Wir und der Nahe Osten

Allerlei Diktatoren

d'Lëtzebuerger Land du 26.08.2011

Kaum hatte die Nato den libyschen Aufständischen den Weg nach Tripolis freigebombt, da verbreiteten die sonst nur noch selten gemeinsame Standpunkte findenden Benelux-Regierungen triumphierend eine Erklärung, in der sie sich über das bevorstehende Ende der libyschen Diktatur freuten und etwas voreilig die Festnahme von Saif al-Islam Gaddafi begrüßten. Die gemeinsame Erklärung kommt insofern überraschend, als Brüssel, Den Haag und Luxemburg es wenige Monate zuvor nicht für nötig gehalten hatten, mit ähnlichen Erklärungen ihre Freude über das bevorstehende Ende der tunesischen und ägyptischen Diktatur zu teilen. Luxemburgs bis dahin herausragender Beitrag zum arabischen Frühling war Anfang des Jahres die Gründung des Luxembourg-Saudi Arabia Business Council, um ausgerechnet mit der rückständigsten Diktatur der Region ins Geschäft zu kommen. Während Außenminister Jean Asselborn fast gleichzeitig so leidenschaftlich für den Aufstand in Libyen Partei ergriff, dass er von Premier Jean-Claude Juncker zurückgepfiffen wurde.

Mit der überschwänglichen Freude über den baldigen Sturz des Diktators Muammar Gaddafi scheinen die Benelux-Regierungen die Frustration darüber zu kompensieren, dass sie sich zu Beginn des arabischen Frühlings nicht so recht über den Sturz der Diktatoren Zine el-Abidine Ben Ali in Tunesien und Husni Mubarak in Ägpyten zu freuen trauten. Denn beide Diktatoren waren treue Verbündete in einer als unsicher empfundenen arabischen Welt, so dass es als unschicklich galt, sie überhaupt Diktatoren zu nennen. Dass es sich mit ihrem libyschen Kollegen etwas anders verhält, lässt sich schon an dem halben Dutzend großherzoglicher Reglemente ablesen, die zwischen 1992 und 2004 Wirtschaftssanktionen gegen Libyen verhängten, lockerten und wieder aufhoben. Je nachdem, ob Libyen gerade wegen des Anschlags von Lockerbie zum Schurkenstaat erklärt und bombardiert oder dafür belohnt wurde, dass es mit seiner Erdölrente militärische und zivile Güter kaufte oder half, Afrikaner abzufangen, die über das Mittelmeer in den Schengen-Raum einwandern wollten.

Dass der etwas eigensinnige Muammar Gaddafi immer nur zeitweilig ein Verbündeter war, erklärt auch den unterschiedlichen Verlauf des arabischen Frühlings in Tunesien, Ägypten und Libyen. Durch ihre langjährigen und kostspieligen Beziehungen zum ägyptischen und tunesischen Militär war es vor allem den USA möglich, dieses dazu zu bewegen, unter dem Druck der Bevölkerung das Staatsoberhaupt der verbündeten Diktatur zu opfern, um den Staatsapparat der verbündeten Diktatur zu erhalten. Da die libyschen Offiziere aber weder in den USA, Frankreich und Großbritannien ausgebildet, noch bezuschusst wurden, verhielten sie sich loyal, so dass die Nato nachhelfen musste. Doch weil der libysche Staatsapparat schon vor dem Sturz des Regimes nur noch eine Ruine war, ist der weitere Verlauf des Aufstands angesichts einer nun reichhaltig bewaffneten Bevölkerung und eines etwas zwielichtigen Natio[-]nalen Übergangsrats weit unberechenbarer.

Doch dürfte Libyen bald von den Titelseiten der Zeitungen verschwunden sein. Denn nun wird sich die Aufmerksamkeit auf Syrien richten, dessen Diktator ebenfalls zu den eigenwilligeren beziehungsweise weniger verbündeten gezählt wird. Dass, anders als in Libyen, die Aufständischen in Syrien trotzdem kaum auf politische und schon gar nicht militärische Unterstützung zählen können, hängt in erster Linie damit zusammen, dass Syrien eine Grenze mit Israel teilt. Schließlich warten die Palästinenser schon seit Jahrzehnten darauf, dass die Nato ihnen Luftschutz im Kampf gegen die israelische Kolonisierung bietet.

Romain Hilgert
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