Frage und die negative Einstellung der Zeitarbeitsfirmen, die er da­raus zu lesen meint. „Die Leiharbeitsfirmen sollen auf den Aufruf reagieren und uns ein Projekt vorlegen. Dann entscheiden wir, ob wir einverstanden sind!“ Pikant ist die Frage auch deshalb, weil das Arbeitsministerium sagt, sehr viel Wert darauf zu legen, Jobsuchende eben nicht in die Leiharbeit und damit ins Prekariat zu drängen. Und weil sie weitere Fragen über die Umsetzung aufwirft. Die Leiharbeitsfirmen müssen, so wurde es angekündigt, eine neue Firma gründen, deren Zweck eben nicht die Leiharbeit ist. Das wird Zeit in Anspruch nehmen – wann genau das Pilotprojekt starten kann ist noch ungewiss. „Es wird einige Wochen oder Mo­nate dauern“, meint Biltgen. Welche Kosten das für die Firmen mit sich bringen wird, ist derzeit noch nicht abzuschätzen, weil nicht gewusst ist, welche Strukturen sie benötigen, um die Projektziele adäquat umzusetzen. So sollen technische und gegebenenfalls soziale Aus­bildungen angeboten werden. „Unsere aktuellen Strukturen erlauben eine solche soziale Reintegration aber nicht“, sagt die anonyme Quelle des Lands. Dazu würden eventuell Psychologen oder Sozialarbeiter gebraucht, die derzeit nicht zum Staff gehören. 

„Deswegen stellt sich für uns die Fra­ge, ob eine Beteiligung rentabel sein wird, sich die Kosten decken“, so der Firmenchef weiter. Die meisten Interimfirmen verfügten zwar bereits über sogenannte outplacement-Firmen, die beispielsweise einschreiten und neue Stellen suchen, wenn eine Firma Arbeitnehmer abbaut. „Aber diese Leute kommen aus ei­nem Arbeitsverhältnis und gehören da­her auch nicht in die Kategorie der Schwervermittelbaren.“ 

Biltgen hat bisher keine genauen Angaben zur Bezahlung der am Projekt teilnehmenden Firmen gemacht. Nur soviel: Für jeden Kandidaten soll es anfänglich eine Pauschale sowie eine weitere Zahlung geben, sobald ein Arbeitsvertrag vorliegt. Deren Höhe wird davon abhängen, in welcher Kategorie der Kandidat eingestuft war und wie schnell der Vertrag zustande kam. Dabei haben die Firmen maximal so lange Zeit, wie der Kandidat noch Anrecht auf Arbeitslosengeld hat, erklärt Biltgen. Habe er also nur noch einen Monat lang Anspruch auf Arbeitslosengeld, bleibt den Firmem nur ein Monat, um einen Vertrag für ihn oder sie zu finden. Ob dieses System nicht doch das Risiko birgt, dass Interimfirmen Kasse machen? Denn haben sie nach einem Monat keinen Job für einen Kandidaten gefunden, kassieren sie dennoch die Anfangspauschale. „Die Bezahlung“, sagt Bilt­gen, „ist besser als im Ausland“, und meint damit die Projekte, an denen man sich im Ausland inspiriert hat.

Dabei werden die Ressourcen des Beschäftigungsfonds, aus dem die Kosten für das Projekt bestritten wer­den, derzeit ohnehin stark beansprucht. Der Grund: Die nie dagewesene Zahl von Unternehmen, die Kurzarbeit beantragt hat, um die Wirtschaftskrise zu überstehen. Genau deswegen findet der Leiharbeitsfirmenchef den Zeitpunkt für den Projektbeginn denkbar schlecht: „Vor zwei Jahren haben wir auf Anfrage des Ministeriums unsere Ideen vorgelegt. Danach haben wir nichts mehr gehört. Bis jetzt. Hätte man das Projekt noch letztes Jahr auf den Weg gebracht, wären die Umstände viel günstiger gewesen, um für die Kandidaten eine Anstellung zu finden.“ Denn in den vergangenen drei Jahren sei es eher so gewesen, dass man Kandidaten gesucht habe, um die Aufträge der Kundenfirmen erfüllen zu können. Diese Erfahrung zählt 2009 nicht mehr. 

Ob der Arbeitsminister also sicher sein kann, dass die Leiharbeitsfirmen überhaupt Interesse haben werden, bei Indura mitzumachen? Sicher sei er sich nicht, räumt Biltgen ein. Doch wenn die nicht mitmachen wollten, würde man die Rekrutierungsfirmen fragen – die würden ihm schon jetzt die Tür mit Anfragen einrennen. Bislang will man mit denen nicht ins Boot steigen. Das Unterfangen könnte dann noch wackeliger werden, weil die Branche wenig reguliert und übersichtlich ist, die Interimfirmen hingegen vom Arbeitsministerium zugelassen sind – allerdings für ihre Tätigkeit als Zeitarbeitsfirmen und nicht für die Aufgabe, die sie im Rahmen von Indura übernehmen sollen. „Wir fragen uns auch, in welchem rechtlichen Rahmen wir uns dann bewegen“, so der Firmenchef. „Das wird weder Leiharbeit, noch das Erbringen einer Dienstleistung sein.“ 

Es bleibt also abzuwarten, wie groß das Interesse der Branche an dieser Partnerschaft mit dem Ministerium sein wird. Sollte sie allerdings nicht mitmachen oder nur wenig erfolgreich bei der Stellenvermittlung sein, wäre eine in der Privatwirtschaft vorherrschende Binsenwahrheit auf jeden Fall widerlegt: Nämlich, dass die Privatwirtschaft den Auftrag der Arbeitsvermittlung besser erfüllen könn­te als die staatliche Einrichtung Adem. Den Arbeitslosen wäre damit nicht geholfen.

Michèle Sinner
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