Sprachenausbildung

Gerechtigkeit

d'Lëtzebuerger Land vom 02.09.2011

Bald ist Rentrée scolaire und wie jedes Jahr werden die neusten Schülerzahlen vorgestellt. Ein Trend steht fest: Die Realität an unseren Grundschulen wandelt sich weiter. Starke Geburtenjahrgänge und die Immigration führen langsam aber sicher dazu, dass Kinder mit luxemburgischem Pass in die Minderzahl geraten.

Die sozialistische Unterrichtsministerin möchte, dass Schulen der Vielfalt ihrer Schüler besser Rechnung tragen. Dafür hat sie einen Sprachenaktionsplan erstellt, die Grundschulen neu strukturiert, Kompetenzsockeln eingeführt und die Berufsausbildung umgebaut. Nun erfolgt die nächste Etappe, die Reform der Sekundarstufe. Auch dort bildet das „Sprachen-Problem“ einen der Hauptansatzpunkte. Differenzierte Sprachenniveaus sollen auch Kindern, die nicht so stark in Deutsch oder Französisch sind, den Schulabschluss und damit den Zugang zu höherer Bildung ermöglichen. Für die Zukunft Luxemburgs, so die Begründung, gilt es, Talente nicht zu behindern, sondern bestmöglich zu fördern.

Doch Skepsis ist angebracht. Darüber, ob die bisherigen Aktionen ausreichen, um mehr Schülern zu einem guten Abschluss zu verhelfen. Und darüber, wie weit der politische Wille zu mehr Gerechtigkeit geht. Denn ein Tabu wurde von der Ministerin nach nunmehr sieben Jahren Amtszeit nicht wirklich angepackt: das Dogma der Mehrsprachigkeit. Die Politik hat mit dem Sprachengesetz von 1984 vorgegeben, was sie unter Mehrsprachigkeit versteht. Kinder in Luxemburg sollen im Précoce Luxemburgisch, dann das Alphabet in Deutsch lernen und ein Jahr später mit einem Französischunterricht beginnen, der auf ein Niveau irgendwo zwischen Erst- und Zweitsprache abzielt.

An dieser Dreifaltigkeit wird nicht gerüttelt. Obwohl die Realität andere Anforderungen stellt. Immer mehr Kinder sprechen daheim nicht Luxemburgisch als Erstsprache, sondern Portugiesisch oder Französisch oder Serbokroatisch. Viele von ihnen können sich in mehreren Sprachen verständigen – nur nicht immer in jenen, welche Luxemburger als „Atout“ anerkennen. Dabei sieht der Sprachenaktionsplan vor, jene „diversité linguistique et culturelle“ verstärkt in Unterricht und Ausbildung zu berücksichtigen. Wie das aussehen kann, ist aber ebenso unklar wie welche zusätzlichen Fördermaßnahmen nicht-luxemburgischen Kindern den Weg durch das komplexe Bildungssystem erleichtern könnten. Entgegen den Beteuerungen wird die Mehrzahl der Berufsausbildungen auch weiterhin auf Deutsch angeboten.

Eltern, die es sich leisten können, schicken ihre Kinder daher auf die Europaschule oder ins Ausland, wo ihre Abschlusschancen besser sind. Einem Pilotprojekt, das erforschen wollte, wie eine Alphabetisierung in Französisch sich auf die Leistungen dieser Kinder auswirken würde, hat die Ministerin ihre Unterstützung versagt. Dabei zeigen Untersuchungen der Uni Luxemburg, wie sehr unser Sprachenunterricht In- und Ausschlüsse produziert. Leider stellt die Uni diese Ergebnisse nicht eben ins Fenster. Nun wird einer der Kritiker/innen dieses eindimensionalen Verständnisses von Mehrsprachigkeit der Arbeitsvertrag nicht verlängert.

Portugiesische Eltern – wissend, wie wichtig eine gute Schulbildung für die Zukunft ihrer Kinder ist – wollten eine eigene Schule gründen, mit Portugiesisch als Unterrichtssprache. Die Reak-tionen der Luxemburger Öffentlichkeit, allen voran des Unterrichtsministeriums, waren ausnahmslos negativ. Und heuchlerisch: Die Integration sei in Gefahr. Dabei wird umgekehrt ein Schuh daraus: Es ist die, von wenigen Lockerungen abgesehene, rigide Drei-Sprachenpolitik, die die Integration vieler Nicht-Luxemburger systematisch erschwert. Das (sozialistische) Versprechen gleicher Bildungschancen für alle bei einer sich derart wandelnden Bevölkerung ist noch nicht eingelöst.

Ines Kurschat
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