Zufallsgespräch mit dem Mann in der Eisenbahn

Kit de survie

d'Lëtzebuerger Land du 25.04.2025

Premier Luc Frieden wollte dem Parlament keine Angst einjagen. Mit „mar ass Krich. Mir mengen net, datt dat de Fall ass. Ma dat kann een au vu vun där ganz spezieller Situatioun, déi mer och schons hei bannen diskutéiert hunn, mat Russland, mat Ännerungen an Amerika, kann ee keng Situatioun ausschléissen.“ Deshalb plane die Regierung, „en nationale Resilienzplang opzestellen. Resilienz heescht jo op Däitsch am Fong Widerstandsfähegkeet“ (1.4.25).

Resilienz ist ein Lieblingswort Neoliberaler. Resilienz heißt, Überstunden, Arbeitslosigkeit, Armut, Finanzkrisen, Erderwärmung, Krieg nicht zu verhindern oder zu beenden, sondern verbissen zu ertragen. Cassius Dio bezifferte Senecas Vermögen auf 300 Millionen Sesterze (Historia Romana, LXI, 10). Seneca predigte den Römern Stoizismus.

Die LSAP kennt sich aus. Sie brachte gleich einen Antrag ein „visant à renforcer la résilience“. Bis auf zwei linke meldeten sich alle Abgeordneten ins Team Luc Burgfrieden. Der Antrag verlangt die Einführung eines „EU Preparedness Day“, eine „information claire, ciconstanciée et utile [...] au sujet du kit de survie de 72h“.

Am 26. März veröffentlichte die Europäische Kommission eine „European Preparedness Union Strategy“. Dazu gehören Richtlinien „for Member States to reach population self-sufficiency of at least 72 hours“ (S. 10). Die Zivilbevölkerung soll sich selbst helfen. Jeder ist seines Glückes Schmied. Guter Rat ist billiger als Atombunker.

Vor drei Jahren reagierte das Haut commissariat à la protection nationale auf den russischen Überfall auf die Ukraine. Es arbeitete einen Merkzettel aus für die Zusammenstellung eines „Kit en situation d’urgence“. Um drei Tage im Keller zu überleben, sind nötig: Trinkwasser, Dosenravioli, Kerzen, Bargeld, Kofferradio, Seife, Spielkarten, Medikamente...

Das Hochkommissariat machte keine Werbung für seine Empfehlungen. Die Politiker sind in einem Zwiespalt. Sie wollen keine Kriegsangst schüren. Die sie rasch überfordern würde. Gleichzeitig müssen sie Kriegsangst schüren. Um maßlose Militärausgaben zu rechtfertigen. Viele zögern noch. Reden gewunden von „Kris“, „Katastroph“ „verännertem Ëmfeld“, „aktuellem Kontext“. Aber alle meinen Krieg. Er wird für 2030 vorbereitet.

Es dauere noch fünf Jahre bis zum „storskalakrig på det europæiske kontinent“. Dem „Krieg in großem Maßstab auf dem europäischen Kontinent“. So der Militärische Geheimdienst Dänemarks am 9. Februar in einer Presserklärung. Eine „neue Lagebewertung des Bundesnachrichtendienstes (BND) und der Bundeswehr“ sieht bis 2030 alle Voraussetzungen für einen „großmaßstäblichen konventionellen Krieg“ vereint (Süddeutsche Zeitung, 27.3.25). Das Beiwort „konventionell“ soll beruhigend wirken.

Die Europäische Kommission veröffentlichte am 19. März ein „Joint White Paper for European Defence Readiness 2030“. Ziel sei „to ensure that Europe has a strong and sufficient European defence posture by 2030 at the latest“ (S. 2). „ReArm Europe“, befahl Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 4. März. Versprach der Rüstungsindustrie 800 Milliarden Euro. Aus dem Friedensprojekt Europa wird ein Kriegsprojekt Europa. Auch um die Konjunktur zu stützen. Die brüchige Union zusammenzuschweißen. Die USA zu entlasten: „Congress is ordering the Pentagon to conduct a major study of a U.S. war with China around 2030“ (Washington Times, 7.12.23).

Die Rechnung fußt auf einem Axiom: Nach der Ukraine überfällt der Russe 2030 die Nato. „Da steet e geschwënn un eiser Grenz“ (Yves Cruchten, LSAP, RTL, 15.3.25). Axiome verlangen keine Beweise. Ihre Diskussion ist nicht zulässig. Diplomatische Mittel, Verhandlungen, Interessenausgleich fehlen im „kit de survie“.

Romain Hilgert
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