Always look on the bright side of life: Etwas Positives kann der Präsident der Sécurité routière dem Umstand abgewinnen, dass vier große Versicherungsgesellschaften ab nächstem Jahr nicht mehr als Hauptsponsoren der ASBL zur Verfügung stehen wollen. „Sie geben uns damit zu verstehen, dass unser Lobbying Wirkung hat“, sagt Paul Hammelmann. Das stimme ja auch: In den Aktionsplan für Verkehrssicherheit, den Mobilitätsministerin Yuriko Backes (DP) Ende Januar vorgestellt hat, seien quasi alle Vorschläge der Sécurité routière übernommen worden.
Doch mit dem Ausstieg von Foyer, Lalux, Axa und Bâloise als Sponsoren endet eine Ära. Als die Sécurité routière ASBL im September 1960 von CSV-Transportminister Pierre Grégoire aus der Taufe gehoben wurde, zählten die privaten Versicherer zu den insgesamt 16 Gründern. Neben der Croix-Rouge, dem Automobilclub, dem Motorradfahrerverband Motor Union, dem Garagistenverband Fegarlux und neun verschiedenen Kassen der Sozialversicherung. In dem am 25. Oktober 1960 im Mémorial veröffentlichten Gründungsdokument steht für Le Foyer der damalige Verwaltungsratspräsident Marc Lambert, für La Luxembourgeoise der damalige Direktor Aloyse Gausché. Dritter im Bunde war die Organisation mit dem langen Namen Syndicat des compagnies étrangères d’assurance opérant au Grand-Duché de Luxembourg: alle anderen Versicherer neben Foyer und La Luxembourgeoise.
Es war die Zeit der vielen schweren Verkehrsunfälle. Das Lëtzebuerger Land vom 30. September 1960 schrieb, die „jährlich rund 80 Verkehrstoten, die etwa 500 Krüppel und die zirka 1 500 mehr oder weniger langen Arbeitsunfähigkeiten“ müssten für die neue Organisation Sécurité routière Grund sein, „eine ernste, konkrete Arbeit zu leisten“. Um eine Verkehrserziehung einzurichten, „sollte [man] unverzüglich Vertreter des Volks- und Mittelschulpersonals als Mitglieder zuziehen“.
Wegen der hohen Schadenssummen interessierte das Thema die Versicherer. Einerseits waren Autohaftpflicht und allgemeine Haftpflicht ein gutes Geschäft. La Luxembourgeoise zum Beispiel, das geht aus dem von ihr 2020 herausgegebenen Jubiläumswerk La Luxembourgeoise. 100 ans d’assurances hervor, nahm 1965 an Prämien auf Auto- und Allgemeinhaftpflichtverträge 64,3 Millionen Franken ein. Lebensversicherungen trugen mit 48,3 Millionen deutlich weniger bei. Doch die Autohaftpflicht war ein prekäres Segment, 1964 war es bei La Luxembourgeoise um 397 153 Franken defizitär geworden. Damals regulierte der Staat die Autohaftpflichtprämien. Für alle Versicherer galt eine prime unique. Erhöhungen mussten mit der Regierung verhandelt werden. Das konnte dauern: Ab Mitte der Fünfzigerjahre wollten die Versicherer die wechselnden Regierungen überzeugen, einer Tariferhöhung zuzustimmen. 1966 wurde sie gewährt. Prompt nahm La Luxembourgeoise 11,5 Millionen Franken mehr auf Auto- und Allgemeinhaftpflichtverträge ein. Ein Bericht des Verwaltungsrats ein Jahr später präzisierte, das sei auf die gestiegene Zahl der Autos und die neuen Autohaftpflichttarife zurückzuführen gewesen.
Weil Sicherheit auf der Straße und Unfallprävention Auswirkungen auf die zu versichernden Risiken haben, spielten die Versicherer in der Sécurité routière keine Nebenrolle. Bestes Beispiel ist der aktuelle Präsident: Im Mai 1980 war der Anwalt Paul Hammelmann freiberuflicher Rechtsberater beim Verband der Versicher (Aca) geworden. Im selben Jahr wurde er Konten-Kommissar der Sécurité routière, später Verwaltungsratsmitglied, als Lalux-Präsident Robert Hentgen (Vater des heutigen Präsidenten Pit Hentgen) den Vorsitz des CA der Sécurité routière übernommen hatte. Den gab Robert Hentgen 1994 an Paul Hammelmann ab, der wiederum 1990 administrateur délégué der Aca geworden war.
Wie La Luxembourgeoise spielte auch Foyer eine führende Rolle in der ASBL. Foyer-PDG Marc Lambert saß in ihrem Verwaltungsrat ab dessen erster Zusammensetzung vom 21. September 1960. 1982 wurde er sein Vizepräsident. Aber auch Führungsleute anderer großer Unternehmen nahmen im board der ASBL Platz: Emmanuel Tesch etwa, Präsident der Arbed von 1972 bis 1991, war im Dezember 1965 als Vertreter des Automobilclubs in den CA der Sécurité routière gekommen. 1968, mittlerweile Präsident des ACL, wurde er Vizepräsident der Sécurité routière.
Bei so viel Tradition und Namen mit Ruf und Rang in der 65-jährigen Biografie der ASBL nimmt es nicht Wunder, dass von den vier Versicherungsgesellschaften keine sagen will, weshalb sie sich als Sponsor der ASBL zurückzieht. Oder von wem die Idee dazu kam. Alle verweisen auf Marc Hengen, Paul Hammelmanns Nachfolger als administrateur délégué der Aca. Im „Journal“ von RTL-Télé am 8. April hatte Marc Hengen in einer Videoschaltung kurz Stellung genommen. Die Versicherer seien nicht der Ansicht, dass es für die Sécurité routière nichts mehr zu tun gäbe. Sie fänden jedoch, die Finanzierung der ASBL sollte besser der Staat übernehmen. Die Versicherer wollten sich „anderen Projekten“ zuwenden.
Welche das sein könnten, ist eine interessante Frage. Monetär ist die Unterstützung der Sécurité routière für die Versicherer ein Klacks. 275 000 Euro umfasst sie dieses Jahr, schon ein einziger kleiner Körperschaden nach einem Verkehrsunfall kann einen Versicherer mehr kosten. Dem Land erklärt Marc Hengen in einer E-Mail, die neuen Projekte seien „noch nicht spruchreif“. Eventuell könnten sie in den Bereichen „Naturkatastrophen und Cyber“ liegen.
Dass das Risiken sind, für die Versicherer Produkte entwickeln, leuchtet ein. Dass sie stehen oder fallen, wenn knapp 300 000 Euro an Sponsoring eingespart wird, dagegen nicht. Ohnehin sind Prävention und Abwehr von Cyber-Angriffen Aufgaben des Staates über die Direction de la défense und das Hochkommissariat für nationale Sicherheit. Auch das für den Katastrophenschutz zuständige CGDIS dürfte kein Sponsoring der Versicherer nötig haben; dieses Jahr erhält es allein aus dem Budget des Innenministeriums 78 Millionen Euro, doppelt so viel wie 2024. Auf Nachfrage erwidert Marc Hengen nur, es handele sich „hauptsächlich um zwei neue Risiken, für die die Versicherungen in Frage kommen können“. Doch noch sei nichts spruchreif.
Vielleicht haben sich vor allem die Bedingungen geändert, unter denen Unfallschäden versichert werden. In den Siebzigern war die Zahl der Verkehrstoten gegenüber den Sechzigern weiter gewachsen. 1970 wurde der traurige Jahresrekord von 132 erreicht. 1980 zitierte Robert Hentgen, damals auch Aca-Präsident, im Leitartikel des Bulletin Nr. 30 der Sécurité routière eine Statec-Erhebung, die von „cent morts et mille blessés graves par année“ sprach. Weil die Versicherer damit unmittelbar konfrontiert seien, liege ihnen die Unfallprävention so am Herzen, schrieb Hentgen. 1979 hätten sie mit 70 Prozent den Löwenanteil zur Finanzierung der ASBL beigesteuert, weil ihnen klar sei, dass diese Ausgaben „indispensables dans l’intérêt des usagers de la route et par la même des preneurs d’assurance“ seien.
Doch damals gab es noch die vom Staat verordnete prime unique für die Autohaftpflicht. Seit der Liberalisierungswelle in der EU in den Neunzigern herrscht freie Konkurrenz. Haftpflichtversicherungen verkaufen sich gut im Bündel mit Kasko und Unfallversicherung. 2024 war, wie die „Key Figures“ auf der Aca-Internetseite zeigen, das Segment „Motor“ mit 612 Millionen Euro das einträglichste im „Non-life business“. Und die Unfallzahlen, auch wenn sie nach wie vor zu hoch sind, liegen heute niedriger als in den Siebzigern. Dennoch sind nicht nur hierzulande die Versicherer an der Prävention und ihrer Finanzierung beteiligt. In Dänemark, Schweden und Norwegen ist das auch so. Und in der Schweiz. Das prägnanteste Beispiel ist vielleicht Frankreich: Die ASBL Prévention routière – privates Pendant zur staatlichen Sécurité routière – über eine prozentuale Abgabe auf die Autohaftpflicht-Prämien mitzufinanzieren, sind die französischen Versicherer verpflichtet. So weit wollte in Luxemburg nie jemand gehen.
Nächsten Monat, das war schon in der Presse zu lesen, wird Paul Hammelmann mit der Mobilitätsministerin über die Finanzierung der Sécurité routière sprechen. Der Staat ist bereits Sponsor, für 2025 stehen 125 000 Euro für die ASBL im Staatshaushalt. Ihr Präsident meint, vielleicht sei es nur eine Formsache, dass der Staat auch den Aca-Anteil übernimmt. Paul Hammelmann glaubt nicht, dass die ASBL dann an Unabhängigkeit verlöre: „Schon heute haben wir Staatsvertreter im CA. Weder unter den Ministern Claude Wiseler (CSV) und François Bausch (Grüne), noch unter Yuriko Backes jetzt haben sie gegen einen Beschluss gestimmt, der für den Staat heikel war.“ Dann hätten sie sich enthalten.
„Auf jeden Fall muss ich die Gehälter meiner vier Mitarbeiter bezahlen“, sagt Hammelmann. Und verweist darauf, dass Lobbying für Verkehrssicherheit nicht alles ist, was die Sécurité routière leistet. Die allgemeinverständliche Ausgabe des fast unlesbaren Code de la route gibt sie in drei Sprachen heraus. In Buchform und für die Fahrschulen; angelehnt an das Vademecum, das die Polizei nutzt, weil auch für sie der seit 70 Jahren durch immer neue Verordnungen ergänzte und noch nie koordinierte Code schwer zu gebrauchen ist. „Stellen wir den Code de la route populaire nicht mehr her, kann in Luxemburg niemand mehr den Führerschein machen!“, trumpft Hammelmann auf. Ein bisschen Zuspitzung kann nicht schaden, wenn es vielleicht nicht ums Überleben, aber um Gehälter geht.
Und dem Vernehmen nach gab es im CA der ASBL einige Empörung, als bekannt wurde, dass die Versicherer sich als Sponsor zurückzögen. Öffentlich spricht davon niemand, aber dass damit eine Tradition bricht und eine wirtschaftliche Elite ihren Abstand nimmt, wird offenbar so empfunden. Weil im Juni die nächste Generalversammlung ansteht, wird die Neubesetzung des Verwaltungsrats, je nachdem, wer Sponsor wird, rasch vonstatten gehen müssen. Paul Hammelmann sagt, eigentlich habe er aufhören wollen nach 45 Jahren Sécurité routière. Nun wird er noch einen Elitenwechsel miterleben.