Sprachenstreit

Godverdomme

d'Lëtzebuerger Land vom 27.09.2013

In diesem Leben werden einige Flamen und Wallonen wahrscheinlich keine dicken Freunde mehr, auch, beziehungsweise gerade, unter den Politikern. Wir erinnern uns an die schwere Krise, das Hin-und-her-Gezerre, das Machtvakuum, das nach der Juniwahl 2010 entstanden war, als die gewählten Parteien sich nicht auf eine Koalition, geschweige denn auf ein Programm einigen wollten. Das belgische Beispiel hat uns allerdings auch gezeigt, dass ein Land nicht so schnell untergeht, auch wenn es von einer nur geschäftsführend amtierenden Regierung verwaltet wird. Eine solche Situation erleben wir zurzeit ja auch in Luxemburg, aber das ist ein anderes Thema.

Belgien scheint ein bisschen zur Ruhe gekommen zu sein. Zumindest bis zum nächsten Wahltermin, wenn dann wieder alle gebannt auf das flämische Votum und auf Bart De Wever starren werden. Dass bei unseren Nachbarn noch lange nicht alles in Butter ist, sieht man immer wieder auf lokaler Ebene, ganz besonders in Grenznähe. In vielen Ländern ist es ja leider so, dass die Außengrenzen Problemzonen sind. In Belgien ist das anders, schließlich befinden wir uns im Herzen der EU, im Schatten der Europa-Hauptstadt Brüssel und der Europäischen Kommission, die sich gerne als Hüterin der Gesetze und der Prinzipien unseres Zusammenlebens versteht. Hier sind es nicht die Außen-, sondern die Binnengrenzen, die oft auch Sprach- und Kulturgrenzen sind, die Kopfzerbrechen bereiten.

So jetzt auch in Menen (auf französisch „Menin“, hier darf man das ja sagen ...), einer Stadt mit 33 000 Einwohnern in der Provinz Westflandern, nicht weit entfernt von Frankreich und unmittelbar an der flämisch-wallonischen Sprachgrenze gelegen. Menen hat sich eine neue Bürgermeisterin geschenkt, und die möchte jetzt Klarschiff machen, was den amtlichen Sprachengebrauch angeht. Dabei bewegt sie sich nicht etwa im luftleeren Raum, sondern sie kann sich auf eine gesetzliche Verordnung

berufen, die besagt, dass auf der Gemeindeebene die Verwaltungssprache eben die flämische und keine andere ist.

Die christdemokratische Politikerin mit dem ziemlich französisch klingenden Namen Fournier möchte also der „Französisierung“ den Kampf ansagen. Der Gebrauch der französischen Sprache soll in ihren Gemeindeämtern verboten

werden, es sei denn, es besteht Lebensgefahr (sic!). Französischsprachige Hinweisschilder sollen entfernt und durch Piktogramme ersetzt werden. Auch am Telefon soll prinzipiell immer flämisch gesprochen werden. Bei ahnungslosen französischsprachigen „Erstanrufern“ darf der oder die Gemeindeangestellte auf die neue Sprachregelung hinweisen; beim zweiten Mal, sowie bei „Wiederholungstätern“, darf dann auch schon mal die Antwort verweigert oder der Hörer aufgelegt werden.

Es ist schon erstaunlich, was sich manche Politiker ausdenken. Die Bevölkerung von Menen ist nämlich alles andere als sprachlich homogen: 56 Prozent sind flämischsprechend, 44 Prozent sprechen französisch und ein Drittel ist zweisprachig, insbesondere die Geschäftsleute. Die Stadt zählt in der Tat viele französische Kunden; die Geschäfte sind sehr beliebt und auch an Sonntagen geöffnet. Auf der (flämischen) Internetseite stehen die neu(e)n Gebote der Gemeindeführung. Unter Punkt 4, Überschrift: „Neu in unserer Stadt/Neuankömmlinge integrieren“, liest man, dass Menen eine „Vlaamse stad“ (mit großem „V“) sei. Zwischen den Zeilen ist zu erkennen, dass man ohne die niederländische Sprache nicht weit kommt. Das macht natürlich Lust auf mehr.

Claude Gengler
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