Luxemburgensia

Als es noch hell war

d'Lëtzebuerger Land du 01.05.2020

Um den Jahreswechsel 2008-2009 war Guy Helminger im Rahmen einer vom Deutschen Haus in Sanaa ausgerichteten Autorenresidenz für einen Monat im Jemen. Während seines Aufenthalts schrieb er ein Blog, das Ende vergangenen Jahres, also rund zehn Jahre nach der Reise, bei Capybarabooks erschienen ist. Dass Blogs in Buchform veröffentlicht werden, ist vielleicht nicht ungewöhnlich, dass das so spät nach ihrer ersten Veröffentlichung geschieht, hingegen schon. Die Ausmaße, die der seit fünf Jahren andauernde Bürgerkrieg im Jemen angenommen hat, lassen ein Festhalten an diesen Texten dringlicher erscheinen: Es geht hier nicht lediglich um die rein persönliche Erfahrung. Das Land, das Helminger in seinem Blog porträtiert hat, gibt es so nicht mehr.

Dabei hätte es auch das Blog offenbar beinahe nicht gegeben. Bei seiner Ankunft in Sanaa muss der „Luxemburger Autor aus Köln“, wie sich Helminger gerne nennt, erst einmal seine Herkunft erklären. „Luxemburg? Was soll das sein?“ Die Beamten am Flughafen sind ratlos. Fast sieht sich der Schriftsteller schon im nächsten Flugzeug zurück nach Europa fliegen. Dass es dann doch klappt: ein Glück, für den Autor sowohl als für den Leser. Die Lehmbauten des Lichts hält ein schönes Gleichgewicht zwischen der Begeisterung Helmingers für sein Gastland und seiner Empfänglichkeit für Kritikwürdiges, zwischen Offenheit und Distanz. „In mir wabert ein prall gefüllter Glücksballon“, schreibt er nach seinem ersten Erkundungsgang, der ihn beeindruckt von der Schönheit der Stadt und mit einer „Gier nach Eindrücken“ zurücklässt. Die Freude an der neuen Umgebung erhält sich der Autor bis zum Ende seiner Reise, und er weiß sie auf den Leser zu übertragen.

Viel von dem, was man in diesem Buch über den Jemen von vor zehn Jahren erfahren kann, wird weniger über die Beschreibungen und die Fotos transportiert, als vielmehr über die Wiedergabe von Gesprächen. Die Begegnungen reichen von den unbeholfenen Versuchen Helmingers, eine Handykarte oder Klopapier zu erstehen, über Gespräche mit Fremdenführern und Taxifahrern, bis zu heftigen Auseinandersetzungen mit der jemenitischen Geheimpolizei. Dass solche Gespräche sich überhaupt ereignen, dazu trägt sicher auch Helmingers bemerkenswerte Bereitschaft bei, sich auf alles und jeden einzulassen: Er geht jeder unerwarteten Geräuschkulisse nach, spricht mit allen, die seinen Weg zufällig oder planmäßig kreuzen, nimmt jede Einladung an.

Auf diese Weise kommt es zwar vor, dass sich ein Gesprächsangebot als Floskel, als Verkaufsstrategie oder Bekehrungsversuch zum Islam herausstellt, aber Helminger erhält auch Einblicke, die einem schüchterneren Reisenden verwehrt geblieben wären. Seine Fähigkeit, Begegnungen einerseits unvoreingenommen anzugehen und sich dabei andererseits nicht völlig zurückzunehmen, macht die Einzigartigkeit dieser Reisebeschreibungen aus. Die Unverdrossenheit, mit der Helminger jede neue Situation angeht, mit der er zuweilen auch fehlgeschlagene Unternehmungen hinnimmt, macht ihm sicher nicht viele nach. Das Erfolgsrezept scheint zu sein, sich gerade manchmal aus der Ruhe bringen zu lassen.

Vielleicht musste man in jenem Januar 2009 Guy Helminger sein, um erleben zu können, was Guy Helminger 2009 erlebt hat: mit einem zwielichtig wirkenden Taxifahrer Witze über Entführungen reißen, einen pöbelnden Marktbesucher anschreien, man verspeise „Typen wie ihn zum Frühstück“, den Agenten der Geheimpolizei nach einer abenteuerlichen Verfolgungsjagd wütend ihre Misstrauen erweckende Gewandung vorhalten. Helminger beschreibt mehr als eine Begegnung, die auch weniger glimpflich hätte ausgehen können, vor allem für jemanden mit weniger robustem Naturell. Doch auch eine offene Haltung und ein gesundes Selbstbewusstsein können gewisse Grenzen nicht überwinden. Da er sich mit Frauen kaum unterhalten darf, bleiben trotz einiger vorsichtiger Ausnahmen wesentliche Teile der jemenitischen Gesellschaft von vornherein verschlossen. Helminger reflektiert diese Grenzen, gibt zum Teil auch Erklärungen zu den politischen und historischen Hintergründen. Als aufmerksamem Reisenden, und auch das ist beeindruckend, gelingt es ihm, einige Bruchstellen des späteren Konflikts nachzuzeichnen: die Ausmaße der Korruption, die politischen Spannungen, die Grenzen des öffentlich Sagbaren, die wirtschaftliche Not.

Wie sollte man diese Reisebeschreibungen nicht gerne lesen? Wer sich schwach zeigt, sei im Unrecht, erklärt gerade noch der Fahrer. Bei Problemen im Straßenverkehr gelte es, aus dem Wagen zu springen, mit einem Knüppel zu fuchteln und zu schreien. Es hat nichts Naives, wenn Helminger notiert, was er seiner Schwester am Telefon sagt, als sie fragt, ob alles in Ordnung sei: „Klar,“ antworte ich, „es ist großartig hier.“

Guy Helminger: Die Lehmbauten des Lichts. Aufzeichnungen und Fotos aus dem Jemen. 223 Seiten, 20 Euro, Capybarabooks, Luxemburg 2019.

Elise Schmit
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