Über den Ukraine-Krieg, die Nato und Luxemburg

Position der Stärke

Colonel Patrick Fautsch
Foto: Olivier Halmes
d'Lëtzebuerger Land vom 18.04.2025

Colonel honoraire Patrick Fautsch gehörte der Armee bis Ende März 2018 an. Er war unter anderem von 2013 bis 2016 der Luxemburger Vertreter in den Militärkomitees von Nato und EU, damit der Repräsentant des Stabschefs der Armee. Anschließend wirkte er in der Direction de la défense im Außenministerium an der Fertigstellung der „Lignes directrices de la défense luxembourgeoise à l’horizon 2025 et au-delà“ mit.

d’Land: Herr Fautsch, nach dem Treffen der Verteidigungsminister der „Koalition der Willigen“ zur Unterstützung der Ukraine am Donnerstag vergangener Woche wurde Ministerin Yuriko Backes (DP) in der Presse zitiert, sie schließe die Entsendung Luxemburger Truppen für eine Unterstützungsmission aus. Eine knappe Woche zuvor hatte sie in einem Wort-Interview erklärt: „Ob wir uns ohne die USA verteidigen können? Ja, das können wir.“ Sehen Sie in den beiden Aussagen einen Widerspruch?

Patrick Fautsch: Das sind zwei verschiedene Ebenen. Für einen Truppeneinsatz der coalition of the willing müssten Vorbedingungen erfüllt sein. Das ist noch gar nicht der Fall und wäre ohne die USA nicht zu erreichen. Ob der russische Präsident einem solchen Einsatz zustimmen würde, ist auch unklar. Im Moment hat er eigentlich keinen Grund, mit dem Krieg aufzuhören. Er kann meinen, seinen strategischen Zielen immer näherzukommen. Und innenpolitisch riskiert er Probleme, falls er den Krieg stoppt. Wofür genau Truppen der Koalition eingesetzt werden könnten, ist noch nicht abzusehen. Vermutlich würden sie einen gewissen Status quo absichern, aber welchen, ist die Frage. Dass Luxemburg, auch wenn alle Vorbedingungen erfüllt wären, zumindest in einer ersten Phase keine Truppen entsendet, erscheint mir plausibel. Viele könnten wir gar nicht schicken, unsere Truppen sind schon anderweitig im Einsatz. Ich bin mir aber absolut sicher, dass wir in irgendeiner Form mitmachen würden, mit irgendeiner Kapazität.

Und die zweite Ebene?

Zur Frage: „Können wir uns verteidigen?“ ist das Beispiel Finnland prägnant. Im Winterkrieg 1939-40 war sein Kräfteverhältnis gegenüber der Sowjetunion etwa eins zu vier, trotzdem konnte Finnland sich wehren. Dass es der Ukraine gelang, 2022 den russischen Vormarsch auf Kiew zu stoppen, war schon teilweise überraschend, ebenso wie ihr Durchhaltevermögen bis heute. Auch Europa würde sich wehren, falls es zu einem bewaffneten Konflikt mit Russland käme. Also denke ich, Yuriko Backes hat recht mit „Ja, das können wir“. Nur hätte es wohl auch längere schmerzliche Erfahrungen zum Preis.

Wenn die Vorbedingungen in der Ukraine von den USA abhängen, und da die Ministerin nach Verteidigung ohne die USA gefragt wurde: Macht Luxemburg sich mit der Aussage „keine Truppen für die Koalition“ womöglich politisch verdächtig, zu einer Verteidigung ohne die USA nicht genug beitragen zu wollen? Unfreundlich formuliert: dass andere die blutige Arbeit machen sollen?

Man hätte uns so etwas jahrelang vorwerfen können. Ich glaube nicht, dass es heute Tendenzen in diese Richtung gibt, sondern dass die Entscheidungen, was wir beitragen können, ganz pragmatische sind. Und wie gesagt: In irgendeiner Form werden wir einen Beitrag leisten. Wir haben der Ukraine ja auch effektive materielle Unterstützung im Krieg geleistet.

Die USA haben Verhandlungen mit Russland eingeleitet. Die EU ist nicht dabei. Könnte ihr vorgehalten werden, dass eine weitere Unterstützung der Ukraine die amerikanisch-russischen Gespräche torpediert, und am Ende muss die EU sowieso hinnehmen, was dabei herauskommt? Sodass sie sich politisch womöglich in eine ganz schwierige Lage begibt?

Politisch ist von Bedeutung, wie die Dinge nach außen dargestellt werden. Hört man Donald Trump zu, dann ist er permanent auf der Suche nach Schuldigen, wieso aus seinen Bemühungen, den Krieg zu beenden, vielleicht nichts werden könnte. Zurzeit scheint er die Geduld mit Putin zu verlieren. Selenskij hat er auch erneut beschuldigt. Ergibt sich die Gelegenheit, der EU Vorwürfe zu machen, wird er sie wohl nutzen.

Könnte die EU eine andere Rolle spielen?

Es ist wirklich Machtpolitik am Werk. Um da mitspielen zu können, ist die EU nicht aufgestellt. Militärische Stärke ist in der Außenpolitik natürlich nicht alles, aber auch ein Faktor. Die EU scheint mir im Moment noch nicht in der Lage zu sein, ein sicherheitspolitisches und wirtschaftliches Gesamtpaket auf den Tisch zu legen, das für Putin so interessant sein könnte, dass er in einen „Deal“ einwilligt.

Also für die Zeit nach dem Krieg in der Ukraine?

Ja, denn Russland ist und bleibt unser Nachbar. Irgendwie müssen wir mit ihm klarkommen, einen Modus vivendi finden, um nebeneinander, im Idealfall miteinander zu bestehen.

Ist das einzige Szenario dafür, von einer potenziellen Aggression auszugehen, oder ließe sich auch auf eines hinarbeiten, das weniger Eskalationspotenzial hat?

Europa muss auf allen Ebenen in der Lage sein, aus einer Position der Stärke zu verhandeln, auch militärischer Stärke, nach dem Prinzip: Hoffe auf das Beste, aber sei auf das Schlimmste vorbereitet. Dies, um dem Gegenüber zu verstehen zu geben, griffe er an, hätte das vielleicht einen Preis, den er nicht bereit wäre zu bezahlen. In dieser Logik denkt die Luxemburger Verteidigungspolitik nicht. Die EU als Ganzes auch nicht. Es wird zwar so geredet, aber einen Block von 27 Ländern dazu zu bringen, kollektiv so zu überlegen, ist etwas ganz anderes.

Eigentlich wäre das eher Sache der Nato, oder?

Das sollte in erster Linie das wichtigste Anliegen der Europäer sein, sei es in der Nato oder in der EU. Natürlich müssen auch die USA, auch über ihre Rolle in der Nato, weiterhin Interesse an stabilen Verhältnissen in Europa haben.

US-Verteidigungsminister Pete Hegseth sagte im Februar bei seiner ersten Zusammenkunft mit den anderen Nato-Ministern, angesichts neuer strategischer Realitäten sei es nun an den Europäern „to step into the arena and take ownership of the conventional security of the continent“.

Das heißt aber nicht, dass die USA damit nichts mehr zu tun haben wollen. Ich verstehe Hegseth so, dass wir es sind, die in Europa wohnen. Wir haben ein schönes Haus und einen schönen Garten. Also müssen wir den Rasen mähen und vor dem Haus fegen. Wenn es brennt, wären die USA nach wie vor bereit, Feuerwehr zu spielen oder der Feuerwehr aus dem Nachbardorf zu helfen. Sie akzeptieren aber nicht mehr, dass die Hauptlast auf ihren Schultern liegt. Hegseth ist nicht der Erste, der das sagt.

Die USA würden demnach den Führungsanspruch in der Nato nicht aufgeben wollen?

Sie ziehen aus der Führungsrolle Vorteile. Es ist nicht unüblich, dass sich in einer Organisation wie der Nato die jeweiligen Erwartungshaltungen an eine faire Lastenteilung verschieben und sich die sicherheitspolitischen Schwerpunkte der einzelnen Mitglieder verlagern. Die USA erwarten heute von uns, dass wir sie in ihrer strategischen Konkurrenz mit China entlasten. Donald Trumps Handelspolitik ist allerdings desaströs. Er hat es fertiggebracht, dass nun Länder und Blöcke miteinander reden, die nicht unbedingt dafür prädestiniert waren, sich schnell zu einigen – gegen die Amerikaner. Auch wenn das zunächst nur auf wirtschaftlicher Ebene geschieht wegen der Zoll-Ankündigungen.

Wenn er damit auch Alliierte vor den Kopf stößt und sich obendrein, was er mehrfach gesagt hat, Kanada und Grönland „nehmen“ will, schafft er damit nicht Anreize, sich militärisch ohne die USA aufzustellen? Vielleicht als EU alleine oder als Nato ohne die Amerikaner?

Jetzt gleich das Kind mit dem Bad ausschütten zu wollen, wäre ein gefährlicher Ansatz. Das atlantische Bündnis sollte weiterhin eine tragende Säule europäischer Sicherheit bleiben. Sein Fortbestand sollte unabhängig vom Gebaren einzelner Akteure betrachtet werden. Andererseits werden wir uns als Europäer sicherheitspolitisch eigenständiger aufstellen müssen, sei es als EU oder innerhalb der Nato.

Ministerin Yuriko Backes sagte vor einer Woche im Wort auf die Frage „Verteidigen ohne die USA“, auch ohne sie „haben wir in Nato und EU Atommächte“.

Von solchen Dingen spricht man am besten nicht, solange man nicht genau weiß, wohin das führt. Im Moment hat niemand den amerikanischen Atomschirm infrage gestellt. Wir sollten das auch nicht tun, um niemanden auf irgendwelche Gedanken zu bringen. Und ehe in Europa etwas anderes verfügbar gemacht würde, müsste man ganz sicher sein, was das sein soll.

Was folgt Ihrer Ansicht nach aus all dem für Luxemburg, strategisch gesehen?

Das Bewusstsein hat zugenommen, dass etwas geschehen muss. Eine Strategie zu entwickeln, würde voraussetzen, sich in die Zukunft zu projizieren: Wie soll unsere Verteidigung in fünf Jahren, in zehn Jahren aussehen? Im Armeegesetz steht an vorderer Stelle, die Aufgabe der Armee sei die Verteidigung des Landes. Wenn man das jetzt wörtlich nähme, würden sich Entscheidungen zur Wiedereinführung einer Wehrpflicht und einer Reserve regelrecht aufdrängen.

Da Luxemburg Nato-Mitglied ist, wäre die Verteidigung des Landes nicht Sache allein der Armee.

Eben. Für mich folgt daraus, dass strategische Überlegungen fundamental neu angestellt werden müssen: Was müssen wir machen? In welchem Zeitraum wollen wir es realisieren? Mit wem wollen wir was gemeinsam entwickeln? Wissend, dass wir uns nicht verzetteln dürfen. Zwei Strategiepapiere wurden geschrieben, das erste 2017, das zweite 2023. Solche Papiere können nur glaubwürdig sein, wenn langfristige Ziele nachvollziehbar sind, und wenn es für konkrete Vorhaben einen Plan zur Umsetzung gibt, mit Zwischenzielen und Endzielen. Die erste Strategie von 2017 war vielleicht ein wenig zu konkret, die von 2023 dagegen ist zu unbestimmt.

Kommen solche Ziele nicht von der Nato? Die Verteidigungsministerin hat in den letzten Monaten immer wieder gesagt, bald kämen „neue Targets“, und sie rechne mit „sehr ehrgeizigen“.

Diese Ziele sind kein Überraschungspaket. Sie entstehen innerhalb eines strukturierten Planungsprozesses, wie ihn übrigens auch die EU betreibt. Sie sind auch nicht die Zehn Gebote. Hätten sie diesen Stellenwert, gäbe es die Diskussionen über BIP-Prozentanteile für die Verteidigungsausgaben nicht. In der Nato gibt es einen Planungsprozess. In seiner ersten Phase einigen sich die Alliierten sich kollektiv darauf, welche Bedrohungen es abzuwenden gilt. Daraus entwickelt die Nato ein Paket an Fähigkeiten, die gebraucht werden. Das Paket wird unter den Staaten möglichst fair aufgeteilt. Nationalen Besonderheiten wird Rechnung getragen, etwa dass Luxemburg weniger mit Personal, dafür aber mehr mit finanziellen Mitteln zu hochwertigen Fähigkeiten beitragen kann. Heraus kommen Vorschläge, welche Beiträge jeder Alliierte leisten kann, um den kollektiven Bedarf zu decken. Der ganze Prozess ist interaktiv. Vieles ist also verhandelbar, unter der Voraussetzung einer fairen Lastenteilung.

Sie haben vor kurzem in einem Gastbeitrag im Wort geschrieben, in Luxemburg laufe die Investitionspolitik ständig steigenden budgetären Zielen hinterher, statt Fähigkeiten vorausschauend aufzubauen. Wie meinen Sie das?

Ein Beispiel sind die Betankungsflieger MRTT. Das Projekt zielt darauf ab, eine europäischen Fähigkeitslücke in der Nato und der EU schließen zu helfen. Unter der Leitung der Niederlande wurde das Vorhaben innerhalb der europäischen Verteidigungsagentur verfolgt. Beim Nato-Gipfel 2016 in Warschau war neben den Niederlanden nur Luxemburg in der Lage, das MRTT-Memorandum zu unterschreiben. Die Anerkennung für die Starthilfe für ein sinnvolles europäisches Vorhaben war ein beachtlicher politischer Erfolg, von dem wir noch heute zehren. Doch Verteidigungsminister Etienne Schneider musste davon überzeugt werden, die Idee seines Amtsvorgängers weiter zu verfolgen. Zunächst hatte er sie gestoppt. Bei Regierungswechseln können sich mit der Parteifarbe des zuständigen Ministers auch die Prioritäten ändern.

War das unter dem nächsten Minister auch so?

Minister François Bausch stoppte nicht MRTT, aber mehrere andere Ideen, die im Strategiepapier von 2017 angeführt waren. Budgetär war das ein Problem, weil dadurch eine Lücke in der bestehenden Planung entstand. Zusätzlich war die budgetäre Zielvorgabe mittlerweile auf ein Prozent des BIP gestiegen. Unter Minister Schneider war der Luxemburger Beitrag zum MRTT-Vorhaben mit 172 Millionen Euro berechnet worden. Um die entstandene budgetäre Lücke zu schließen, wurde MRTT auf 600 Millionen aufgestockt. Auf solche Zusammenhänge wollte ich mit meinem Artikel hinaus. Belegt man die Planung mit zu kurzfristig gedachten Grenzen, die dann nacheinander gerissen werden, verfügt man schlussendlich nicht mehr über einen flexiblen Plan mit eingebautem Aufwuchspotenzial. Schon das Ziel der Armeereform von 2007 lautete: Schluss mit Scheckheftpolitik, wir wollen nützlich sein. Statt zusätzliche 400 Millionen Euro für den MRTT auszugeben, hätte man das Geld vielleicht anders, politisch und militärisch wirkungsvoller einsetzen können – entsprechende Pläne natürlich vorausgesetzt. Ich verrate übrigens keine Interna. Das kann man alles in öffentlich zugänglichen Quellen nachlesen.

Steckt darin nicht auch das generelle Problem Luxemburgs mit seinem hohen BIP sinnvolle Investitionen zu finden? Der Maßstab wurde ja auch auf das Bruttonationaleinkommen BNE herunter verhandelt.

Gerade deshalb muss man langfristiger, strategischer fragen, welche Investitionen sinnvoll und relevant sind. Die Diskussion BNE statt BIP war Energieverschwendung.

Warum?

Trotz seiner Unzulänglichkeiten ist das BIP-Kriterium bislang Konsens in der Nato. Diskussionen um differenziertere Kriterien werden zwar regelmäßig angestoßen, scheitern aber an der Schwierigkeit, komplexe Sachverhalte in politisch einfach vermittelbare Zielvorgaben zu übersetzen, wie es mit dem BIP möglich ist. Als Ergebnis solcher Debatten gab es schon ein Dokument, das zwar nicht öffentlich war, aber in einer Fußnote feststellte, dass für Luxemburg wegen seiner speziellen Situation das BNE vielleicht das bessere Kriterium sei. Russlands Vorgehen in der Ukraine setzte der Diskussion vorläufig ein Ende und die Alliierten wurden wieder zur Erfüllung des Zwei-Prozent-Kriteriums aufgefordert. Da verpflichtete Luxemburg sich zu 0,7 Prozent. Hier setzte dann der Versuch an, den effort de défense zu deckeln, zunächst bei 0,7 Prozent, dann ein Prozent des BIP, um schließlich bei zwei Prozent des BNE anzukommen.

Aber Luxemburgs BIP ist hoch, es geht um viel Geld.

Entscheidend für unseren Stand in der Nato ist am Ende, wie wir zu eingegangen Verpflichtungen stehen. Dazu zählt die Erfüllung der Ziele im Nato-Planungsprozess. Die wichtigste Währung ist hier Vertrauen und Zuverlässigkeit. Statt der offensiven Diskussion um die Deckelung unseres Beitrags wäre es nachhaltiger gewesen, Aspekte der langfristigen Kohärenz in den Strategiepapieren von 2017 und 2023 stärker herauszuarbeiten. Dies betrifft besondere Partnerschaften, wie etwa traditionell mit Belgien, und Vorhaben von europäischem Nutzen. Nur mit dem Bekenntnis zu langfristigen Verpflichtungen lassen sich auch die gewünschten wirtschaftlichen Niederschläge der Verteidigungsausgaben realisieren.

Demnächst könnte das Ziel drei Porzent lauten oder 3,5. Donald Trump spricht von fünf Prozent.

Ein Grund mehr, sich langfristiger aufzustellen, mit einer Trajektorie, die man einhält, und ohne politisches Porzellan zu zerschlagen. Welche Zeitschiene mit höheren Ausgaben verbunden sein wird, bleibt noch abzuwarten.

Was halten Sie von der Wehrpflichtdiskussion?

Eine Wehrpflicht ist ein Mittel, um bestimmte Ziele zu erreichen. Bevor man über die Einführung einer Wehrpflicht spricht, müsste man sich also über die damit verfolgten Ziele im Klaren sein. Dann stellte sich die Gerechtigkeitsfrage: Wer wäre davon betroffen? Im sehr spezifischen luxemburgischen Kontext öffnet die Frage nach dem Zielpublikum ein weites Feld zu gesamtgesellschaftlichen Fragen. Man kann die Einführung einer Wehrpflicht also keineswegs als rein technische Frage behandeln.

So gesehen, sollte man vielleicht die Finger von der Wehpflicht lassen.

Vielleicht. Im Zusammenhang mit der Wehrpflicht wird ja auch von einer Verbesserung der nationalen Resilienz gesprochen. Wir hatten am Anfang des Gesprächs Finnland erwähnt. Vielleicht ist die finnische Gesellschaft deshalb so resilient, weil sie recht homogen ist. In Luxemburg stellt sich das ganz anders dar, wenn man die Zusammensetzung der ansässigen Bevölkerung und mehr noch die der nationalen Arbeitskraft betrachtet.

Dass es anstelle einer Fortsetzung der Wehrpflichtdiskussion eine Resilienzdiskusssion geben könnte, ist vielleicht ganz wahrscheinlich. Der Begriff wird in vielen Zusammenhängen gebraucht.

Eine resiliente Gesellschaft braucht zur Identifikation ein einendes Projekt. Leider vermögen es die größeren Volksparteien nicht mehr, ein konkretes Projekt zu vermitteln. Die populistische Rechte lockt mit der Wiederherstellung einer verklärten Vergangenheit, die es so nie gegeben hat. Sie liefert also auch keine Antworten auf die heutigen Herausforderungen. Luxemburg als Ganzes kann nur resilient sein, wenn alle, die zum Funktionieren des „Luxemburger Modells“ beitragen, sich auch an dessen Verteidigung beteiligen können. In der nationalen Arbeitswelt stellen die Luxemburger heute deutlicher weniger als ein Drittel der Arbeitskräfte. Eine zur Gesamtbevölkerung verhältnismäßige substanzielle Vergrößerung der Personalstärke unserer Verteidigung wird sich also kaum ohne Anzapfung anderer Potenziale erzielen lassen.

Was hieße das für Sie konkret? Die Berufskarrieren in der Armee auch für Nicht-Luxemburger öffnen?

Darüber könnte man diskutieren. Aber vorher müsste man sich darüber klar werden, welchen Zielen das dienen soll. Es kommt in Luxemburg ja nicht selten vor, dass über Mittel entschieden wird, ehe man weiß, wozu. Die Gefahr, die heute von Russland ausgeht, und die aufkommenden Zweifel am amerikanischen Beistand haben den zweifelhaften Vorteil, dass sie unseren Blick auf essenzielle Notwendigkeiten zur Erhaltung des Friedens auf dem europäischen Kontinent fokussieren. Feindbilder sind leider auch ein Einigungsfaktor. Langfristig obliegt es jedoch den unserer Demokratie verpflichteten Parteien, den Bürgern zu erklären, worum es geht, was unser gemeinsames europäisches Projekt ist, und zu sagen, welche Opfer wir bereit sind zu leisten, um unsere Vorstellung von einer freien Gesellschaft zu verteidigen – denn noch muss niemand Churchill zitieren1.

Peter Feist
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